Brasilien: Zivilgesellschaft und indigene Bevölkerung gestalten neue Regierung mit

Mitarbeit in insgesamt 31 Arbeitsgruppen zu relevanten gesellschaftlichen Themenbereichen. AG Indigene Völker erarbeitet Leitlinien für neues Ministerium

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Die indigenen Abgeordneten Sônia Guajajara (PSOL), Joênia Wapichana (Rede) und Célia Xakriabá (PSOL) sind Teil des Lula-Übergangsprozesses
Die indigenen Abgeordneten Sônia Guajajara (PSOL), Joênia Wapichana (Rede) und Célia Xakriabá (PSOL) sind Teil des Lula-Übergangsprozesses

Brasília. Der Regierungsübergang vom scheidenden Amtsinhaber Jair Bolsonaro zum designierten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva ist in vollem Gange. Neben Treffen zwischen Lulas Übergangsteam mit Mitgliedern der Bolsonaro-Regierung wurden zudem 31 Arbeitsgruppen (AG) eingerichtet, um den Übergang zu gestalten.

Die Gruppen haben die Aufgabe, bis zum 1. Januar 2023 Vorschläge zu Kernthemen wie Landwirtschaft, Gesundheit, Soziales, die indigene Bevölkerung oder Umwelt zu erarbeiten. Auch soziale und indigene Akteur:innen werden in verschiedene Arbeitsgruppen einbezogen. Bis zum 30. November sollen sie einen ersten Bericht vorlegen.

Vergangene Woche fand ein Treffen mit Vertreter:innen von sozialen Bewegungen statt, die in den Übergang einbezogen werden. Gleisi Hoffmann, Vorsitzende der Arbeiterpartei PT und Koordinatorin des "politischen Übergangsprozesses" hatte dazu mehrere Sprecher:innen von Bewegungen nach Brasília eingeladen.

Neben Guilherme Boulos von der Wohnungslosenbewegung (MTST) waren auch Sprecher:innen der Nationalen Konföderation der Landarbeiter und Familienbauern, der Frente Popular Brasil (FBP), und der Frente Povo sem Medo (FPSM) bei dem Treffen dabei. Letztere gehören zu den beiden repräsentativsten sozialen Organisationen des Landes, die jeweils mehrere Bewegungen, Gewerkschaften, Kollektive und andere Akteur:innen vereinen.

"Dies ist der Moment, die Bewegungen zu beglückwünschen, die (Lulas) Wahlkampf aufgebaut haben. Jetzt die Möglichkeit zu haben, einen institutionellen Dialog zu führen, den wir mit der Regierung seit so vielen Jahren nicht hatten, ist eine große Freude", erklärt der Aktivist und Sekretär von FBP und FPSM, Marcelo Fragozo, gegenüber Brasil de Fato.

Ein Thema, das auf der Tagesordnung stand, war die Mobilisierung der Bevölkerung für eine "große Volksdemonstration" zu Lulas Amtseinführungszeremonie am 1. Januar 2023 in der Hauptstadt Brasília. Weitere relevante Themen wurden nicht diskutiert, sodass das Treffen eher eine symbolische Bedeutung hatte. Die für die Bewegungen wichtigen Anliegen sollen in die Arbeit der 31 AGs einfließen. So arbeiten ihre Vertreter:innen unter anderem in den AGs für landwirtschaftliche Entwicklung, Bildung und Rassengleichheit (Igualdade racial) mit.

Auch indigene Vertreter:innen gestalten den Übergangsprozess und die neue Regierung mit. Fest steht bereits, dass ein neues Ministerium geschaffen werden soll, das Aufgaben in Bezug auf indigene Völker und Quilombolas übernimmt. Auf dem Weg dahin wurde im Rahmen des Übergangsprozesses eine AG für Indigene eingerichtet. In dieser sind unter anderem die gewählten Abgeordneten Sônia Guajajara und Célia Xakriabá (beide PSOL) sowie Joênia Wapichana (Rede), die erste indigene Abgeordnete des Landes, vertreten.

Anfang der Woche fand das erste Treffen in Brasília statt. Zuvor übte der Dachverband "Koordination Indigener Völker Brasiliens" (Apib) Kritik an der Besetzung der Gruppe. Diese habe "einige Lücken" aufgewiesen, sodass der Verband vergangene Woche Geraldo Alckmin, designierter Vizepräsident und Leiter des Übergangsprozesses, eine Liste mit 19 zusätzlichen Namen übermittelte.

Die AG wies unter anderem eine regionale Unterrepräsentation auf, da die ersten Mitglieder hauptsächlich aus dem Südosten des Landes stammen. Auch fehlten laut Apib Führungspersönlichkeiten von isoliert lebenden Völkern oder solchen, die erst seit kurzem in Kontakt getreten sind. "Es ist wichtig, darauf hinzuweisen. Nicht alle indigenen Vertreter sind sich dieses Themas bewusst", kritisierte Beto Marubo, Mitglied der Union der indigenen Völker des Javari-Tals (Univaja).

Auch Juliana Cardoso (PT), Stadträtin und eine von fünf Indigenen, die in das Parlament einziehen werden, sieht die erste Besetzung kritisch: "Wir müssen darauf achten, dass wir uns um unsere isolierten Menschen kümmern, die isoliert bleiben wollen, ohne den Einfluss von außen." Für Cardoso muss die Arbeit der AG, die zur Schaffung des neuen Ministeriums führen soll, Leitlinien für die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen aufzeigen. "Wir werden dafür kämpfen müssen, dass unser Ressort mit den nötigen Haushaltsmitteln ausgestattet wird. Wir können uns nicht nur auf Gelder aus dem Ausland verlassen."

Sônia Guajajara zufolge soll das künftige Ministerium eine koordinierende Rolle mit anderen Ressorts und internationalen Akteur:innen einnehmen. Entgegen ersten Vermutungen soll die Funai, die Nationale Indigenenbehörde, nicht zu einem Ministerium aufgewertet werden, sondern "im Prinzip" im Justizministerium verbleiben. Auch das Sondersekretariat für indigene Gesundheit soll im Gesundheitsministerium verbleiben.