Brasilien / Politik

Brasilien: Haftbefehl gegen Lula da Silva, Proteste im ganzen Land

Vollstreckung angeordnet. Lula stellt sich nicht, Zehntausende blockieren Gewerkschaftssitz zu seinem Schutz. Landesweit Straßen und Flughäfen gesperrt

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Tausende blockieren den Sitz der Metallarbeitergewerkschaft  im Süden von São Paulo, wo Lula sich derzeit aufhält
Tausende blockieren den Sitz der Metallarbeitergewerkschaft im Süden von São Paulo, wo Lula sich derzeit aufhält

Curitiba/ São Paulo. Der frühere Präsident (2003–2011) von Brasilien und derzeit aussichtreichste Präsidentschaftskandidat Luiz Inácio Lula da Silva hat sich geweigert, sich der Polizei in Curitiba zu stellen. Er hält sich im Sitz der Metallarbeitergewerkschaft in São Bernardo do Campo im Süden von São Paulo auf, der seit Donnerstag Nacht von tausenden Arbeitern blockiert wird, um seine Verhaftung zu verhindern. Landesweit finden Proteste statt.

Die Staatsanwaltschaft hatte am Donnerstag Haftbefehl erlassen. Der zuständige Richter Sérgio Moro hatte ordnete an, dass Lula sich bis Freitag um 17 Uhr Ortszeit (22 Uhr MEZ) auf der Wache der Bundespolizei in Curitiba stellen soll. Dafür würden ihm Handschellen erspart bleiben, so Moro. Mit Ablauf der Frist teilte da Silva mit, dass er sich nicht selbst stellen werde. Es wird aber erwartet, dass er sich am Samstag Mittag ausliefern wird, um eventuelle Konfrontationen zu vermeiden.

Angesichts der Massen vor dem Gewerkschaftssitz haben sich die zuständigen Kommissare der Bundespolizei (PF) entschieden, den Haftbefehl nicht mit Gewalt durchzusetzen. Laut Einschätzung der verantwortlichen Beamten könnte die Operation Konfrontationen provozieren und sogar "Menschenleben riskieren". Gegen 20 Uhr Orstzeit erklärte die PF, dass angesichts des Widerstandes keine Bedingungen für eine Festnahme bestünden. Ein Versuch der Festnahme würde frühestens am heutigen Samstag erfolgen.

Die Ausstellung des Haftbefehls erfolgte nur 19 Minuten nachdem das Oberlandesgericht in Porto Alegre den Antrag auf Vollstreckung des Urteils bestätigt hatte. Die Kürze der Zeit überraschte selbst die Richter. Denn damit blieb der Verteidigung keine Zeit, weitere Rechtsmittel am Obersten Bundesgericht (STF) abzuwarten. Lulas Anwalt Cristiano Zanin Martins sprach von einer "parteiischen Entscheidung". Der Zeitung El País zufolge hatte Bundesstaatsanwalt Mauricio Gotardo Gerum darauf gedrängt, dass der Haftbefehl "unverzüglich erfolgen soll, damit sich nicht erst der Eindruck einer Allmacht Lulas breitmacht". Damit überging die Behörde die Entscheidung des Oberlandesgerichtes in Porto Alegre, die ihm noch eine Frist von einer Woche für mögliche Rechtsmittel eingeräumt hatte.

Nach der Entscheidung spitzte sich die Lage landesweit zu. Tausende folgten den Protestaufrufen von Gewerkschaftsverbänden, Land- und Wohnungslosenbewegung und linken Parteien. Immer mehr Menschen strömten während der Nacht vom Donnerstag auf Freitag vor den Sitz der Metallarbeitergewerkschaft.

Der Vorsitzende der Wohnungslosenbewegung (MTST) und Präsidentschaftskandidat der Sozialistischen Partei, Guilherme Boulos rief alle Mitglieder dazu auf, sich nach São Bernardo do Campo zu begeben. Dort gelte es den "Schützengraben des demokratischen Widerstands" zu verteidigen, so Boulos per Twitter. "Wir werden nicht passiv zuschauen. Es wird demokratischen Widerstand geben."

Medienberichten vom Freitagnachmittag zufolge kam es auf 17 Autobahnen landesweit zu  Blockaden durch Anhänger des Linkspolitikers. Bei einer Straßenbarrikade von Mitgliedern der Landlosenbewegung MST unter dem Motto "Lula vale a luta" (Lula lohnt den Kampf) wurde eine Aktvistin durch einen Schuss aus einem Fahrzeug verletzt. Den Protestmärschen des Gewerkschaftsverbandes (CUT) schlossen sich tausende Menschen an. Am Nachmittag beschlossen auch die Arbeiter der Volkswagenwerke, sich dem Protest für den früheren Kollegen anzuschließen. Anhänger der Arbeiterpartei (PT) warfen am Freitagabend Farbeier an die Fassade des Wohnhauses der Vorsitzenden des Obersten Bundesgerichts, Carmen Lúcia Antunes Rocha, in Belo Horizonte.

Die Vorsitzende der PT, Gleisi Hoffmann, versicherte nach einer Krisensitzung des Vorstandes am Freitag, die Arbeiterpartei halte an Lulas Kandidatur weiterhin fest: "Präsident Lula ist unser Kandidat, weil er unschuldig ist. Seine Kandidatur ist nicht mehr nur Sache der Arbeiterpartei, sondern eines bedeutenden Teils der brasilianischen Bevölkerung."

Der Oberste Gerichtshof in Brasília hatte am Mittwoch in einer international viel beachteten Marathonsitzung von gut elf Stunden grünes Licht für die Inhaftierung Lulas gegeben. Sechs der elf Richter stimmten dafür, die Haftanweisung aus der zweiten Instanz für den 72-jährigen Politiker zu vollstrecken. Sie wiesen damit einen Antrag der Anwälte des linksgerichteten Politikers zurück, diese  in einem sogenannten Habeas-Corpus-Verfahren bis zur Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten auszusetzen.

Lulas Anwälte brachten den Fall am Freitag erneut vor den Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen mit dem Ziel, die Festnahme doch noch zu verhindern. Die Verteidigung bezieht sich auf Argumente, die auch bei jüngsten Entscheidung am Obersten Gerichtshof über eine wesentliche Rolle spielten. Die Befürworter von Lulas Antrag hatten in seiner Inhaftierung vor Ausschöpfung aller Rechtsmittel einen möglichen Verstoß gegen die Menschenrechte gesehen.