Brasilien / Venezuela

Zwei Reisen, zwei Wege

Hugo Chávez und Luiz Inácio Lula da Silva waren Anfang August in Lateinamerika unterwegs. Ihre Ziele standen sich diametral entgegen

Eines der wichtigsten Ereignisse der vergangenen Tage wurde von vielen Beobachtern und Analysten - vielleicht bewusst - nicht behandelt. Das Schweigen mag darauf zurückzuführen sein, dass die Rundreisen zweier bedeutender politischer Protagonisten die Schwierigkeiten bei der regionalen Integration unter Beweis stellten. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva besuchte fünf Staaten: Mexiko, Honduras, Nicaragua, Panama und Jamaika. Venezuelas Staatschef Hugo Chávez war zur selben Zeit in Argentinien, Uruguay, Ecuador und Bolivien zu Gast, um Abkommen zur regionalen Integration zu unterzeichnen.

Für Lula war es so etwas wie seine zweite "Äthanol-Tour". Die erste hatte der US-amerikanische Präsident George W. Bush Anfang Mai absolviert. In Brasilien unterzeichnete er damals weitreichende Abkommen zur Förderung des Biotreibstoffs. Lulas Aufgabe war es nun, brasilianischen Unternehmer dabei zu helfen, mit Zuckerrohr betriebene Äthanol-Anlagen in zentralamerikanischen Staaten zu errichten. In Mexiko, der ersten Etappe seiner Reise, schloss er zudem eine Vereinbarung zwischen der dortigen staatlichen Erdölgesellschaft Pemex und dem brasilianischen transnationalen Unternehmen Petrobras, über die Erschließung und Förderung von Erdöl im Golf von Mexiko.

Die ablehnende Reaktion der mexikanischen Linken war deutlich. Oppositionsführer Andrés Manuel López Obrador, der 2006 einem Wahlbetrug zugunsten des aktuellen Präsidenten Felipe Calderón zum Opfer fiel, warnte davor, dass Petrobras als Instrument zur schleichenden Privatisierung von Pemex missbraucht werden könnte. Dieses Ziel steht schließlich ganz oben auf der Wunschliste der Transnationalen, konnte bisher aber vom breiten Widerstand der mexikanischen Bevölkerung aufgehalten werden. Zunächst käme Petrobras, dann die multinationalen Konzerne, so Obrador.

Während Lula in Jamaika ein zweistaatliches Joint Venture zur Äthanol-Produktion einweihte, erinnerte die brasilianische Tageszeitung "Folha de São Paulo" an die Hintergründe seiner Politik: "Das Interesse liegt darin, Zentralamerika als Exportplattform für die Vereinigten Staaten zu nutzen. Diese Staaten sind Teil eines Freihandelsabkommens mit den US-Amerikanern und daher keinen Exportgrenzen für Äthanol unterworfen." Brasilien liefert die Technologie und das Kapital, die Zentralamerikaner die Halbsklaven auf den Zuckerfeldern.

Die Rundreise von Chávez unterschied sich in dieser Hinsicht erheblich von der Tour Lulas. In Argentinien schloss er ein Abkommen mit seinem dortigen Amtskollegen Néstor Kirchner über den Kauf von Staatsanleihen in Höhe von umgerechnet 500 Millionen US-Dollar, noch einmal so viele Papiere sollen in den kommenden Monaten übernommen werden. Das Abkommen ist für Buenos Aires besonders wichtig, weil die Regierung nach der Krise 2001 international als "kreditunwürdig" gilt. Zudem vereinbarte Chávez den Bau einer Gasumwandlungsanlage für venezolanisches Flüssiggas in der Bahía Blanca. Das Projekt wurde mit der ernsten Energiekrise begründet, unter der Argentinien leidet. In Uruguay schloss Chávez mit Präsident Tabaré Vázquez ein Abkommen über Energiesicherheit und die Kooperation der beiden Staatsunternehmen Ancap (Uruguay) und PdVSA (Venezuela).

In Ecuador schließlich verpflichtete sich Chávez zum Bau einer Raffinerie in der Provinz Manabí. Die Investitionen belaufen sich auf umgerechnet 500 Millionen US-Dollar. Die Anlage soll 300.000 Barrel Erdöl (1 Barrel = 159 Liter) täglich verarbeiten. Es wäre die größte Raffinerie an der Pazifikküste.

Und auch in Bolivien brachte der venezolanische Präsident das Projekt zur Gründung eines binationalen Erdölkonzerns mit Beteiligung von YPFB (Bolivien) und der PdVSA auf den Weg. "Petroandina" soll nach Gründung umgerechnet 600 Millionen US-Dollar zur Erschließung neuer Erdgasvorkommen in Bolivien investieren. Es ist ein wichtiger Schritt bei der Wiedererlangung der Verfügungsgewalt des bolivianischen Staates über seine natürlichen Ressourcen.

Trotz der vielen Abkommen waren die Probleme allgegenwärtig, denen Venezuela sich beim Beitritt in das regionale Freihandelsabkommen Mercosur ausgesetzt sieht. Bis jetzt haben Argentinien und Uruguay der Aufnahme zugestimmt, aber die von der Rechten dominierten Parlamente in Paraguay und Brasilien setzten auf eine Verzögerungstaktik. In Argentinien äußerte sich Chávez am 8. August zu den Zerwürfnissen zwischen Venezuela und Brasilien. Diese seien nicht auf einen "Konflikt zwischen den politischen Führungen beider Länder" zurückzuführen, sagte Chávez laut der Tageszeitung "Página 12". Es gehe vielmehr um eine "Konfrontation zweier energiepolitischer Modelle".

In der Tat: Auf der einen Seite setzt sich Venezuela für eine Integration ein, die auf der gemeinsamen Nutzung von Erdgas und Erdöl beruht und die so die energetische Unabhängigkeit der Staaten der Region gewährleistet. Auf der anderen Seite steht das brasilianische Interesse, die Zusammenarbeit auf der Basis einer gemeinsamen Äthanolwirtschaft auszuweiten. Diese Politik kommt den Interessen der USA entgegen.

Übersetzung und Bearbeitung: Harald Neuber.

Um den Originalbeitrag zu lesen, klicken Sie bitte hier

Siehe auch:

Auf Missionsreise für den Agrosprit (taz, 11.08.2007)