Chile / Umwelt / Menschenrechte

Behörden in Chile verweigern indigenes Recht auf Küstengebiete

Kritik an "Desinformationskampange" von Unternehmervereinigungen. Betroffene: "Die Lachsindustrie will alles für sich"

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Die Lachsindustrie in Chile wird der Desinformation über die Anträge der indigenen Völker angeklagt
Die Lachsindustrie in Chile wird der Desinformation über die Anträge der indigenen Völker angeklagt

Coyhaique/Santiago de Chile. Ein Gericht in Chile hat gegen indigene Ansprüche auf Küstengebiete im Süden Chiles entschieden. Der Antrag hätte einen bedeutenden Teil der Küsten in der Region Aysén unter die Verwaltung der indigenen Lafkenche gestellt. Dies hätte insbesondere den Interessen der großen Lachsexportindustrie widersprochen.

Nach acht Jahren Antragsprozess und einer kontroversen öffentlichen Debatte entschied sich die Regionale Kommission für Küstennutzung nun gegen die indigenen Ansprüche auf ihr Küstengebiet.

Im Jahre 2008 wurde in Chile das sogenannte Gesetz Lafkenche (Gesetz Nr. 20.249) erlassen, das dem indigenen Volk der Lafkenche in Chile erstmalig territoriale Rechte über die Küsten in ihren angestammten Gebieten zugesteht. Das Gesetz soll die traditionelle Produktions- und Lebensweise der Lafkenche schützen, insofern sie auf den Zugang zu den Küsten und Küstengewässern angewiesen sind.

Diese Gesetzgebung wird damit auch internationalen Normen wie der ILO-Konvention 169 von 1989 gerecht ("Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern"), das von Chile im Jahr 2008 ratifiziert wurde.

Die entsprechenden Küsten befinden sich von der Region Biobío im zentralen Süden des Landes bis zur südlichen Region Aysén und umfassen damit ein riesiges Gebiet der zerklüfteten Küstenlandschaft Chiles. Zuletzt fielen nur etwa 185.000 Hektar unter das genannte Gesetz. Nur diese gelten derzeit als Küsten- und Meeresräume der indigenen Völker (Espacios Marítimos Costeros para Pueblos Originarios – ECMPO).

Aktuelle Anträge von Vertreter:innen der Gemeinschaften der Lafkenche belaufen sich jedoch auf die Anerkennung eines Gebiet von über 2,4 Millionen Hektar als ECMPO. Ein Großteil von ihnen befindet sich in der Region Los Lagos.

Diese Küsten werden allerdings seit einigen Jahrzehnten zunehmend intensiv durch die Lachsindustrie genutzt. Diese hat sich an den südlichen Küsten Chiles stark ausgebreitet und wird immer wieder als der, nach dem Kupfer, zweitgrößte Exportsektor des Landes bezeichnet.

Die chilenische Lachsindustrie stellt nach Angaben der Unternehmervereinigung mit einem Weltmarktanteil von 25 Prozent nach Norwegen zudem auch den zweitgrößten Lachsproduzenten der Welt dar. Aufgrund der mit der Lachszucht einhergehenden Verschmutzungen der Küstengewässer ist die Industrie immer wieder mit Kritik und großen Protesten konfrontiert (amerika21 berichtete).

In dem jetzt abgelehnten Antrag haben Gemeinschaften des Naturreservats Las Guaitecas und der Inseln Las Huichas in der Region Aysén die Eintragung von 621.000 Hektar unter das Ley Lafkenche und damit die Anerkennung als ECMPO eingefordert. Zuständig für diese Entscheidung ist die Regionale Kommission für Küstennutzung (Comisión Regional de Uso de Borde Costero – CRUBC).

Tomás Monge, regionaler Direktor von SalmonChile, dem größten Unternehmerverband der Fischindustrie, sagte in seinem Plädoyer gegen den Antrag, dass sich die Befürworter der Initiative vom Sinn des Gesetzes entfernt und nicht alle betroffenen Sektoren berücksichtigt hätten. Dadurch gäbe es für die Fischzucht keine Planungssicherheit für künftige Aktivitäten.

Auch weitere Unternehmensverbände gaben öffentliche Erklärungen ab und forderten "Bewusstsein" über die Konsequenzen der Entscheidung. Die beantragte Hektaranzahl sei unverhältnismäßig und könnte zu Konflikten zwischen unterschiedlichen Akteuren vor Ort führen. 

Ein erfolgreiches Antragverfahren hätte 59 Personen aus den indigenen Gemeinschaften mit der Verwaltung der Küstenräume betraut. Ein breites Bündnis aus Organisationen der Bewohner:innen der Region Aysén hatte sich zuvor mit den Antragsteller:innen solidarisch erklärt.

In ihrem Schreiben heißt es, die Lachsindustrie wolle "alles für sich" und warf den Unternehmerverbänden eine Desinformationskampagne und eine Medienstrategie vor, die das eigentliche Ziel des Gesetzes 20.249 und den Inhalt dieser Anträge aus dem öffentlichen Diskurs verdrängten.

Estefanía González, Vertreterin von Greenpeace, erklärte, die Behauptung der Lachsindustrie, die Genehmigung des Antrags hätte deren Geschäfte zum Erliegen gebracht, sei "absolut falsch". Die Anerkennung des Gebietes als ECMPO hätte keine Auswirkungen auf die mehr als 700 Konzessionen der Industrie in der Region Aysén gehabt, die der Industrie sowieso weiterhin Nutzungsrechte zusichern

In den Sozialen Medien kritisieren Betroffene auch die Rolle der Mitte-Linksregierung unter Gabriel Boric im Prozess der Ablehnung des Antrags der indigenen Gemeinschaften. So spricht beispielsweise Defendamos Chiloé auf facebook von einer "weiteren großen Enttäuschung über Gabriel Boric und seine gesamte Regierung".  Kritisiert wird vor allem, dass auch die Mehrheit der Repräsentant:innen der Regierung innerhalb der Kommission (CRUBC) gegen die Anträge der indigenen Gemeinschaften und damit für die Interessen der Lachindustrie gestimmt hätten.

SalmonChile-Direktor Monge äußerte sich nach der Abstimmung hingegen erfreut. Es hätte sich eine "Zukunftsvision für die Region Aysén" durchgesetzt, in der alle wirtschaftlichen Aktivitäten "nebeneinander existieren und die regionale Entwicklung auf harmonische Weise fördern können".