In Argentinien sollen untere Einkommensschichten bessergestellt werden

Regierung nutzt ungewöhnlich großen Spielraum der IWF-Vereinbarungen für sozialen Ausgleich. Wirkung gegen Vorsprung der Rechten im Wahlkampf fraglich

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Präsidentschaftskandidat Sergio Massa will den Binnenkonsum ankurbeln
Präsidentschaftskandidat Sergio Massa will den Binnenkonsum ankurbeln

Buenos Aires. Die argentinische Regierung hat verschiedene Ausgleichs- und Zusatzzahlungen auf den Weg gebracht, um die Inflation und die nach den Paso-Vorwahlen erfolgte 22-prozentige Abwertung der Landeswährung auszugleichen. Damit sollen die unteren Einkommen angehoben und der Binnenkonsum angekurbelt werden, was der gesamten Wirtschaft zugutekäme, erklärte Finanzminister Sergio Massa von der peronistischen Gerechtigkeitspartei (PJ). Die Maßnahmen der Regierung folgten direkt auf die Vereinbarungen mit dem Internationalen Währungsfonds, der Argentinien eine Finanzspritze von 7,5 Milliarden US-Dollar gewährte (amerika21 berichtete).

Die Mindestrente wird ab September um 23 Prozent auf umgerechnet rund 230 Euro pro Monat erhöht. Zudem werden die Bezieher:innen staatlicher Renten und Pensionen drei Monate lang eine Sonderzahlung von jeweils 37.000 Pesos (etwa 95 Euro) erhalten und können zu einem rund 75 Prozent günstigeren Zinssatz Kleinkredite bis zu rund 1.000 Euro bei der Nationalbank aufnehmen. Dieselbe Gruppe bekommt bei Einkäufen mit Kreditkarte vom Staat Teile der Mehrwertsteuer rückerstattet.

Eine weitere Maßnahme ist eine Sonderzahlung von 60.000 Pesos (etwa 160 Euro), die Angestellte mit einem Nettolohn von umgerechnet bis zu 1.050 Euro erhalten, die auf September und Oktober verteilt ausbezahlt wird. Der Bonus wird 390.000 in Behörden sowie rund fünf Millionen in privaten Kleinst- und Kleinunternehmen Beschäftigte begünstigen.

Eine "Ernährungskarte" soll die Lebensmittelversorgung von rund vier Millionen bedürftigen Familien verbessern. Bis zur Erhöhung des Kindergeldes im Dezember um 30 Prozent wird es je nach Familiengröße drei Monate lang Sonderzahlungen zwischen umgerechnet 25 und 65 Euro geben. Schließlich wurde verfügt, dass für untere und mittlere Einkommen die Beiträge zur privaten Krankenversicherung drei Monate lang nicht erhöht werden dürfen.

Beobachter:innen sehen die Regierungsmaßnahmen einerseits als einen notwendigen Einkommens- und Kaufkraftausgleich. Andererseits stünden diese auch im Kontext des Wahlkampfs um die Nachfolge des peronistischen Präsidenten Alberto Fernández. Finanzminister Massa, der als Kandidat des peronistisch geführten Regierungsbündnisses "Unión por la Patria" antritt, hoffe, mit den Sonderleistungen weitere Stimmen in den Unter- und Mittelklassen zu gewinnen.

Die konservative und neoliberale Kandidatin Patricia Bullrich, einst Sicherheitsministerin unter Fernández' Vorgänger Mauricio Macri (2015-2019), wirft der Regierung eine Instrumentalisierung der Maßnahmen vor.

In dem durch den Vorwahlsieg des rechten "Anarcho-Kapitalisten" Javier Milei aufgeheizten Wahlkampf kommt es so zu neuen Konflikten. Etliche von der konservativ-neoliberalen Opposition regierte Provinzen und Kommunen haben angekündigt, ihren eigenen Angestellten die Bonuszahlungen zu verweigern. Sie berufen sich darauf, dass das Regierungsdekret keine Weisung an die Provinz- und Kommunalregierungen enthält.

Die Arbeitgeberverbände wettern gegen die "Zwangsmaßnahme". Sie kritisieren, dass die Sonderzahlungen das mit den Gewerkschaften ausgehandelte Lohnniveau aushebeln würden. Dabei wird allerdings außer Acht gelassen, dass Massa den Bonus als "absorbierbar" ("absorbible") bezeichnet hat. Der jetzige Zuwachs könnte damit theoretisch in zukünftige Lohnabschlüsse integriert und damit "aufgesogen" werden.

Präsident Fernández bezeichnete die Maßnahmen dagegen als "ein bisschen Gerechtigkeit" und rief Opposition und Unternehmen auf, sie in ihren jeweiligen Zuständigkeiten umzusetzen. Da Argentiniens Wirtschaft nach dem auch Corona-bedingten Tiefstand von 2020 jährlich um rund 15 Prozent gewachsen ist, sei die "Stunde des Verteilens" gekommen.

Fraglich bleibt jedoch, ob die Zahlungen und andere Maßnahmen sich bei den Wahlen im Oktober und November auswirken werden. Nach jüngsten Umfragen liegt Milei weiter vorne und würde in der Stichwahl sowohl gegen Massa als auch gegen Bullrich gewinnen.