Die UN-Biodiversitätskonferenz im kolumbianischen Cali endet nach zähen Verhandlungen in der sogenannten "blauen Zone" am Samstag ohne Abschlusserklärung.
Die Konferenz, die vom 21. Oktober bis zum 2. November stattfand, sollte dazu dienen, Wege gegen das Artensterben zu finden und die globalen Lebensräume besser zu schützen. Trotz Teilerfolgen bleiben die zentralen Fragen unbeantwortet: Wer wird die notwendigen Mittel bereitstellen? Und wie soll die Einhaltung der Beschlüsse überprüft werden?
Am wohl bedeutendsten Punkt – der Finanzierung des Artenschutzes – scheiterten die Delegierten. Einige Fortschritte in anderen Bereichen konnten erzielt werden.
"Vielen Dank an alle. Wir sind nicht mehr beschlussfähig. Ich setze die Konferenz aus", verkündete die kolumbianische Umweltministerin und Konferenzpräsidentin Susana Muhamad am Morgen des 2. November. So fand die COP16 ein abruptes Ende.
Das eigentliche Ziel der Vertragsstaaten, die in der sogenannten “blauen Zone” außerhalb von Cali verhandelten, war es, Lösungen zur Eindämmung des Artensterbens zu finden. Der Schwerpunkt lag auf der Bestandsaufnahme und der Identifizierung von Wegen zur Umsetzung der Vereinbarungen, die vor zwei Jahren auf der Konferenz in Montreal, Kanada, beschlossen wurden. Dort wurde das UN-Abkommen über die Biologische Vielfalt verabschiedet, ein Rahmenwerk, das den Erhalt von Ökosystemen, Arten und genetischen Ressourcen weltweit fördern soll.
Damals wurde versprochen, dass 30 Prozent der Flächen an Land und auf See unter Schutz gestellt werden, der Einsatz von Pestiziden bis 2030 halbiert und umweltschädliche Subventionen abgebaut werden sollen. Das Abkommen enthält 27 langfristige und mittelfristige Ziele, die größtenteils bis 2030 umgesetzt werden sollen. Die reichen Nationen hatten sich in Montreal verpflichtet, den Entwicklungsländern bis 2030 jährlich mindestens 30 Milliarden Euro für den Biodiversitätsschutz bereitzustellen. Dieses Ziel scheint inzwischen jedoch in weite Ferne gerückt zu sein: Die Mehrheit der Staaten trat in Cali ohne nationale Pläne auf, auch Deutschland.
Am Ende drehte sich in Cali alles ums Geld. Die Konfliktlinie lag zwischen den reichen Industrieländern und den ärmeren Ländern, die die Mehrheit der Artenvielfalt beherbergen.
Brasilien und andere Länder des Globalen Südens kritisierten den bestehenden Weltbankfonds als zu bürokratisch und ineffizient. Sie forderten stattdessen die Schaffung eines neuen Fonds, der gezielter und weniger verwaltungsaufwendig sei. Die Industrieländer, darunter die EU, Kanada, die Schweiz und Japan, lehnten jedoch ab, da sie zuhause die Kosten nicht rechtfertigen könnten. Der Chefverhandler der EU erklärte, dass ein zusätzlicher Fonds die finanziellen Mittel für den Biodiversitätsschutz nur weiter aufsplitten würde. Ebenso konnte kein Konsens darüber erzielt werden, wie die Einhaltung des in Montreal beschlossenen Abkommens überwacht werden soll.
Ein Teilerfolg: Der "Cali-Fonds"
"Es gab Fortschritte beim Schutz der Meeresgebiete und bei der Verknüpfung von Klimawandel und Biodiversität. Die Rolle Indigener und Afro-kolumbianischer Gemeinschaften wurde durch ein eigenes Gremium gestärkt", fasste Muhamad die COP16-Ergebnisse zusammen.
Ein sogenannter "Cali-Fonds" wurde ins Leben gerufen, in den Unternehmen, die genetische Ressourcen der Natur nutzen, freiwillig einzahlen sollen. Gemeint sind Unternehmen aus der Pharma- und Kosmetikindustrie, die diese Ressourcen für ihre Produkte benutzen und daraus Gewinne erzielen, und die künftig einen Ausgleich an die Länder und Gemeinschaften zahlen können, die diese Pflanzen- und Tierarten über Jahrhunderte hinweg erhalten haben.
Die Gelder sollen Gemeinschaften und Ländern zugutekommen, die diese Naturgüter schützen. Besonders Indigene und Afro-kolumbianische Gemeinschaften äußerten sich positiv über den Fonds, der ihnen eine gewisse finanzielle Unterstützung verspricht. "Wir erwarten, dass sich die Worte in konkrete Politik umsetzen," sagte Luis Acosta von der Nationalen Indigenen Organisation Kolumbiens (Onic) gegenüber amerika21. Er betonte die Bedeutung der Indigenen Stimmen.
Bedeutende Fortschritte konnten die Afro- undIindigenen Gemeinschaften erzielen. Die Konferenz stellte erstmals deren traditionelle Perspektive in den Mittelpunkt, indem sie ihre Anliegen in die Verhandlungen einbezog. Ein eigens geschaffenes Gremium soll diesen Gemeinschaften ein Mitspracherecht bei der Umsetzung der Vereinbarungen sichern.
Etwa 5.000 indigene Völker, die insgesamt mehr als 476 Millionen Menschen repräsentieren, leben in rund 90 Ländern weltweit. Trotz international anerkannter kollektiver Rechte sind sie in den meisten Staaten weitgehend vom politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben ausgeschlossen. Ein neues Arbeitsprogramm für Indigene Völker und lokale Gemeinschaften erkennt deren Schlüsselrolle als Bewahrer der biologischen Vielfalt an.
Auch die afro-kolumbianischen Gemeinschaften feiern diesen Erfolg. Jesus Perez Palomino, ein Anthropologe aus der Palenquero-Gemeinschaft, betont die bisher unerreichte Anerkennung des Wissens seines Volkes und bedankt sich in den sozialen Medien bei Kolumbiens Vizepräsidentin Francia Márquez für ihr Engagement für die afrokolumbianische Bevölkerung.
Neben einem Beschluss zum Schutz von 30 Prozent der Meeresfläche, hat die COP16 in Cali dazu beigetragen, die Themen Klimaschutz und Biodiversität enger miteinander zu verknüpfen. Umweltministerin Muhamad wies darauf hin, dass es problematisch sei, diese beiden Aspekte getrennt zu betrachten: "Dem Klimawandel wird nach wie vor mehr Aufmerksamkeit von Politik und Wirtschaft geschenkt."
Stimmen vom "COP der Bevölkerung"
Einen besonderen Raum bot die "grüne Zone" im Zentrum Calis, die "COP de la gente" benannt wurde. Hier präsentierten lokale Gemeinschaften, Kleinbauern und Umweltaktivisten ihre nachhaltigen Projekte und Produkte und traten in den Dialog mit der Bevölkerung, stets begleitet von einem kulturellen Musikprogramm. Nach offiziellen Angaben besuchten mehr als 900.000 Menschen die Zone.
Alba, eine Standverkäuferin aus der Region Chocó, berichtet: "Viele von uns sind Opfer des bewaffneten Konflikts. Wir wurden von bewaffneten Gruppen und Drogenbossen aus unserer Heimat vertrieben". Mehr als den Verkauf ihrer Produkte erhoffe sie sich nicht von der Veranstaltung, man bekäme hier in der grünen Zone wenig davon mit, was in der blauen Zone besprochen wird.
Brian Cordoba, Sprecher der Regierung des Chocó, hebt hervor, dass in dieser Region die größte Vielfalt an Ökosystemen sowie Tier- und Pflanzenarten im Land zu finden sei. Die COP der Bevölkerung biete den lokalen Gemeinschaften die Gelegenheit, ihre handgefertigten Produkte wie Kaffee, Heilgetränke, Kakao, Marmeladen und Schmuck aus regionalen Materialien zu vermarkten und auf die Armut in der Region aufmerksam zu machen.
Alle Anwesenden sind sich einig, dass sie ohne die Unterstützung und das Interesse des ersten linken Präsidenten des Landes, Gustavo Petro, nicht an der COP teilnehmen könnten.
Oskar Rivas, Leiter der paraguayischen Nichtregierungsorganisation "Sobrevivencia – Amigos de la Tierra Paraguay", bestätigt dies gegenüber amerika21. Er hat seit 1992 an allen Artenschutzgipfeln teilgenommen und betont, dass er noch nie zuvor so viel Diversität, insbesondere unter den indigenen Völkern, erlebt habe. Dies führe er auf Petro zurück. "Sie sind mit einem Selbstbewusstsein und klaren Forderungen aufgetreten, die dem Globalen Norden Angst gemacht haben", fasst er zusammen. Die Indigenen pochten nicht nur auf vorherige Konsultationen, sollten Ressourcen aus ihren Gebieten abgebaut oder Infrastrukturprojekte genehmigt werden. Dieses Mal forderten sie tatsächlich ein Veto-Recht, berichtet er aus seinen Erfahrungen in der blauen Zone. Die grüne Zone besuchte er nur an seinem letzten Tag und bezeichnet sie als ein "Volksfest".
Onic-Vertreter Acosta meint dagegen, dass die Zone der Regierungen nur dazu da sei, "schöne Fotos zu schießen" und "Papiere zu schreiben, die nicht eingehalten werden". Er sieht die Verbindung zur Bevölkerung als wichtiger an, da man hier ins Gespräch komme und die Indigene Perspektive vermitteln könne.
"Die Kolumbianer kennen nur die Geschichten aus den Medien und denken, wir seien gewalttätig", empört sich Acosta. "Der Wille zur Zusammenarbeit seitens des Präsidenten ist jedoch eindeutig. Gustavo Petro hat alles unternommen, damit wir unsere Perspektive präsentieren können. Nie zuvor waren so viele Indigene Vertreter auf einem Gipfeltreffen wie hier in Cali, und das gibt uns Hoffnung. In den vorherigen Konferenzen war unsere Meinung nicht gefragt. Aber wir erwarten auch, dass unsere Worte in konkrete politische Maßnahmen umgesetzt werden."
Einige sprachen von einer "COP der Klassen". Lokale Künstler fühlten sich ausgeschlossen. Sie versammelten sich am Sonntag nach der Konferenz in ihrem Kulturzentrum Casa de Burbujas. Sie befürchten, in Zukunft noch mehr an den Rand gedrängt zu werden. "Wir sind enttäuscht, dass nur diejenigen, die Verbindungen zu wichtigen Politikern haben, auf der COP ihre Kunst präsentieren durften", sagten sie. Die Bühne sei hauptsächlich Ausländern und Künstlern aus anderen kolumbianischen Städten geboten worden. Obwohl sich über 20 Künstler offiziell beworben hatten, kam nur einer aufgrund von "Vetternwirtschaft" zum Zug, klagten die Betroffenen.
Die starke Sicherheitspräsenz von 4.000 Polizisten und 1.600 Soldaten verdeutlichte das gespaltene Bild des Treffens: Für einige Besucher stellte sie ein Gefühl von Sicherheit dar, während andere sie als gezielte Kontrolle im Sinne der ausländischen Gäste wahrnahmen.
"Wir standen unter großem Druck, dass ja keinem Ausländer etwas passiert", sagt eine Bewohnerin Calis. Die Stadt wollte den internationalen Ruf Kolumbiens als "gefährliches Drogenland" hinter sich lassen. Es wirkte, als sei das Stadtbild für die Konferenz gezielt "gesäubert" worden. Obdachlose und Straßenverkäufer, die normalerweise ihren Lebensunterhalt mit dem Verkauf kleiner Produkte am Straßenrand des Zentrums verdienen, waren während der zweiwöchigen Veranstalung aus dem Stadtbild verschwunden und tauchten am Sonntag, als alle Gäste wieder abgereist waren und nachdem die staatlichen Sicherheitskräfte abgezogen waren, wieder auf.
"Mit dem Abgang der COP-Gäste am Samstag kehrte am Sonntag alles zur Normalität zurück", erklärte Esteban Manzano, ein Umweltaktivist, im Gespräch mit amerika21. "Kolumbien hat alles unternommen, um einen positiven Eindruck zu hinterlassen, dabei aber die realen, alltäglichen Probleme ignoriert." Am letzten Wochenende der COP16 wurden in der Umgebung von Cali zwei junge Männer Opfer von Bandenkriminalität – eine bittere Realität, die den Gästen verborgen blieb, fasst er zusammen.
Der Kampf gegen Umweltzerstörung und illegalen Aktivitäten
Die Konferenz in Cali hob auch die Notwendigkeit des Meeresschutzes und die stärkere Verbindung zwischen Klima- und Artenschutz hervor. Es wurde ein geplantes UN-Plastik-Abkommen diskutiert, das 2025 verabschiedet werden soll. Kolumbien steht indes vor spezifischen Herausforderungen. Trotz seines Reichtums an Biodiversität leidet das Land unter Umweltzerstörung durch illegalen Bergbau, Drogenanbau und Verschmutzung durch Industrien. Kolumbien zählt weltweit zu den Ländern mit den meisten getöteten Umweltaktivisten.
Umweltaktivist Manzano, der aus einem kleinen Dorf nahe Cali stammt, das einen enormen Industriepark für Zuckerrohr und Milchprodukte beherbergt, klagte über die Verschmutzung der Flüsse durch die Zuckerrohrindustrie in seiner Region. "Hier kippen die Unternehmen nachts ihre Chemikalien weg, und niemand sieht hin" berichtete er und schilderte, wie die Bevölkerung gezwungen sei, Trinkwasser in Plastikbehältern zu kaufen. Sie seien mehrmals bedroht worden. Da die lokale Industrie die Mehrheit der Arbeitsplätze der von Armut und sozialen Konflikten gebeutelten Region stellt, würden viele schweigen. Außerdem hätten sie Angst, dass sie – wie so viele – getötet würden. Lokale Politiker unternähmen nichts, da diese "ihren Anteil" von den Unternehmen bekämen, erklärt der Aktivist. Manzano kritisierte zudem, dass Unternehmen wie der Bierkonzern Bavaria während einer Artenschutzkonferenz Gehör finden: Diese Firmen trügen eine erhebliche Verantwortung für den schlechten Zustand Kolumbiens.
Manzano und sein Kollektiv hoffen nun, dass ein Anwalt ihnen hilft, eine offizielle Beschwerde gegen die Umweltverschmutzung einzureichen, da man ihnen auf der COP kein Gehör schenken wollte. Er habe sich keine pausenlose Party, sondern offene Ohren für sein Anliegen und Regelungen zum Wasserschutz erhofft.
Eine weitere kritische Stimme und die Forderung nach Schutz der Wasserressourcen kam von José Manuel Socha, einem Indigenen Heiler des Muisca-Volkes. Er zeigte sich enttäuscht über die die verpasste Gelegenheit, verbindliche Abkommen zum Schutz der Wasserressourcen zu erreichen. "Wenn auf diesem Gipfel keine Lösung zum Schutz unseres Wassers gefunden wird, glaube ich an nichts", sagte Socha und fügte warnend hinzu, dass die Menschheit die Signale der Natur ignoriere und die Balance zur Umwelt verliere. Er bedauert, dass in großen Teilen seiner Heimat mittlerweile die Tiere und Wasserquellen verschwunden sind, da "alles zugebaut und mit Gebäuden überzogen ist."
Für ihn bot die Artenschutzkonferenz eher eine Gelegenheit, mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen und sie dazu einzuladen, im Einklang mit der Natur zu leben. Er hegt noch die Hoffnung, dass sich das Verhalten der Menschen ändern wird und erwartet von den Staaten, dass sie "dem Raubbau durch Unternehmen ein Ende setzen".
Die COP16 in Cali hinterlässt ein gemischtes Bild: Während einige Fortschritte durch den "Cali-Fonds" und die Einbeziehung Indigener und Afro-Perspektiven erzielt wurden, bleibt die Finanzierung des globalen Biodiversitätsschutzes ein ungelöstes Problem.
Die nächste Biodiversitätskonferenz COP17, die für 2026 in Armenien geplant ist, wird vor einer noch größeren Dringlichkeit stehen, Lösungen zu finden. Denn das Artensterben schreitet weltweit unaufhaltsam voran – und eine klare finanzielle Unterstützung ist unverzichtbar, um es zu stoppen.
Die Länder des Globalen Südens fordern ein stärkeres Engagement der reichen Industriestaaten.
Kolumbiens Präsident Petro hat bereits angeregt, die Auslandsschulden ärmerer Länder gegen Maßnahmen für den Klimaschutz und den Erhalt des Planeten einzutauschen.