Venezuela

Zwischen den Fronten

Basisbewegungen gegen die "effiziente Revolution" im Bundesstaat Lara

Die Ernennung von Henry Falcon zum Kandidaten der PSUV (Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas) für die Gouverneurswahlen im Bundesstaat Lara im November dieses Jahres stößt bei linken Aktivistinnen und Aktivisten auf wenig Gegenliebe. In einem unübersichtlichen Konflikt um Posten, Macht und Zugang zu öffentlichen Geldern in dem bevölkerungsreichen Bundesland im Nordwesten Venezuelas geraten die Basisbewegungen zunehmend zwischen die Fronten.

"Stimmt es eigentlich das eure Kanzlerin früher Kommunistin war?" ist die erste Frage von Alfredo. Ein Freund in Barquisimeto hat mich in seine Radiosendung eingeladen. "Por los 4 costados" - zwischen vier Fronten oder aus allen Richtungen, heißt die Sendung, die drei mal wöchentlich um 10 Uhr abends live produziert wird. "Wir laden hier immer Leute ein um aktuelle Themen kritisch zu diskutieren. Manchmal besprechen wir auch Artikel aus dem Nachrichtenportal Aporrea oder reden über politische Theorie", sagt Alfredo über sein Programm.

Professionelle Studiomikrofone werden von einem Tontechniker hinter der Glaswand gesteuert. "64 Programme haben wir hier pro Woche" erzählt Alfredo später. "Vor drei Jahren haben wir mit einem kleinen Zuschuss der Regierung angefangen zu arbeiten. Jetzt haben wir zwei Studiotechniker und eine Sekretärin, die hier fest angestellt sind. Alle anderen engagieren sich ehrenamtlich." Sechs Radios Comunitarias gibt es mittlerweile in Barquisimeto. Alle sind in den letzten drei Jahren entstanden. Gesendet wird auf UKW-Frequenzen, so dass die ganze Stadt und Teile des Umlandes diese Sender empfangen können. "64 Sendungen" wiederholt Alfredo. "An jeder Sendung arbeiten mindestens drei Leute, bei manchen sogar sieben oder acht." Über 300 Menschen nutzen also alleine in dieser Comunidad das Medium Radio und werden zu SprecherInnen ihrer eigenen Realitäten.

Barquisimeto ist die größte Stadt im Bundesstaat Lara. Luis Reyes Reyes, ein alter Freund des Präsidenten aus der MBR-200 (einer linken Gruppierung im Militär seit 1982) ist hier Ministerpräsident. "Reyes Reyes hätte der Nachfolger von Hugo Chávez werden können", erzählt mir ein Aktivist, der in den Consejos Comunales - den Gemeinderäten - für politische Bildungsarbeit zuständig ist. "Aber stattdessen hat er viele Affären mit viel zu jungen Frauen angefangen. Wegen ihm ist Lara ein politisches Desaster." Henry Falcon, der Bürgermeister Barquisimetos und früher in der christdemokratischen Partei COPEI aktiv, hat sich deshalb zum großen Gegenspieler Reyes Reyes in der PSUV des Bundesstaates Lara erklärt. "Revolución eficiente" ist sein Slogan. Tatsächlich ist Henry Falcon sehr effizient. "Fast täglich schickt er uns SMS, in denen er uns auffordert für ihn zu stimmen", erzählen mir Compañeros in den Consejos Comunales. In den reicheren Teilen der Stadt hat er gigantische Lichtanlagen installieren lassen, die nun den Osten Barquisimitos ein wenig an Las Vegas erinnern lassen. Mit dem Bau des größten Einkaufszentrums der Stadt führte er die politische Linie seiner ehemaligen Partei einfach weiter. Das größte Stadtfest Barquisimitos aller Zeiten organisierte er oben drauf. Die Gagen für Juan Luis Guerra, Don Omar und andere Stars der lateinamerikanischen Popszene bezahlte er mal eben so aus öffentlichen Geldern. Bessere Wahlwerbung konnte er kaum machen.

"Trotzdem haben 28% für Julio Chávez gestimmt" erzählt eine Aktivistin im Batallión, den Basisgruppen der Sozialistischen Partei, über die Wahl Falcons zum Kandidaten für die Regionalwahlen im November. Zusammen mit den Basisbewegungen hat Julio Chávez die Kleinstadt Carora zum Musterbeispiel des revolutionären Prozesses gemacht - und sich selber einen Haufen politischer Gegner. 300 Mio. Bolivares Schulden hat die Stadtverwaltung Caroras angehäuft weil die zuständigen Stellen in Caracas immer wieder Geld aus Steuereinnahmen verweigert hatten. Auch hier steht die Basis also zwischen den Fronten. "Wir hatten nur 11 Tage für den internen Wahlkampf" erzählen die AktivistInnen weiter. Falcon hingegen hat als Bürgermeister Barquisimetos 5 Jahre Wahlkampf gemacht. Die Stadt ist vollgekleistert mit seinem Konterfei. Jedes Schlagloch das ausgebessert wurde ist nun mit einem Schild versehen von dem Henry Falcon seine "Effiziente Revolution" ausruft. Vielleicht will er auch den Kapitalismus auf einen dieser ausgebesserten Straßen überholen. Ob er das links oder rechts tut ist egal - es ist wie das Überholmanöver seiner Vorgänger zum Scheitern verurteilt.

Im ärmeren Westen der Stadt sind weniger dieser Schilder zu sehen. Die neue öffentliche Nahverkehrsverbindung der beiden Stadthälften, die die soziale Separation verringern und Zugang zu der sozialen Infrastruktur der reicheren Stadtteile erhöhen sollte, ist zu einer riesigen Investitionsruine verfallen, genauso wie der neue Busbahnhof, indem vor allem die informellen Händler einen neuen legalisierten Standort hätten bekommen sollen. Falcon gibt Reyes Reyes die Schuld - Reyes Reyes beschuldigt Falcon. Und obwohl den Leuten in den Consejos und Batalliones diese politischen Scharmützel leid sind, haben eben trotzdem eine Mehrzahl der Parteimitglieder bei den internen Wahlen der PSUV für Falcon gestimmt. "Wir müssen in den Consejos einfach noch mehr arbeiten" ist die Antwort vieler AktivistInnen. Wir müssen mehr in politische Bildung investieren, müssen die Räume nutzen um kritischer mit unseren Autoritäten zu werden". "Leider", erzählen sie weiter "ist die PSUV nicht zu dem Ort geworden, indem diese kritische Artikulation stattfinden kann. Aus Caracas wird zu viel von oben entschieden". Caracas, oder die damit gemeinte Parteispitze, hatte in der Tat viel zu lange an Reyes Reyes festgehalten. Die Kritik der Basis hatte keinen Weg durch die unterschiedlichen Ebenen der Partei gefunden.

Heute sind wieder interne Vorwahlen für die Regionalwahlen im November. Zwar steht Falcon als Kandidat für den Bundesstaat Lara fest, doch Abgeordnete und Bürgermeister müssen noch bestimmt werden. Wieder hat Henry Falcon seine Wahlkampfmaschine angeworfen, massenhaft SMS und Botschaften per Handy verschickt. In den 26 Batalliones Barquisimetos ist deshalb in den letzten Tagen große Hektik ausgebrochen. Viele AktivistInnen halten eine kleine Palastrevolution für möglich. "Wir fahren jetzt von Batallion zu Batallion, reden mit den Voceros - also den Sprechern - die morgen Wahlberechtigt sind", sagt eine der Aktivistinnen. "Wir müssen ein Gegengewicht schaffen um wenigstens zu erreichen, dass Falcon nicht machen kann was er will. Wir wissen nicht wie die Situation morgen sein wird. Viele die uns jetzt zusagen für den Alternativkandidaten zu stimmen, könnten morgen auch wieder umfallen. Es geht ja für einige auch um die gut bezahlten Posten", sagt Alfredo vom Radio. Würden sich tatsächlich die KandidatInnen der Basis durchsetzen, könnte die Kandidatur Falcon vielleicht nochmal verhandelt werden. Sicher ist nur, dass die Basisbewegung im Bundesstaat Lara weiter an allen Flanken kämpft.