Argentinien / Politik

Argentinien: Reaktionen auf den Sieg des Ultrarechten Milei bei den Vorwahlen

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Milei im Wahlkampf in Argentinien: Er profitierte von "Wut und Unzufriedenheit" in der Bevölkerung
Milei im Wahlkampf in Argentinien: Er profitierte von "Wut und Unzufriedenheit" in der Bevölkerung

Buenos Aires. Nach dem überraschenden Sieg des ultraliberalen Kandidaten Javier Milei, der bei den Vorwahlen vom 13. August in Argentinien 30 Prozent der Stimmen erreichte, folgen nun die Reaktionen und Auswertungen der Ergebnisse.

Der uruguayische Journalist und Medienwissenschaftler Aram Aharonian vom Lateinamerikanischen Zentrum für strategische Analysen geht in einem Artikel darauf ein.

Während die Verhältnisse zwischen den beiden großen Parteien und den restlichen kleineren ungefähr den Voraussagen entsprachen, hatte jedoch keine von 13 Umfragen einen ersten Platz für Milei vorausgesehen, und nur eine davon einen zweiten Platz.

Es dürfte hauptsächlich Ausdruck der tiefen Wut und Unzufriedenheit mit den Umständen der letzten Jahre sein, was sich hier zeige. Seit der Rückkehr der Demokratie 1983 hatte sich das politische Spektrum hauptsächlich zwischen einem konservativen Liberalismus und dem mal mittig, mal progressiv oder gar revolutionär agierenden Peronismus bewegt. Die politischen "Extremisten" nahmen keinen nennenswerten Platz ein. Dies habe sich nun radikal geändert, das jetzige Ergebnis impliziere einen gewaltigen Rechtsruck.

Auch die Rechtskonservative Allianz unter Patricia Bullrich führte ein neoliberales Programm an, das ohne Repression nicht umsetzbar wäre. Ihre Ansichten decken sich in vielen Punkten mit denen von Milei. Es gab im Vorfeld auch einige Sondierungen, ob man zusammen antreten könnte. Das Programm Mileis ist jedoch wesentlich extremer und scheint größten Teils schlicht nicht durchführbar: Dollarisierung der Wirtschaft, Schließung der Zentralbank, Legalisierung des Organhandels, Privatisierung der Erziehung und der Medizin und im allgemeinen eine radikale Beschneidung des Staates. Es beinhaltet auch viele Programmpunkte ultrarechter Politik wie die Liberalisierung des Waffenbesitzes, das Verbot der Abtreibung sowie eine beträchtliche Rücknahme von sozialen und Minderheitsrechten.

Das Ergebnis sei hauptsächlich "eine historische Demütigung für den Peronismus", der von der Position der (fast) sicheren Mehrheit auf den dritten Platz dreier fast gleichstrarker Blöcke abrutsche. Die "miserable Regierung von Alberto Fernández", mit ihrer Unfähigkeit die Inflation einzudämmen und trotz Wirtschaftswachstums die Einkommensverhältnisse der ärmeren Bevölkerung nicht zu verbessern, trage dabei zweifellos einen Anteil an Verantwortung. Fernández werde inzwischen als Totengräber des Peronismus bezeichnet.

Aber auch für die neoliberale Koalition sei das Ergebnis eine Katastrophe. Vor zwei Jahren hatte sie noch einen Stimmenanteil von 40 Prozent, nun kommt sie in der Summe der Kandidaten kaum auf 28 Prozent. Der interne Machtkampf wird maßgeblich dazu beigetragen haben.

Mileis Tiraden gegen die "politische Kaste" ähnelten denen von Jair Bolsonaro und Donald Trump. Auch wird er von einem überraschend hohen Anteil "einfacher Leute" unterstützt, die im Falle eines Sieges wohl am meisten unter seiner Politik leiden würden.

Zu diesem Punkt äußerte sich der Filmemacher und Schriftsteller César Gonzalez. Er stammt selbst aus ärmsten Verhältnissen und wuchs in den Elendsvierteln von Buenos Aires auf. In einem Interview sprach er über zwei Fälle in seinem direkten Umfeld: Sein kleiner Bruder und seine Großmutter. Letztere wählte Milei auf Empfehlung des evangelikalen Pastors, weil dieser gegen die Abtreibung und die gleichgeschlechtlichen Ehe wäre. Der Bruder, Erstwähler, wählte ihn aus Unzufriedenheit über die Umstände und in völliger Unkenntnis des eigentlichen Wahlprogramms.

Gonzalez sieht dabei eine große Verantwortung der dominanten Medienkonzerne und ihres rechten Diskurses und beklagte, dass die aktuelle Regierung das Mediengesetz nicht wieder eingeführt hat, das von Ex-Präsident Mauricio Macri per Dekret abgeschafft worden war.

In einem Artikel analysiert der stellvertretende Herausgeber der Zeitung Página12, Luis Bruschtein, die Wähler Mileis und gibt deren Wut und Enttäuschung als Hauptgrund an, vermerkt aber ebenfalls, dass die meisten von ihnen sein Programm gar nicht gelesen oder gehört hätten. Dass man in dessen Welt ein "Armutszeugnis" werde haben müssen, um kostenlose Erziehung oder medizinische Behandlung zu bekommen, was sie heute als Grundrechte ansehen, sei ihnen nicht bewusst.

Papst Franziskus äußerte sich ebenfalls in einem Interview zum Fortschreiten der Ultrarechten und konkret zu Javier Milei, und warnte vor "den Rettern ohne Vergangenheit" und machte dabei einen sehr direkten Hinweis auf Adolf Hitler.

Zu beachten ist bei den Ergebnissen der Vorwahl indes, dass nur Zweidrittel der Wahlberechtigten abgestimmt haben. Fast elf Millionen Stimmen wurden nicht abgegeben.