Brasilien: Dachverband der Indigenen zieht sich aus Schlichtungskammer zurück

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Unter Protest verließen die Apib-Delegierten die Schlichtungskammer
Unter Protest verließen die Apib-Delegierten die Schlichtungskammer

Brasília. Am 28. August hat in Brasilien die zweite Anhörung der "Versöhnungskommission" des Obersten Bundesgerichtshofs (STF) zur juristischen These des "Zeitrahmens" für die Anerkennung und den Schutz indigener Territorien stattgefunden. Die wichtigste Organisation zur Interessenvertretung der indigenen Bewegungen, der Dachverband Articulacao dos Povos Indigenas do Brasil (Apib) verließ die Schlichtungskammer und fordert ihre Auflösung.

In dieser Kommission soll eine Lösung im Streit um den Marco Temporal (Zeitrahmen) gefunden werden. Der Marco Temporal ist eine juristische These, die eine Änderung der Politik zur Abgrenzung indigener Gebiete verteidigt.

Das Gesetz, das 2007 formuliert wurde, besagt, dass indigene Völker nur Anspruch auf Territorien haben, wenn sich diese am 5. Oktober 1988, dem Tag der Verkündung der Verfassung, bereits in ihrem Besitz befanden. Diese These ignoriert jedoch unter anderem die kontinuierliche Vertreibung von Indigenen vor 1988.

Artikel 231 der brasilianische Verfassung schreibt den Schutz der indigenen Territorien sowie ein dauerhaftes und exklusives Nutzungsrecht ihrer Gemeinschaften vor. Im September letzten Jahres wurde der "Zeitrahmen" vom Plenum des STF für verfassungswidrig erklärt. Dessen ungeachtet verabschiedete der Senat ebenfalls im September den Gesetzentwurf PL 2903/2023 zum Marco Temporal.

Die Apib strengte beim STF daraufhin eine Klage an, nach der das vom Kongress verabschiedete Gesetz verfassungswidrig sei. Anstatt über den Antrag zu urteilen, beschloss Richter Gilmar Mendes eine "Versöhnungskommission" (Schlichtungskammer) einzusetzen.

Ihr gehören neben den Vertreter:innen indigener Völker auch Parlamentsabgeordnete sowie Politiker:innen wie die ehemalige Landwirtschaftsministerin unter Jair Bolsonaro, Tereza Cristina, und der Präsident der vom Agrobusiness dominierten Fraktion im Kongress an. Nur sechs der 23 stimmberechtigten Mitglieder sollten von der Apib nominiert werden.

Der Dachverband bringt vor, dass Minderheitenrechte nicht derart verhandelt werden könnten, sondern durch das Oberste Gericht geschützt werden müssten. Zudem verstoße diese Form der Entscheidungsfindung gegen die von Brasilien unterzeichnete Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation, die eine Zustimmung der indigenen Völker zu Maßnahmen erfordert, die sie direkt betreffen.

In einem öffentlichen Brief prangerte Apib "die Gewalt seitens des brasilianischen Staates" und "den Versuch einer erzwungenen Schlichtung" an. Es fehle an Rahmenbedingungen für eine Einigung.

Zudem habe der den Fall leitende Richter Diego Viegas drohend geäußert, dass beim Ausscheiden der Apib aus der Kommission andere indigene Völker eingeladen würden. "Apib vertritt die ursprünglichen Völker sowohl für die indigene Bewegung als auch gegenüber dem STF, das bereits seine Legitimität anerkannt hat", betonte dagegen Kleber Karipuna, geschäftsführender Koordinator des Dachverbandes. "Die Entscheidung zum Austritt aus der Kommission wurde nach mehreren Konsultationen mit Organisationen und Führer:innen aus unseren sieben Basisregionen der Bewegung getroffen," so Karipuna weiter.

Maurício Terena, Koordinator der Rechtsabteilung von Apib, fügte hinzu: "Wir waren offen für den Dialog. Apib hat mit Petitionen mehrfach darum gebeten, gleiche Bedingungen für die Mitarbeit an der Kommission zu erhalten. Seit das Land Brasilien heißt, sind indigene Völker mit Verletzungen ihrer Territorien und Rechte konfrontiert. Wir vertrauen dem Kollegium des STF und den Minister:innen, die sich gegen die Marco Temporal-These ausgesprochen haben. Jede Maßnahme dieser Kommission ohne die Beteiligung indigener Völker wäre illegitim."

Der Austritt von Apib aus der Schlichtungskammer änderte indes die Arbeit der "Versöhnungskommission" nicht, die Richter:innen unterbrachen die Sitzung nicht einmal.