International

Mehr als nur zwölf Namen

Vertreter der venezolanischen Regierung und europäischer Linksparteien berieten in London Zusammenarbeit

mehr-als-nur-zwolf-namen.jpg

Mehr als nur zwölf Namen
Freund Venezuelas: Londons Bürgermeister Ken Livingstone

London. Als im April 2002 in Venezuela rechte Militärs gemeinsam mit dem Unternehmerverband gegen die Regierung von Präsident Hugo Chavez putschten, war ihr größter Vorteil der Überraschungseffekt. Auf Regierungsseite aber herrschte Panik. "Um 1 Uhr morgens hatten wir uns im Präsidentenpalast Miraflores versammelt, um die Lage zu beraten", erinnert sich Temir Porras, der heute Büroleiter des Außenministers Nicolas Maduro ist. Der Präsident war wenige Stunden zuvor entführt worden, und die Putschisten drohten, das Gebäude zu stürmen, in dem sich Kabinettsmitglieder verschanzt hatten. Die Presse wurde bereits zensiert. Dann kam ein Vorschlag aus der Runde. Man solle die Freunde im Ausland anrufen. "Nach ein paar Minuten hatten wir zwölf Namen auf unserer Liste", so Porras. Der Erfolg hielt sich zunächst in Grenzen. "Als wir die erste Nummer anriefen, um von dem Putsch zu berichten und um Hilfe zu bitten, hörten wir eine Bandansage: ›Das ist Noam Chomskys Mailbox. Bitte hinterlassen sie eine Nachricht‹". In diesem Moment sei ihnen die Bedeutung internationaler Solidaritätsgruppen schlagartig klar geworden.

Linke Allianzen schaffen

Die Anekdote trug Porras gut 200 Gästen vor, die am Samstag zu einer Konferenz "für konstruktive Beziehungen zwischen Europa und Venezuela" nach London gekommen waren. Die Gruppe der "Freunde Venezuelas" in der sozialdemokratischen Labour-Partei, die Zeitung Le Monde diplomatique und französische Aktivisten hatten zu dem ersten Treffen dieser Art geladen. Unterstützt wurde es vom Informationszentrum Venezuela, einer Nichtregierungsorganisation mit Sitz in London. Gleich zur Eröffnung machte der Bürgermeister der britischen Hauptstadt, Ken Livingstone, die Zielrichtung deutlich. Es gehe darum, linke Allianzen zu schaffen, sagte der "Rote Ken", dessen Vortrag immer wieder von Beifall unterbrochen wurde. Schließlich könne man viel von Venezuela lernen. So werde in der europäischen Presse derzeit kritisiert, dass im Rahmen der Verfassungsreform die Autonomie der venezolanischen Zentralbank aufgehoben werden soll. Gerade das sei aber eine alte Forderung der Linken, sagte Livingstone, der darauf hinwies, dass die Bank of England noch in den vierziger Jahren Geld an Nazideutschland geschickt habe. Mit einer stärkeren Kontrolle des Hauses durch die Regierung wäre das wohl nicht geschehen.

Solche Beiträge bestimmten die Konferenz. Vertreter linker Parteien aus ganz Europa bestätigten sich darin, dass die Zusammenarbeit mit Venezuela ausgebaut werden müsse. Auch Francis Wurtz, der Präsident der Fraktion der Vereinigten Linken im EU-Parlament, sagte: "Die Entwicklung in Venezuela gibt uns in Europa Hoffnung". Der Labourabgeordnete Jeremy Corbyn meinte, dass Venezuela den "historischen Kampf für Gerechtigkeit" fortsetze. Es seien einfache Erkenntnisse, die von Venezuela aus den Weg nach Europa fänden: "Dass Kinder nicht arbeiten, sondern zur Schule gehen sollten", so Corbyn, "oder dass schwangere Frauen nicht sterben dürften, weil das Gesundheitssystem nicht funktioniert." Der Erfolg der "bolivarischen Revolution" strahle daher auch auf die Industriestaaten aus.

Kooperation als Chance

Francoise Castex von der französischen Sozialistischen Partei wies auf die Lehren für Europa hin. Eine neue Sozialpolitik wie in Venezuela wäre in der EU nicht mehr möglich, wenn eine Verfassung der Union verabschiedet würde, denn in allen bisherigen Entwürfen sei die neoliberale Ordnung festgeschrieben worden. "Eine solche EU-Verfassung würde es uns von vornherein verbieten, stärker in die Wirtschaft einzugreifen", so Castex, die darauf verwies, dass in Venezuela erst durch den Rückgriff auf die Milliardeneinkommen der Erdölindustrie soziale Programme finanziert werden können.

In London hat sich gezeigt, dass linke und linksreformistische Kräfte die Zusammenarbeit mit Venezuela als Chance begreifen. Der Londoner Bürgermeister Livingstone hat von sich reden gemacht, als er im Sommer einen Kooperationsvertrag mit Venezuela abschloss. Aus dem südamerikanischen Land wird seither Erdöl nach London verschifft. Dadurch können nun im Personennahverkehr der britischen Hauptstadt Sozialtickets angeboten werden. Im Gegenzug schickt die Londoner Verwaltung Experten nach Venezuela, um Stadtentwicklungsprojekte zu unterstützen. Nicht nur dem konservativen Gegenspieler des Bürgermeisters, Boris Johnson, ist diese Zusammenarbeit ein Dorn im Auge. Johnson hat bereits angekündigt, das Abkommen sofort aufzukündigen, sollte er an die Macht kommen.


Den Originalbeitrag der Tageszeitung junge Welt finden sie hier.