Honduras

Putschist und Präsident

Honduras' Präsident Manuel Zelaya soll in Costa Rica den durch den Militärputsch an die Macht gelangten Roberto Micheletti treffen. Widerstand in Honduras radikalisiert sich

Kann der innenpolitische Konflikt in Honduras nach dem Militärputsch (1) vom 28. Juni doch noch auf diplomatischem Weg beigelegt werden? Erstmals nach dem Staatsstreich gibt es dafür zumindest eine Chance. In Costa Rica sind gestern der gewählte Präsident Manuel Zelaya und der faktische Präsident Roberto Micheletti erst einmal getrennt von Costa Ricas Staatschef und Friedensnobelpreisträger Oscar Arias (2) empfangen worden. Er will beide Akteure zusammenführen und zwei Tage lang die Gespräche moderieren. Aber gibt es überhaupt etwas zu verhandeln? Er sehe die Gespräche als Ausgangspunkt für einen Rückzug der Putschisten, erklärte Zelaya, der auf eine bedingungslose Rückkehr ins Land und ins Amt besteht. Er werde keine Konditionen akzeptieren, sagte Micheletti. Arias steht vor einer denkbar schwierigen Situation.

Micheletti hatte sich im Namen der Putschregierung am Dienstag zwar zu Gesprächen bereit erklärt. Dann aber sandte er andere Signale aus. Wie Präsident Zelaya in Washington nach einem Treffen mit der US-amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton erklärte, verweigern (3) die neuen Machthaber in Honduras seinen Kabinettsmitgliedern die Ausreise. Gegen die Minister der gewählten, aber abgesetzten Regierung bestehen Haftbefehle, hieß es in Tegucigalpa. Betroffen von dem Ausreiseverbot ist vor allem Präsidialminister Enrique Flores Lanza, der nach Willen Zelayas in Costa Rica mit am Verhandlungstisch sitzen sollte. Das Verhalten der Putschisten zeuge davon, dass sie kein Interesse an einer politischen Lösung des Konflikts haben, beklagte Zelaya. Das Gesprächsangebot nahm er dennoch wahr.

Doch die Machthaber in Tegucigalpa dominieren die Situation keineswegs. In letzter Minute war die Reise von Micheletti am heutigen Donnerstag gefährdet, weil das benachbarte Nicaragua ihm den Überflug verwehrte. Nach dem Militärputsch war es zu gefährlichen Drohgebärden der Interimsregierung gegen das Nachbarland gekommen: Micheletti unterstellte der linksgerichteten Staatsführung in Managua eine Mobilmachung gegen Honduras und drohte mit einer militärischen Reaktion.

Auch wenn Roberto Micheletti am Vormittag (Ortszeit) in Costa Rica eintraf - ohne Nicaragua überflogen zu haben -, stehen ihm schwierige Gespräche bevor: Vermittler Arias hatte bereits am Mittwoch angekündigt (4), seine Gäste würden "nicht auf gleicher Augenhöhe" verhandeln. Er erwarte "Präsident Zelaya" und "Roberto Micheletti" zum Gespräch.

Putschgegner in Honduras weiter auf der Straße

Auch in Honduras dauert der Widerstand gegen die "De-Facto-Regierung", so die gängige Formulierung in der spanischsprachigen Presse, an. Ein Protestbündnis aus rund 100 Organisationen, Initiativen und politischen Parteien hält auch gut eineinhalb Wochen nach dem Staatsstreich die Demonstrationen und einen Generalstreik aufrecht. Der Arbeitsausstand zeigt bislang relativ wenig Wirkung, weil die ärmeren Zelaya-Unterstützer und die eher wohlhabenden Unterstützer der Putschisten nicht nur eine soziale Kluft trennt. Die Bevölkerungsschichten leben auch geografisch getrennt.

Dennoch ist der Druck durch die Proteste groß. Täglich versammeln sich tausende Anhänger der gewählten Regierung in der Hauptstadt Tegucigalpa und im nördlichen San Pedro Sula, einem relativ wichtigen Industriestandort des armen Landes, um für die "Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung" zu protestieren. Ihr Bündnis nannte sich zunächst "Volkswiderstandsfront". Inzwischen wurde es in Nationale Front gegen den Staatsstreich (5) umbenannt. Mit dabei sind die drei großen Gewerkschaftsverbände und linke Oppositionsparteien. Sie fordern (6) die Wiedereinsetzung des Präsidenten, die Rückkehr zur Demokratie und ein Ende der Gewalt.

Die bewaffneten Organe, mehrheitlich noch von den Putschisten kontrolliert, gehen indes mit zunehmender Härte gegen die Gegner des Micheletti-Regimes vor. Am Sonntag wurde nahe des internationalen Flughafens von Tegucigalpa, wo die Menschen auf die Rückkehr Zelayas warteten, ein Jugendlicher erschossen ( Erster Toter nach Militärputsch in Honduras (7)). Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geht von einer "exzessiven Gewaltanwendung" aus und bestätigt (8) ein Todesopfer sowie zehn Verletzte. Angaben über ein weiteres Todesopfer sind gesichert: Ein Mitarbeiter der Telekommunikationsbehörde war bereits vor Tagen von einem Armeefahrzeug überrollt worden.

Die Dunkelziffer der Todesopfer seit dem Putsch ist vermutlich höher: Die guatemaltekische Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú nannte (9) gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur ANSA die Zahl von sechs "extralegalen Hinrichtungen". Diese Angabe deckt sich mit Informationen sozialer Organisationen aus Honduras. Aus dem Ausland kann man sich derzeit nur schwer ein Bild der Lage machen: Auch wenn eine allgemeine Nachrichtensperre aufgehoben wurde, werden putschkritische Medien permanent bedroht (10). Die großen privaten Medienhäuser stehen dem Micheletti-Regime nahe. Vertreter der Protestbewegung werfen ihnen vor, für die Machthaber kritische Informationen zu verschweigen (11).

Soziale Bewegungen radikalisieren sich

Trotz zunehmender Repression und des Drucks auf oppositionelle Medien zeigt der anhaltende Widerstand, wie sehr sich die Putschisten in Honduras verkalkuliert haben. "Wir sind nicht mehr im Jahr 1978, als es hier den letzten Militärputsch gegeben hat", sagte die in Honduras bekannte Aktivistin Bertha Oliva, Präsidentin des "Komitees der Angehörigen von Gefangenen und Verschwundenen". Damals, so Oliva, hätten sich Aktivisten und Oppositionelle nach dem Umsturz versteckt: "Heute gehen sie auf die Straße und leisten Widerstand, um ihre Rechte einzufordern."

Für die derzeitigen Machthaber eine schwierige Situation: Sie haben sich gemeinsam mit Militär und Unternehmerverbänden gegen Zelaya erhoben, weil dieser am 28. Juni, dem Tag des Putsches, eine Befragung (12) darüber durchführen wollte, ob zunächst Ende November parallel zu den regulären Wahlen ein Plebiszit über die Einrichtung einer verfassunggebenden Versammlung stattfinden soll. Dann suchte Zelaya gegen den Widerstand des Parlaments und des Obersten Gerichts die Befragung schon früher durchzuführen. Die Forderung nach einer solchen Erneuerung des Grundgesetzes war vor allem aus sozialen Organisationen erhoben worden. Über 400.000 Unterschriften hatten sie zusammengetragen, um das Ansinnen zu unterstützen.

Nach dem Putsch nun beharren die Mitglieder der "Volksfront gegen den Staatsstreich" umso mehr auf ihren politischen Ziele. Im Gespräch mit dem venezolanischen Radiosender YVKE Mundial forderte (13) der Gewerkschaftsführer Samuel Montes nicht nur die Rückkehr Zelayas. Alle beteiligten Staatsorgane müssten wegen Hochverrats zur Rechenschaft gezogen werden. "Das betrifft unter anderem 123 der Abgeordneten des Nationalkongresses", so Montes. Da der Staat nach einem solchen Schritt aber nicht mehr handelungsfähig wäre, gelte es umso mehr, eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen, die - wie zuvor in Venezuela, Bolivien und Ecuador - bis zu Neuwahlen die Rolle der Legislative übernimmt.

Solche Forderungen belegen eine deutliche Radikalisierung der sozialen Bewegungen, die Zelaya trotz seines Linksrucks bislang nur verhalten unterstützt hatten. Allein die Diskussion über eine mögliche Amnestie (14) für die Putschisten und ihre Unterstützer in Kongress, Armee und in der Judikative haben in Honduras wütende Proteste ausgelöst. Auch das trägt zur Verhärtung bei: Die Mitglieder des Micheletti-Regimes wissen, dass sie nach einem etwaigen Rückzug mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen haben.

Gefahr für die regionale Stabilität

In der internationalen Berichterstattung weitgehend unbeachtet blieben in den vergangenen Tagen die regionalpolitischen Gefahren des Militärputsches in Honduras. Schon in den ersten Stellungnahmen nach dem Staatsstreich am 28. Juni machten Micheletti und seine Mitstreiter durch eine aggressive nationalistische Rhetorik von sich reden. Der Außenminister der De-facto-Regierung, Enrique Ortéz, bezeichnete (15) US-Präsidenten Barack Obama in der vergangenen Woche als "Negerchen (negrito), der von nichts Ahnung hat". Die Kritik des spanischen Premierministers José Luis Rodríguez Zapatero am Staatsstreich kommentierte der 77-jährige Karrierediplomat mit der Bemerkung (16): "zapatero a tus zapatos", etwa: Schuster bleib bei deinen Leisten.

Am Sonntag dann sprach Roberto Micheletti in einer Pressekonferenz, die live vom lateinamerikanischen Fernsehsender Telesur übertragen wurde, von der Mobilisierung nicaraguanischer Truppen an der Grenze zu Honduras. Einzelne Kommandos seien in Nicaragua entlang der 922 Kilometer langen Grenze in Stellung gebracht worden. Seine Regierung werde sich zu verteidigen wissen, fügte er an. Die Behauptung wurde aus Nicaragua von Präsident Daniel Ortega und dem Oberkommandierenden der Truppen, Brigadegeneral Adolfo Zepeda, umgehend dementiert (17). Der Vorfall warf aber ein Schlaglicht auf die Gefahr, die vom Putschregime ausgeht.

In Lateinamerika wächst nach solchen Äußerungen die Befürchtung, dass sich der Militärputsch in Honduras auch gegen die linksgerichteten Staaten in der Region richtet. Der Umsturz sei ein Angriff auf die Mitglieder des Staatenbundes Bolivarische Allianz für Amerika, sagte (18) die venezolanische Kommunikations- und Informationsministerin Blanca Eekhout am Dienstag. Aus der Sicht der Oberschicht sei es das Vergehen Zelayas gewesen, den Mindestlohn in Honduras angehoben sowie Alphabetisierungs- und Gesundheitsprogramme initiiert zu haben. Auch der Botschafter von Honduras in Venezuela, Germán Espinel, sieht (19) diese ersten sozialpolitischen Erfolge nun in Gefahr: "Mit der ALBA hatten wir uns darauf vorbereitet, das Land von Analphabetismus zu befreien", sagt er. 60 Prozent des Territoriums seien "mit Unterstützung aus Kuba, Venezuela und anderen Ländern der Allianz" bereits alphabetisiert worden. Auch habe es Programme zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung gegeben. Und Honduras habe seine Währung dank der finanzpolitischen Zusammenarbeit zwischen den ALBA-Staaten nicht abwerten müssen.

Nicht nur diese Kooperation wurde mit dem Militärputsch am 28. Juni jäh beendet. Honduras ist pro tempore auch aus der Organisation Amerikanischer Staaten ausgeschlossen. Die EU hat Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen eingestellt. Der Druck auf den "Interimspräsidenten" Roberto Micheletti ist bei den Verhandlungen in Costa Rica also groß.


LINKS

  1. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30636/1.html
  2. http://www.casapres.go.cr/
  3. http://www.prensa-latina.cu/index.php?option=com_content&task=view&id=99184&Itemid=1
  4. http://www.nacion.com/ln_ee/2009/julio/09/pais2022195.html
  5. http://contraelgolpedeestadohn.blogspot.com/2009/07/comunicado-no7.html
  6. http://www.quiendebeaquien.org/spip.php?article1540
  7. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30662/1.html
  8. http://www.hrw.org/en/news/2009/07/08/honduras-evidence-suggests-soldiers-shot-unarmed-crowd
  9. http://www.ansa.it/ansalatina/notizie/notiziari/amcentr/20090708224634911485.html
  10. http://www.abn.info.ve/noticia.php?articulo=189407&lee=16
  11. http://www.abn.info.ve/noticia.php?articulo=188274&lee=16
  12. http://www.jornada.unam.mx/2009/06/27/index.php?section=mundo&article=020n1mun
  13. http://www.radiomundial.com.ve/yvke/noticia.php?28180
  14. http://www.prensa-latina.cu/index.php?option=com_content&task=view&id=97273&Itemid=1
  15. http://www.google.com/hostednews/afp/article/ALeqM5ggx1VZ-99N2wdPyGwPvwdCdXaNmg
  16. http://www.abc.es/20090705/internacional-iberoamerica/gobierno-golpista-llama-obama-200907051735.html
  17. http://www.adn.es/politica/20090706/NWS-2416-Nicaragua-Honduras-Ejercito-frontera-mantiene.html
  18. http://minci.gob.ve/noticias/1/190288/el_golpe_de.html
  19. http://www.abn.info.ve/noticia.php?articulo=190095&lee=16

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