"In einigen Freundeskreisen gilt die kubanische Wirklichkeit als Paradies. Sie können keinen Makel erkennen und das erschreckt mich. Ich befürchte, dass sie nach Kuba kommen und dann erst über die Probleme stolpern, die dort vorhanden sind. Bei anderen hat man den Eindruck, dass sie nicht die leiseste Vorstellung davon haben, wie Kuba überhaupt ist. Es gibt Leute, die denken, dass alles voller Wald und gleichsam ein wilder Dschungel sei und es kein städtisches Leben gäbe", stellte der Trovamusiker im Gespräch mit der Nachrichtenagentur DPA am 13. April in Havanna fest.
Der 52-jährige Alfonso, einer der wichtigsten Vertreter der von Silvio Rodríguez und Pablo Milanés begründeten Bewegung des neuen kubanischen Liedes (Nueva Trova), sagte, dass es auf der Insel Probleme gebe, die gelöst werden müssten und die von den Feinden der Regierung des Präsidenten Raúl Castro dazu benutzt würden, das Land als eine gescheitertes Gesellschaftsmodell darzustellen. Gleichwohl brachte er zum Ausdruck, dass auch diejenigen "in naive Vorstellungen verfallen", die im Zeitalter des Internet und der technologischen Unvermitteltheit versuchten, diese Schwierigkeiten zu verbergen.
"Warum sollte man leugnen, dass es in unserer Gesellschaft Situationen von furchtbarer Armut gibt? Es gibt sie und man muss - wenn die Revolution Realität sein soll - versuchen, eine Lösung dafür zu finden und darf diese Tatsache nicht verstecken. Ich brauche keine Revolution, die mir vormacht, dass sie wahrhaftig sei. Nein, ich brauche eine wirkliche Revolution, in der meine Kinder aufwachsen und der ich gedenke noch die Jahre zu widmen, die mir zu Leben bleiben".
Er kritisierte auch, dass in Kuba häufig das wirtschaftliche, finanzielle und handelsmäßige Embargo von Seiten der Vereinigten Staaten als einziger Grund für die Probleme heraus gestellt werde: "Angeblich ist die Blockade für alles verantwortlich und das stimmt nicht. Es gibt Dinge, die eine Folge der Blockade sind und es gibt andere, die schon immer auf uns selbst zurückzuführen waren".
Gerardo Alfonso, der am vergangenen Samstag beim Konzert "Concierto por la Patria" (Konzert für die Heimat) auftrat, zu dem von Künstlern und Intellektuellen aufgerufen worden war, um die Welle internationaler Kritik nach dem Tod des oppositionellen Häftlings Orlando Zapata zurückzuweisen, bezeichnete es als "bedauerlich" und "sehr traurig", dass "ein Mensch - ob er nun Recht hat oder nicht - beschließt, sich einem Hungerstreik zu unterwerfen und dabei bis zum Äußersten geht: zu sterben".
"Ich glaube, das wäre zu vermeiden gewesen. Ich glaube, dies hätte nicht passieren müssen", versicherte der Autor vieler bekannter Lieder. "Es erscheint mir als nicht richtig - und hier gerate ich in Widerspruch zu den geltenden Gesetzen - dass man die Entscheidung von jemandem, in einem Hungerstreik zu sterben, zwingend respektieren muss, weil damit ein Recht respektiert werde" (1), sagte er und bezeichnete es zugleich als "opportunistisch", dass Feinde der kubanischen Regierung den Tod von Zapata dazu benutzen, "eine politische Kampagne gegen ein System und eine Gesellschaft bzw. eine Revolution zu führen, mit der sie nicht einverstanden sind".
"Ich glaube nicht, dass dieser Weg zu irgendetwas führt. Mir scheint dies eine Position der Gewalt zu sein, die versucht, einen revolutionären Prozess wie diesen zu zerstören. Was aber Damit wird großer Schaden angerichtet, man schadet der Gesellschaft und zwar deswegen, weil sich das Land daraufhin verschanzt und sehr hermetische Schutzmaßnahmen trifft, die erstickend wirken", fügte er hinzu.
"Man könnte auf konstruktivere Weise vorgehen, nicht auf diesem Niveau, als ob es sich um irgendeinen Tratsch aus einer Telenovela oder einer Klatschillustrierten handeln würde", sagte er und legte dabei nahe, den Fall mittels eines Dialogs mit Kuba "auf ernsthaftere Weise" und "ohne jegliche anklagende Attitüde" zu behandeln. "Man muss im Sinne der Gerechtigkeit vorgehen, indem man davon ausgeht, dass niemand schuldig ist, bis man ihm das Gegenteil beweist und nicht einfach gleich ein ganzes Land angreifen", meinte er weiter.
Zapata, ein Maurer von 42 Jahren, war am 23. Februar nach 83 Tagen Hungerstreik verstorben. Laut Darstellung von Dissidenten protestierte er damit gegen Misshandlungen im Gefängnis und forderte als "Gewissensgefangener" behandelt zu werden. Dagegen stellt die Castro-Regierung fest, dass es sich bei ihm um einen "gewöhnlichen Häftling" gehandelt habe, bestreitet die Behauptung, dass er gefoltert worden sei und versichert, dass er Telefon, Fernsehen und eine Kochgelegenheit in seiner Zelle gefordert habe.
Alfonso, der am Donnerstag im Gefängniskomplex Combinado del Este in Havanna eine Konzertreihe in Haftanstalten beendet, die er in unregelmäßigen Abständen seit einem Jahr durchgeführt hat, sagte, dass er sich gezwungen sehe, keiner der verschiedenen Versionen Glauben zu schenken, weshalb Zapata sein Fasten begonnen habe, zog aber in Zweifel, dass er gefoltert worden sei. "Ich glaube auf gar keinen Fall, dass es Folter oder Misshandlungen gibt. Das ist gar nicht möglich, weil die Leute zwar in Haft, aber alle zusammen sind. Du kannst da keinen absondern, foltern und misshandeln, ohne dass die anderen darauf reagieren", sagte er und versicherte außerdem, dass der Umgang, den er in den Gefängnissen habe feststellen können "zwischen Häftlingen und Wärtern praktisch eine freundschaftliche Beziehung darstellt".
An anderer Stelle führte Alfonso an, dass Kuba trotz aller Probleme "immer noch eine Gesellschaft ist, die dazu in der Lage ist, zu bestehen, zu wachsen und sich zu verbessern". Er vertritt die Meinung, das gültige sozialistische System sei kein "Schema", das keine Veränderungen zulasse, sondern ganz im Gegenteil eine "größere Freiheit besitzt sich zu verändern als der Kapitalismus".
Gerardo Alfonso betont, dass "eines der schrecklichsten Dinge, die es zu bekämpfen gilt, die Bürokratie ist", die aus seiner Sichtweise "entsteht, wenn alles nach ein und dem selben Modell zentralisiert wird". Außerdem plädierte er dafür, "das Konzept von staatlichem Eigentum und privatem Eigentum" zu verändern, jedoch "ohne dass der Privateigentümer den Staat verschlingt". Als Beispiel führte er an, dass es keinen Grund dafür gibt, dass sich der Staat um alle Restaurants kümmert, von denen einige auch in Privathand übergehen könnten.
"Bei einem sozialistischen Staat erwartet man, dass der Mensch Eigentümer aller Dinge ist und deshalb sorgsam mit ihnen umgeht, weil es ihm gehört. In diesen ganzen 50 Jahren ist aber irgendetwas geschehen, was dazu geführt hat, dass die Leute nicht so empfinden, dass die Sachen ihnen gehören. Die Leute haben das Gefühl, dass die staatlichen Dinge dem Staat gehören und also irgendwo da oben angesiedelt sind, wohingegen ich hier unten bin und nichts habe. Was ich tun kann, ist aufzusteigen, wenn ich es schaffe und wenn ich mir etwas vom Staat zu meinen Gunsten nehmen kann, dann nehme ich es", fügte er hinzu.
- Die kubanische Gesetzgebung verbietet Zwangsernährung.