Fakten zu den "ausgeschlossenen Kandidaten" in Venezuela

Die Fakten halten weder dem Vorwurf einer politisch motivierten Entscheidung des Rechnungsprüfers, noch der Illegalität oder der Verfassungswidrigkeit Stand

Teile der Venezuelanischen Opposition stellen sich gegen die Entscheidung des venezolanischen obersten Rechnungsprüfers Clodosbaldo Russián (Contralor General), welcher eine Liste mit 386 Personen einreichte, die auf Grund von Korruption und/oder Missbrauch von öffentlichen Geldern aus den Ämtern im öffentlichen Dienst ausgeschlossen werden sollen. Die Opposition, die in Teilen der Medien Resonanz findet, argumentiert, dass die Liste der ausgeschlossenen Kandidaten "politisch motiviert und illegal" sei1. Sie fügen hinzu, dass diese Maßnahme zudem verfassungswidrig sei.

Diese Interpretation, wie wir weiter unten beweisen können, ist schlichtweg falsch. Die Fakten halten weder dem Vorwurf einer politisch motivierten Entscheidung des Rechnungsprüfers, noch der Illegalität oder der Verfassungswidrigkeit Stand.

Tatsächlich wendet der Rechnungsprüfer lediglich existierende Gesetze an, die dazu dienen sollen, die Korruption innerhalb des Staatsapparates, insbesondere auch die Straffreiheit derselben, zu bekämpfen. Ein großer Verdienst der Chávez-Regierung ist, dass diese Straffreiheit aufgehoben wurde, die den venezolanischen Staat in der vorausgegangenen Oligarchie-geführten "Vierten Republik" charakterisierte und heute eine der schwerwiegendsten Altlasten darstellt.

Außerdem sind von der ursprünglichen Liste mit 386 Ausgeschlossenen tatsächlich nur 260 betroffen, da die Strafverhängung - das heißt, die Zeitspanne, in der man als schuldig befunden werden kann und von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen ist - bei vielen schon abgelaufen ist.

Der Grund hierfür liegt in der Dauer der Ermittlungen, die von Rechnungsprüfer Russián schon im Jahre 2005 eingeleitet wurden. Dies zeigt die Schwierigkeit der Ermittlungen.

Zusätzlich veröffentlichte das Büro des Rechnungsprüfers, dass von den ursprünglich 428 Beschuldigten, 236 die Petition für ein Abwahlreferendum gegen Präsident Chávez, dass 2004 auch stattfand, nicht unterschrieben hatten. Auf der Unterschriftenliste stand der kleinere Anteil von 192 Personen2 (In Venezuela gilt die Unterschriftenliste für die damalige Petition als angebliches Repressionsinstrument, d.Red.). Und einige Chávez-Unterstützer stellten sich gegen das Vorgehen, wie der Parlamentsabgeordnete Calixto Ortega3 (Auch Regierungsanhänger sind von der Maßnahme betroffen, d.Red.). Dies zeigt, dass die Entscheidung alleinig auf legalem Grund fiel und fair angewendet wurde.

Die Fakten

  1. Der Rechnungsprüfer Clodosbaldo Russián, Venezuelas höchster Anti-Korruptions-Ermittler, reichte eine Liste von 368 Personen (die sogenannten "inhabilitados") beim Nationalen Wahlrat (CNE) ein. Er forderte vom CNE eine Entscheidung zu treffen, die den Beschuldigten verbietet bei den bevorstehenden Regionalwahlen im November für ein öffentliches Amt zu kandidieren, weil gegen sie ermittelt wurde oder sie schuldig der Korruption und Missbrauch von öffentlichen Geldern gesprochen wurden.
  2. Die vom Obersten Rechnungsprüfer geleiteten Untersuchungen sind eine Pflicht seiner Behörde. Diese sind jedoch nur anwendbar auf Mandatsträger in öffentlichen Ämtern. Das Büro des Rechnungsprüfers besitzt die legale Autorität verwaltungstechnische Untersuchungen durchzuführen, um Vorwürfen der Korruption und Missbrauch von öffentlichen Geldern gegen Personen, die ein öffentliches Amt innehaben, nachzugehen4.
  3. Die Betroffenen argumentierten, dass die Entscheidung verfassungswidrig sei, weil sie nicht von einem Gericht (strafrechtlich oder zivil) entschieden wurde. Der Oberste Rechnungsprüfer hielt dagegen, dass Artikel 65 der Verfassung eindeutig aussagt, dass "Personen, die für Straftaten verurteilt wurden, während sie ein Amt innehatten oder andere Vergehen gegen öffentliches Eigentum begingen, nicht berechtigt sein sollen für ein öffentliches Amt zu kandidieren. Die Dauer des Kandidaturausschlusses nach dem Verbüßen der Strafe kann das Gesetz vorschreiben und ist nach Schwere der Straftat zu bemessen." Weiter heißt es: "Wer während der Ausübung seiner Funktionen für eine Straftat verurteilt wurde, welche die Rechte des öffentlichen Eigentums verletzt, kann für eine bestimmte per Gesetz festgelegte Zeit für kein Amt in keiner öffentlichen Wahl kandidieren, mindestens bis das komplette Strafmaß ausgesessen ist und unter Berücksichtigung der Schwere des Verbrechens." Weiter ist dort festgelegt, dass Sanktionen als ein Ergebnis zivilrechtlicher, strafrechtlicher oder verwaltungstechnischer Untersuchungen angewendet werden können.
  4. Nachdem der Nationale Wahlrat (CNE) auf der Basis der Bestimmungen in Artikel 105 am 19. Juni 2008 die Liste vom Obersten Rechnungsprüfer erhielt, entschieden sie sich diese anzuerkennen und die genannten Personen für bis zu 15 Jahre davon auszuschließen, für ein öffentliches Amt zu kandidieren oder ein Amt innezuhaben. Der CNE musste darüber formell informiert werden, da er, sollten sich beschuldigte Personen als Kandidaten aufstellen lassen, die legale Verpflichtung hat, sie abzulehnen. Darüber hinaus hat der CNE den Obersten Gerichtshof (TSJ) Venezuelas gebeten, ein Urteil zu fällen über diejenigen auf der Liste, die als Kandidaten für Gouverneursposten oder Bürgermeisterämter in den bevorstehenden Wahlen am 23. November 2008 aufgestellt wurden. Verfassungsgemäß haben diese Personen das Recht beim TSJ gegen ihre Disqualifikation Berufung einzulegen und auch auf dieser Grundlage bat der CNE um eine Stellungnahme des TSJ. Der CNE erklärte, dass der TSJ vor dem Zeitraum der Registrierung der Kandidaturen (zwischen 5. und 12. August 2008), seine Entscheidung fällen sollte (Das Urteil wurde am 5. August veröffentlich, siehe diese Meldung vom 08.08.08, d.Red.). Am 27. Juni diskutierte die Nationalversammlung (AN) das Thema und stimmte der Entscheidung des Rechnungsprüfers zu, die Personen auf der Liste auszuschließen. Die Entscheidung der AN wurde auf der Basis der Legalität und der verfassungsgemäßen Korrektheit des Prozesses gefällt.
  5. Das Büro des obersten Rechnungsprüfers veranlasste die Untersuchungen gegen die "inhabilitados" auf der Liste auf Basis von Artikel 105 des Gesetzes für die Rechnungsprüfung, welches bereits 15 Jahre vor der heutigen Bolivarischen Verfassung von 1999 eingeführt wurde (es wurde 1984 unter der Präsidentschaft von Jaime Lusinchi eingeführt und unter der Regierung von Präsident Rafael Caldera 1995 überprüft und bestätigt). Von daher existierte bereits das legale Instrument der Sanktionen gegen Personen, deren persönliche Eignung als Inhaber eines öffentlichen Amtes zweifelhaft war, wurde jedoch schlichtweg nicht angewendet. Die heutige Form von Artikel 105 wurde 2002 von Venezuelas Nationalversammlung in einer beinahe einstimmigen Wahl angenommen. Auch mit Zustimmung der Oppositionsparteien, die zu dieser Zeit eine beträchtliche Präsenz im Parlament hatten. Damals hatte die Regierungsallianz 85 Abgeordnete und die Opposition 80 Sitze im Parlament5. Das Gesetz über die Rechnungsprüfung gibt dem Obersten Rechnungsprüfer die Befugnis, Untersuchungen über die Inhaber öffentlicher Ämter in allen Belangen einzuleiten: über jegliche Abweichung von der Ausübung ihrer Pflichten in bezug auf die bestehenden Regeln, Bestimmungen und Gesetze (Artikel 9, 10, 11, 12, 13 und Artikel 91, 92, siehe kompletten Text des Gesetzes). Zusätzlich sind Kompetenzen des Rechnungsprüfers auch in der neuen Verfassung von 1999 festgelegt worden (Art. 25, 274, 287, 288 und 289)6. Des Weiteren gibt Artikel 105 dem Büro des Rechnungsprüfers die Berechtigung, Personen vom Ausüben eines öffentlichen Amtes auszuschließen, sobald die Untersuchung die Integrität der Person als Inhaber von öffentlichen Ämtern in Frage stellt, unabhängig der politischen Zugehörigkeit.
  6. Die endgültige Liste der betroffenen Personen kann hier gefunden werden. Der Oberste Rechnungsprüfer Russián reichte die Liste offiziell am 25. Februar beim CNE ein. Damals sagte Russián, dass die Auswahl auf Entscheidungen des TSJ und der Verfassungskammer aus dem Jahr 2005 basiere. Und Russián fügte hinzu, dass die betroffenen Personen das Recht haben, sich an den TSJ zu wenden um die Entscheidung anzufechten und ihren Fall neu aufnehmen zu lassen.
  7. Zusammenfassend ist der Prozess folgendermaßen abgelaufen:
    1. Der Prozess wurde streng legal auf der Basis der bestehenden Vorschriften und Gesetze durchgeführt und gründete sich auf Vorwürfen von Irregularitäten bei der Erfüllung von öffentlichen Pflichten;
    1. Das Vorgehen ist Teil der verfassungsgemäßen und legalen Aufgaben des Büros des Obersten Rechnungsprüfers;
    2. Der Rechnungsprüfer wurde aufgrund von Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (TSJ) aus dem Jahr 2005 aktiv;
    3. Die Vorschriften des Gesetzes für die Rechnungsprüfung und der Verfassung wurden eingehalten;
    4. Die betroffenen Personen waren durchgehend informiert;
    5. Außerdem: Artikel 105, die hauptsächliche -wenn auch nicht die einzige - legale Berechtigung für die Disqualifikationen existierte schon vor der Bolivarischen Verfassung von 1999. Er wurde bereits 1984 eingeführt, 1995 bestätigt und 2002 nochmals überarbeitet. Diesmal beinahe einstimmig von Venezuelas Nationalversammlung verabschiedet unter Mitwirkung der führenden Oppositionsparteien;
    6. Die Personen auf der Liste haben das Recht beim Obersten Gerichtshof (TSJ) Einspruch einzulegen, dieses Recht haben sie aber nicht in Anspruch genommen (zumindest die Wenigsten, siehe Meldung vom 08.08.08, d.Red.);
    7. Der CNE und das Parlament (beide innerhalb ihrer spezifischen legalen und verfassungsgemäßen Kompetenzen) haben das Vorgehen anerkannt; der CNE bittet um eine offizielle verfassungsgemäße Stellungnahme des TSJ (siehe Meldung vom 08.08.08, d.Red.);
    8. Die vollständige Umsetzung der Gesetze zum Kampf gegen Korruption, wobei jeder gewählte öffentliche Amtsinhaber verantwortlich ist, hat eine zentrale Stellung im demokratischen Fundament der Bolivarischen Revolution.

Der Autor Francisco Domínguez ist Mitglied des Exekutivkommitees des Venezuela Information Centre mit Sitz in London.

Den englischen Originaltext dieses Artikels vom 22.07.2008 finden Sie auf dem Internetportal dissidentvoice.org.