In Havanna hat die Ankündigung Barack Obamas und Raúl Castros, die Vereinigten Staaten und Kuba würden zu normalen diplomatischen Beziehungen zurückkehren, Jubel ausgelöst. Die Menschen applaudierten, fielen einander in die Arme, weinten und zogen feiernd durch die Straßen. Überall in der Stadt läuteten die Kirchenglocken. Für die Kubaner war es, als sei ein Krieg vorbei – und in gewisser Weise stimmte das auch. Die Vereinigten Staaten begannen, sich von ihrem 54-jährigen Zermürbungskrieg gegen die kubanische Revolution zu verabschieden und endlich zu akzeptieren, dass Koexistenz vernünftiger ist als ein dauerhaftes Gegeneinander.
Das klägliche Scheitern der lange gepflegten Feindseligkeit war der Hauptgrund für den Politikwechsel der USA gegenüber Kuba. "Wir werden eine überholte Politik beenden, die es über Jahrzehnte hin nicht vermocht hat, unsere Interessen zu fördern", erklärte Obama in seiner Fernsehansprache. "Stattdessen beginnen wir jetzt, die Beziehungen zu normalisieren." Die Tatsache, dass Washington es im Verlauf eines halben Jahrhunderts weder vermochte, Kubas Revolutionsregierung zu stürzen, noch sie den Vereinigten Staaten gefügig zu machen, war sicherlich ein guter, doch noch kein zureichender Grund, es einmal anders zu versuchen. Sonst wäre nämlich die Politik der Feindseligkeit bereits viel früher aufgegeben worden. Es mussten zwei weitere Faktoren hinzukommen, ehe Präsident Obama sich schließlich entschied, mit der Vergangenheit zu brechen: Das innenpolitische Risiko einer Dialogpolitik war gesunken, da sich die Einstellungen unter Kubanoamerikanern gegenüber einer solchen Politik gewandelt hatten. Zugleich wuchsen die diplomatischen Kosten eines Festhaltens am Status quo, da die internationale Opposition – besonders in Lateinamerika – gegen die antagonistische Politik zunahm.
Die Kubanoamerikaner als politischer Faktor
Für die Republikaner war die kubano-amerikanische Community lange so etwas wie eine naturgegebene Wählerklientel in einem umkämpften, strategisch bedeutsamen Bundesstaat. Obwohl die Ansichten der aus Kuba stammenden Amerikaner hinsichtlich sozialer und ökonomischer Fragen denjenigen anderer Latinos gleichen – und daher eigentlich eher der Demokratischen Partei nahestehen müssten –, waren viele von ihnen doch lange Zeit glühende Antikommunisten. Darüber hinaus machten Kubanoamerikaner ihre Wahlentscheidung letztlich von einer einzigen Frage abhängig: Wie steht der Kandidat zu Kuba?
In den 1980er Jahren organisierten Jorge Mas Canosa und andere konservative Vertreter der kubano-amerikanischen Community eine Lobbygruppe, die jeden Versuch bekämpfte, das Verhältnis zu Kuba zu verbessern. Diese Cuban American National Foundation (CANF) dominierte während der folgenden zwanzig Jahre die innenpolitische Debatte über Kuba in den USA. Gut organisiert, eisern entschlossen und mit einer in den wahlpolitischen Schlüsselstaaten Florida und New Jersey konzentrierten Wählerschaft machte die CANF jeden politisch Verantwortlichen gnadenlos fertig, der eine Politik der Verständigung mit Kuba auch nur anzudeuten wagte. Die Stiftungsdirektoren und ihr politisches Aktionskomitee, das Free Cuba PAC, spendeten in jeder Wahlperiode Dutzenden sympathisierender Kongress- und Präsidentschaftskandidaten Hunderttausende Dollar. Im Verlauf zweier Jahrzehnte gründete die CANF den Radio- und Fernsehsender "Martí" und errang eine ganze Reihe politischer Siege, darunter insbesondere den "Cuban Democracy Act" von 1992 und den "Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act" von 1996 (auch als Helms-Burton Act bezeichnet). Ersterer verschärfte das Kuba-Embargo nach dem Niedergang der Sowjetunion in der Hoffnung auf einen Zusammenbruch des kubanischen Regimes.
Die kubano-amerikanische Community war allerdings nie eine solch homogene, geschlossene Einheit, wie Mas Canosa sie darstellte. Nach und nach wandelten sich die politischen Auffassungen, und alternative Stimmen verschafften sich Gehör. Umfragen der Florida International University (FIU) haben den allmählichen Einstellungswandel seit 1991 protokolliert. Zu Beginn der FIU-Umfragen befürworteten 87 Prozent die Fortsetzung des US-Embargos; doch 2014 waren 52 Prozent dagegen und 71 Prozent glaubten nicht mehr an seine Wirksamkeit. Während 1993 noch 75 Prozent der Befragten Lebensmittelverkäufe und 50 Prozent Medikamentenlieferungen an Kuba ablehnten, fand beides 2014 massive Zustimmung – bei 77 und 82 Prozent. Im Jahr 1991 wandten sich 55 Prozent gegen einen uneingeschränkten Reiseverkehr mit Kuba; 2014 war eine klare Mehrheit von 69 Prozent dafür.
Dieser Einstellungswandel lässt sich auf demographische Veränderungen zurückführen. In den 1960er und 1970er Jahren waren die Exilkubaner als politische Flüchtlinge und Castro-Gegner in die Vereinigten Staaten gekommen. Diejenigen, die dann im Zuge der Mariel-Fluchtwelle 1980 und später einreisten, verließen die Insel eher aus wirtschaftlichen Gründen. Die in jüngerer Zeit Hinzugestoßenen und besonders diejenigen, die nach dem Kalten Krieg kamen, blieben viel häufiger mit Verwandten auf Kuba in Verbindung und sind deshalb wahrscheinlich eher einer Politik zugeneigt, die Barrieren gegen familiäre Beziehungen abbaut sowie Reisen und Geldüberweisungen ermöglicht.
Obwohl der beschriebene Einstellungswandel schon seit einiger Zeit offenkundig ist, hat er sich bisher kaum im Wahlverhalten niedergeschlagen. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass ein unverhältnismäßig großer Anteil der Kubano-Aamerikaner der ersten Generation die US-Staatsbürgerschaft erwarben und sich als Wähler registrieren ließen. Der Volkszählung von 2010 zufolge waren 91 Prozent der vor 1980 Zugewanderten US-Bürger geworden, unter den nach 1990 ins Land Gekommenen dagegen lediglich 27 Prozent. Langjährige Exilanten machen also immer noch einen überproportional großen Teil der kubano-amerikanischen Wählerschaft aus: Im Jahr 2010 stellte die Gruppe, die vor 1980 eingewandert war, 30 Prozent der Wäherinnen und Wähler. Jene Exilkubaner, die nach 1990 in die USA gekommen sind, umfassten hingegen nur 12 Prozent der Wählerschaft. Den größten Wählerblock unter den Kubano-Amerikanern bildeten mit 48 Prozent die in den Vereinigten Staaten Geborenen. Außerdem ist festzuhalten, dass von den vor 1985 Eingewanderten über 90 Prozent sich als Wähler haben registrieren lassen, während die Vergleichszahl für diejenigen, die nach dem Kalten Krieg kamen und amerikanische Staatsbürger wurden, lediglich 60 Prozent beträgt. Doch der zahlenmäßige Anteil der ersten Exilwelle an der Community schrumpft stetig, da alljährlich etwa 30.000 neue Einwanderer hinzukommen und die natürliche Sterblichkeitsrate den alternden Exilkubanern ihren Tribut abverlangt.
Bei den Demokraten glaubte man jahrelang, eine Politik der Härte gegenüber Kuba sei die richtige Strategie dafür, unter den Kubano-Amerikanern ausreichend Stimmen für einen Sieg ihrer Partei in Florida zu mobilisieren. Wenn ein demokratischer Kandidat ebenso konfrontativ aufträte wie sein republikanischer Gegenspieler, würden viele Kubano-Amerikaner ihre Wahlentscheidung von Themen abhängig machen, die eher die Demokraten begünstigten. Im Wahljahr 2008 ging Obama anders vor: Er wandte sich an die gemäßigten Kubano-Amerikaner und plädierte für eine Politik der Verständigung. Er versprach, die Einschränkungen bei Geldüberweisungen nach Kuba und bei Familienbesuchen für sie aufzuheben, den "People-to-people"-Austausch auf der Ebene von Bildung und Kultur wieder aufzunehmen und bilaterale Gespräche mit Kuba über für beide Länder relevante Fragen einzuleiten. Der Dialog eröffne, erklärte Obama damals, die besten Aussichten darauf, "eine demokratische Öffnung auf Kuba" zu fördern.
Diese Strategie erwies sich 2008 als erfolgreich: Obama erlangte 35 Prozent der Stimmen der Kubano-Amerikaner und gewann damit den Bundesstaat Florida für die Demokraten. Er bewies, dass ein Demokrat bei dieser traditionell republikanischen Klientel auch dann Erfolge erzielen kann, wenn er in Bezug auf Kuba gemäßigte Positionen vertritt. Im Wahljahr 2012 konnte Obama fast die Hälfte der Stimmen der Kubanoamerikaner auf sich vereinen, obwohl sein Gegenkandidat Romney an den traditionellen Antikommunismus der Community appelliert hatte. Obama widerlegte die hergebrachte Doktrin, dass man im südlichen Florida nur eine stramm antikubanische Programmatik (”gettough-on-Cuba“) verkaufen könne, und veränderte infolgedessen die innenpolitische Dynamik des Themas. Erst dies ermöglichte es, die US-Kubapolitik neu zu gestalten.
Diplomatischer Druck aus Lateinamerika
Obama selbst ist schon lange überzeugt, dass die bisherige US-Strategie der Feindseligkeit gegenüber Kuba überholt und wirkungslos ist. Während seines Wahlkampfs im Jahr 2008 und nach seiner Amtsübernahme äußerte er sich in diesem Sinne. Doch der neue Präsident sah sich mit einer furchteinflößenden Agenda anderer außen- und innenpolitischer Probleme konfrontiert. Noch bevor seine Bemühungen um eine schrittweise Verbesserung der Beziehungen zu Havanna Wirkung zeigen konnten, stockten sie: Die kubanische Staatssicherheit verhaftete den Amerikaner Alan Gross, der in Kooperation mit der Entwicklungsbehörde USAID für ein Demokratieförderungsprogramm tätig war, das die Regierung George W. Bushs eingeleitet hatte. Washington verlangte die bedingungslose Freisetzung von Gross als Voraussetzung jeglicher Verbesserung der Beziehungen. Kuba weigerte sich, und die Beziehungen blieben drei weitere Jahre so unterkühlt wie zuvor.
Bei Obamas Amtsantritt hatte man sich in Lateinamerika große Hoffnungen gemacht, dieser Präsident werde die anachronistische Politik des Kalten Krieges – Symbol einer vergangenen Ära amerikanischer Hegemonie – endlich beenden. Als sich im April 2009 die Staatsoberhäupter der westlichen Hemisphäre zum fünften Amerika-Gipfel versammelten, übten die lateinamerikanischen Präsidenten Druck aus auf Obama in Bezug auf dessen Kuba-Politik: Der Umgang mit Kuba sei die Nagelprobe für sein erklärtes Bestreben, eine neue "Partnerschaft unter Gleichen" mit der Region zu begründen. Obama versuchte ihre Sorgen zu zerstreuen, indem er versicherte, "die Vereinigten Staaten bemühen sich um einen Neuanfang mit Kuba". Deutlicher wurde er allerdings nicht. Zwei Monate später, auf der 39. Generalversammlung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), unternahmen die lateinamerikanischen Länder einen Vorstoß zur Aufhebung der Resolution von 1962, die Kubas OAS-Mitgliedschaft suspendiert hatte. Dieser Ausschluss bedeutete den symbolischen Eckpfeiler der Washingtoner Strategie, Kuba aus der panamerikanischen Gemeinschaft auszuschließen.
Entgegen Obamas Zusicherung änderte sich die US-Politik gegenüber Kuba in den Folgejahren kaum. Beim nächsten, sechsten Amerika-Gipfel, der im April 2012 im kolumbianischen Cartagena stattfand, sah sich Obama einer geschlossenen Front lateinamerikanischer Präsidenten gegenüber, die Washingtons Tatenlosigkeit nicht länger hinnehmen wollten. "Es gibt keine Rechtfertigung für diesen Kurs, der uns in einem Kalten Krieg festhält", erklärte Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos, einer der engsten Verbündeten Washingtons in der Region. Daniel Ortega und Rafael Correa, die Staatschefs Nicaraguas und Ecuadors, weigerten sich, an dem Gipfel teilzunehmen, da Kuba nicht eingeladen war. Sowohl Santos als auch die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff verkündeten, dem nächsten Gipfel würden auch sie fern bleiben, falls man Kuba erneut ausschlösse.
Es war ein sichtlich betroffener Obama, der aus Cartagena heimkehrte, bestürzt über die Empörung und Frustration der anderen Staatschefs. Der Präsident wurde "scharf" und "allseitig" für die Kubapolitik der USA "gerügt", gab ein hoher US-Regierungsvertreter später zu. Er sah darin einen der Gründe für Obamas Entschluss, die Beziehungen mit Kuba zu normalisieren. "Unsere bisherige Kubapolitik war sicherlich ein Störfaktor und eine Belastung für unsere Politik in der Region", räumte Roberta S. Jacobson ein, Assistant Secretary of State für Angelegenheiten der westlichen Hemisphäre.
Mit dem für April 2015 angesetzten siebten Amerika-Gipfel wurde Obama mit einer weiteren peinlichen Auseinandersetzung konfrontiert: Die lateinamerikanischen Staaten traten, ungeachtet der Einwände der Vereinigten Staaten, einhellig für die Einladung Kubas ein. Der bevorstehende Gipfel verlieh der amerikanischen Kubapolitik somit eine neue Dringlichkeit und zwang den Präsidenten, das Thema auf seine Tagesordnung zu setzen.
Auch innenpolitisch nahm der Druck in Richtung eines Politikwechsels zu. Im Mai 2014 unterzeichneten 44 ehemalige US-Regierungsvertreter, unter ihnen eine Reihe konservativer Republikaner, einen Offenen Brief an den Präsidenten, in dem sie eine intensivere Beschäftigung der US-Politik mit Kuba forderten. Sowohl 2013 wie 2014 besuchten große Kongressdelegationen Kuba, trafen mit Raúl Castro zusammen und drängten bei ihrer Rückkehr Obama dazu, die bilateralen Beziehungen zu verbessern. Im Herbst 2014 schalteten die Herausgeber der "New York Times" sich in den Prozess ein. Im Verlauf zweier Monate erschienen sechs Leitartikel, die auf dramatische Veränderungen im Umgang mit Kuba drängten. Diese beispiellose Kaskade ausführlicher, präzise argumentierender Artikel fand im ganzen Land Beachtung. Die Regierung sah sich dadurch einerseits unter Handlungsdruck gesetzt, andererseits aber auch politisch ermutigt, einen Durchbruch zu versuchen. Schließlich nötigte Alan Gross’ verschlechternder Gesundheitszustand die Regierung zu Überlegungen, wie sie seine Freilassung erwirken könne. Würde er in der Gefangenschaft sterben, hätte das eine Lähmung der amerikanisch-kubanischen Beziehungen auf unbestimmte Zeit zur Folge.
Reaktionen auf den Kurswechsel
Im Ausland stieß Obamas neue Politik auf nahezu allgemeine Zustimmung. Aus dem Vatikan sandte Papst Franziskus "herzliche Glückwünsche zu der historischen Entscheidung" und versprach, die Versöhnung zwischen den beiden Ländern zu unterstützen. "Die Initiative, nach mehr als einem halben Jahrhundert der Entfremdung die diplomatischen Beziehungen wiederherzustellen, und die Vorschläge zur Ausweitung der Möglichkeiten für Kubaner und Amerikaner, sich zu begegnen und miteinander auszutauschen, markieren einen historischen Wendepunkt", erklärte Federica Mogherini im Namen der Europäischen Union. Und weiter: "Diese Schritte stellen einen Sieg des Dialogs über die Konfrontation dar."
Den größten diplomatischen Ertrag konnte Washington in Lateinamerika verbuchen, wo das Lob für Obamas neuen Kurs einhellig und überschwänglich ausfiel. Die meisten südamerikanischen Präsidenten saßen gerade bei einem Mercosur-Gipfeltreffen in Argentinien zusammen, als die Nachricht eintraf. Der ganze Raum brach in spontanen Beifall aus. "Die Lateinamerikaner feiern", sagte Präsidentin Cristina Fernandez de Kirchner und nannte die Wiederherstellung der Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba einen "Triumph". Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos, dessen Vorhaben, Kuba zum sechsten Amerika-Gipfel nach Cartagena einzuladen, von der US-Regierung durchkreuzt worden war, erklärte: "Im Namen des gesamten Kontinents feiern wir den Mut und die Entschlossenheit Präsident Obamas und der kubanischen Regierung." Enrique Peña Nieto, der mexikanische Präsident, bezeichnete die Entscheidung zur Normalisierung der Beziehungen als "historisch und wegweisend". "Das ist heute ein historischer Tag", erklärte Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. "Wir glaubten schon, diesen Augenblick würden wir niemals erleben." Selbst der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten, José Miguel Insulza, gab seinen Segen und beglückwünschte Obama und Castro dazu, "diese historischen Schritte getan zu haben, die so notwendig wie mutig sind [...]. Dies ist eine Entscheidung, die von großem Weitblick auf beiden Seiten zeugt."
Indem er seinen Kubakurs korrigierte, rettete Obama die in eine Krise geratene US-Panamerikapolitik und vermied eine direkte Konfrontation beim Panama-Gipfel. Ein hoher Regierungsvertreter erklärte gegenüber der Presse, die Annäherung des Präsidenten an Kuba werde "unseren politischen Initiativen und unserem Einfluss überall in der westlichen Hemisphäre sehr zugute kommen". Obama selbst sagte in seinem Bericht zur Lage der Nation, der Wandel im Verhältnis zu Kuba erfolge "zeitgleich mit einer erneuerten US-Führungsrolle in den beiden Amerikas". Tatsächlich war es gerade dieser Kurswechsel gegenüber Kuba, der eine Erneuerung der US-Führungsrolle erst möglich machte.
In den USA selbst verrissen die Republikaner dagegen den Kurswechsel des Präsidenten. So nannte Marco Rubio, republikanischer Senator aus Florida, in einer Tirade gegen die Einigung mit Castro Obama "den schlechtesten Unterhändler, den wir zu meinen Lebzeiten im Weißen Haus gehabt haben". Der Präsident habe, so Rubio, der kubanischen Regierung "alles, was sie verlangte" gegeben, aber keinerlei Gegenleistung erwirkt. Senator Robert Menendez, ein Demokrat aus New Jersey, bezeichnete den neuen Kurs als "töricht" und als "eine Belohnung, die ein totalitäres Regime nicht verdient und [... die] lediglich die jahrzehntelange Zwangsherrschaft des Castro-Regimes verewigt". John Boehner, der Sprecher des Repräsentantenhauses, charakterisierte die neue Politik als "sinnloses Zugeständnis" an die kubanische Diktatur.
Rubio und Menendez drohen, Obamas Kandidaten für den Posten des US-Botschafters in Havanna nicht zu billigen. Da sie beide dem Auswärtigen Ausschuss des Senats angehören, ist dies keine hohle Drohung. Doch selbst wenn sie dessen Ernennung im Ausschuss auf Eis legten, können sie Obama nicht daran hindern, die diplomatischen Beziehungen zu Kuba wiederherzustellen. Artikel II der US-Verfassung weist diese Kompetenz ausschließlich dem Präsidenten zu.
Die Aufhebung des Handels-Embargos hingegen ist Sache des Kongresses. Der harte Kern der Sanktionen gegen Kuba wurde 1996 in Gesetzesform gegossen. Obama hat versprochen, im Kongress eine Debatte über die Aufhebung des Embargos anzustoßen. Angesichts republikanischer Mehrheiten in beiden Kammern, die Obamas Außenpolitik unnachsichtig attackieren, dürfte es erheblich schwieriger sein, das Embargos tatsächlich aufzuheben, als sich mit Havanna auf diplomatischer Ebene zu verständigen.
Außerhalb Washingtons war das Echo hingegen positiv. Insgesamt lehnten landesweit zwar noch 48 Prozent der Kubano-Amerikaner den neuen Kurs ab, doch immerhin 44 Prozent befürworteten ihn. Unter den in den Vereinigten Staaten geborenen, den seit 1980 ins Land gekommenen und den unter 65-jährigen Kubano-Amerikaner unterstützten Mehrheiten den Kurswechsel des Präsidenten. Nur die Kohorte der älteren Exilkubaner kritisierte ihn. Eine klare Mehrheit begrüßte die Reiseerleichterungen (mit 47 Prozent dafür und 39 Prozent dagegen) und die Aufhebung des Embargos (mit 44 zu 40 Prozent). In der allgemeinen Öffentlichkeit fand Obamas neuer Kurs breite Zustimmung. Umfragen ergaben, dass 60 Prozent der Befragten die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen, mehr als die Hälfte die Beendigung des Embargos und über zwei Drittel die Aufhebung der Reisebeschränkungen begrüßten.
Strategische Ziele und nächste Schritte
In seinem Bericht zur Lage der Nation hat Obama die Ziele der neuen Strategie klar formuliert: Verständigungsbereitschaft und Dialog könnten den Vereinigten Staaten – so seine Argumentation – größere Möglichkeiten eröffnen, den in Kuba stattfindenden Wandlungsprozess positiv zu beeinflussen, als Feindseligkeit und Zwang. "Ich bin überzeugt, dass wir auf dem Wege der Verständigung mehr dafür tun können, das kubanische Volk zu unterstützen und unsere Werte zu fördern", sagte Obama. "Niemand vertritt Amerikas Werte besser als das amerikanische Volk, und ich glaube, dass diese Begegnungen letztlich am meisten zur Unterstützung des kubanischen Volkes beitragen können". Der Präsident begründete seinen Kurswechsel also im Kern mit einer Art "Soft power"-Anleitung für den Umgang mit einem Fall, in dem die "hard power" ihre Ziele klar verfehlt hat.
Die kurzfristigen Ziele der neuen Politik sind einsichtig: Wiederherstellung normaler diplomatischer Beziehungen, Abschluss einer Reihe von Abkommen über Fragen, die für beide Seiten relevant sind, und offene Aussprachen über verschiedene Themen, die zwischen beiden Ländern strittig bleiben. Langfristig sollen Bedingungen geschaffen werden, die es wahrscheinlicher machen, dass Kuba sich in Richtung Demokratie entwickelt. "Ich erwarte nicht, dass die heute von mir angekündigten Veränderungen die kubanische Gesellschaft über Nacht transformieren werden", erläuterte Obama in seine Rede zur Lage der Nation, "doch ich bin überzeugt, dass wir mit einer Politik des Dialogs wirkungsvoller für unsere Werte eintreten und dem kubanischen Volk auf seinem Weg ins 21. Jahrhundert besser Hilfe zur Selbsthilfe leisten können."
Die Tatsache, dass US-Exportfirmen künftig kubanischen Privatunternehmen Waren verkaufen dürfen, dient dem Ziel, den sich herausbildenden Privatsektor auf Kuba zu stärken. Dies werde, so die Erwartung, eine wirtschaftlich regierungsunabhängige soziale Basis schaffen. Telekommunikationsfirmen sollen Kubas digitale Infrastruktur ausbauen, um den Kubanern einen freieren Informationszugang zu verschaffen. Die Lockerung der Reisebeschränkungen zielt auf Ideenverbreitung, in deren Folge die Kubaner – so die Erwartung – ihrer Regierung fortan deutlichere Forderungen stellen werden.
Finanz- und Handelsministerium formulierten die Ziele der neuen Strategie noch unverblümter: Finanzminister Jack Lew erklärte, es gehe um die Umsetzung "einer Strategie, die dazu beiträgt, die politische und wirtschaftliche Freiheit für das kubanische Volk zu befördern". Die Bestimmungen des Handelsministeriums stehen unter der Überschrift "Dem kubanischen Volk Unterstützung leisten", und in den Bestimmungen des Finanzministeriums heißt es, ihr Zweck bestehe darin, "das kubanische Volk stärker zu beteiligen und zu unterstützen". Beide Ministerien begrüßen besonders solche Aktivitäten, die "anerkannte Menschenrechtsorganisationen" und "unabhängige Organisationen" unterstützen, welche zur "Förderung eines raschen, friedlichen Übergangs zur Demokratie bestimmt sind." Ziel sei es, das “unabhängige Handeln zwecks Stärkung der Zivilgesellschaft zu unterstützen" und "die Unabhängigkeit [des kubanischen Volkes] von den kubanischen Behörden fördern".
Die seit 1995 laufenden Programme zur "Demokratieförderung" der Vereinigten Staaten gehen noch weiter. Ihr Ziel ist es – wenngleich bisher amateurhaft und weitgehend wirkungslos verfolgt –, soziale Netzwerke potenzieller Regimegegner zu organisieren. Dies ist eine Strategie, die sich ausdrücklich auf die Rolle sozialer Netze und sozialer Medien in Modellfällen wie der "Grünen Bewegung" 2009 im Iran, der tunesischen "Jasminrevolution" 2010 und der ägyptischen Revolution 2011 bezieht. Ob diese Programme weiterhin verdeckt und mit implizit subversiver Absicht verfolgt oder dahingehend modifiziert werden, echte soziale Interaktion offen und transparent zu fördern, wird zweifellos auf der Tagesordnung künftiger bilateraler Verhandlungen stehen.
Langfristiges Ziel der US-Strategie bleibt ihrem Wesen nach weiterhin, auf die Entstehung eines demokratischeren Kuba mit einer offeneren (soll heißen: marktgesteuerten) Volkswirtschaft hinzuwirken. Der Unterschied besteht darin, dass Obamas Dialogpolitik dieses Ziel durch die Schaffung von Bedingungen in und für Kuba erreichen zu können hofft, die eine innere Entwicklungsdynamik in die Richtung kanalisieren, die Washington ihr gerne geben würde. Es geht also nicht darum, sich Kuba mit Zwangsmitteln gefügig zu machen oder einen plötzlichen, gewaltsamen Regimewechsel zu erzwingen. Das bringt die US-Politik auf die gleiche Linie, die auch Washingtons Verbündete in Lateinamerika, Kanada und Europa verfolgen.
Präsident Castro seinerseits versicherte Washington kaum eine Woche nach den Ankündigungen vom 17. Dezember 2014 in einer Ansprache vor der kubanischen Nationalversammlung, dass sein Land vor einer “Soft power“-Strategie ebenso wenig kapitulieren werde wie es sich von “hard power“ in die Knie habe zwingen lassen. “Man sollte nicht erwarten, dass Kuba, um die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu verbessern, die Ideen aufgeben wird, für die es seit mehr als einem Jahrhundert kämpft und um derentwillen seine Menschen Blut vergossen, große Opfer gebracht und großen Gefahren getrotzt haben“, sagte er. “So wie wir nie vorgeschlagen haben, dass die Vereinigten Staaten ihr politisches System wechseln, genauso fordern wir Respekt für das unsrige.“
Zahlreiche schwerwiegende Probleme
Vor einer vollständigen Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern müssen noch zahlreiche schwerwiegende Probleme gelöst werden. Washington hat sich bis jetzt nicht bereit erklärt, all die Programme einzustellen, die der alten Politik des Regimewechsels dienen. Der Kernbestand des Embargos bleibt, wie Castro betonte, einstweilen in Kraft: US-Firmen dürfen, abgesehen von Lebensmittelverkäufen, auf Kuba keine Investitionen und keine Geschäfte mit Staatsunternehmen tätigen. Kubanische Staatsunternehmen dürfen in den Vereinigten Staaten keinerlei Waren verkaufen. Obama hat die bestehenden Regeln für Bildungsreisen gelockert, doch Reisen zu touristischen Zwecken sind weiterhin untersagt. Die Aufhebung dieser Barrieren macht die Mitwirkung des Kongresses erforderlich, die jedoch in der nächsten Zeit kaum zu erwarten sein dürfte.
Die Regierung der Vereinigten Staaten gibt immer noch alljährlich Millionenbeträge dafür aus, TV und Radio Martí nach Kuba auszustrahlen, obwohl das TV-Signal wirksam gestört wird und die Zuhörerschaft des Radiosenders schrumpft. Das Cuban Medical Professionals Parole Program, das im Ausland tätige Angehörige des kubanischen Gesundheitswesens abwirbt, läuft uneingeschränkt weiter, obwohl die Vereinigten Staaten und Kuba im Kampf gegen Ebola kooperieren. Und während Kuba die Souveränität über Guantanamo als Teil seines Territoriums beansprucht, pocht Washington weiterhin auf die Gültigkeit des Vertrags von 1934, der das Gebiet den Vereinigten Staaten als Stützpunkt verpachtet.
Die Litanei der noch zu bewältigenden Hindernisse sollte allerdings nicht davon ablenken, wie bedeutsam die Schritte sind, die Präsident Obama und Präsident Castro jetzt getan haben. Sie haben ein System gegenseitiger Animosität im Stil des Kalten Krieges durch eine Politik ersetzt, die für das 21. Jahrhundert taugt, eine Politik des Dialogs und der Kooperation. Das Allerwichtigste ist, dass die Übereinkunft für die Bereitschaft Washingtons steht, Kuba als ein gleichberechtigtes, souveränes und unabhängiges Land zu behandeln, mit dem die Vereinigten Staaten trotz bestehender Meinungsverschiedenheiten zivilisiert umgehen können. Im Jahr 1977 verglich Raúl Castro die Wiederherstellung der amerikanisch-kubanischen Beziehungen mit dem Wiederaufbau einer in Kriegszeiten zerstörten Brücke. “Es ist keine Brücke, die mühelos – so schnell, wie sie zerstört wurde – wieder aufgebaut werden kann. Es wird lange dauern“, sagte er, aber “wenn jede Seite ihr Teilstück der Brücke wieder herstellt, können wir uns schließlich die Hände schütteln, ohne dass es Gewinner oder Verlierer gibt.“ Die letzten Bögen der Brücke harren noch ihrer Fertigstellung, doch Barack Obama und Raúl Castro haben das Bauwerk jetzt seiner Vollendung näher gebracht.
Literatur:
Adams, Gordon, “The Liberal Fallacy of the Cuba Deal,” Foreign Policy online, December 19, 2014. Bendixen and Amandi International, Flash Poll of Cuban Americans’ Reaction to President Obama’s Change in U.S.-Cuba Policy, Miami: Bendixen and Amandi, 2014.
CNN/ORC Poll, December 18-21, 2014; Washington Post/ABC News Poll, December 23, 2014; Pew Research Center, “Most Support Stronger U.S. Ties With Cuba,” January 16, 2015.
Grenier, Guillermo, and Hugh Gladwin, “2007 FIU Cuba Poll,” Institute for Public Opinion Research and The Cuban Research Institute, Florida International University, March 2004.
LeoGrande, William M., “Fresh Start for a Stale Policy: Can Obama Break the Stalemate in U.S.-Cuban Relations?” Paper prepared for presentation at the conference, “Proyecciones, tendencias y perspectivas de las relaciones Cuba-Estados Unidos,” December 17-18 2012, Havana, Cuba. LeoGrande, William M., and Peter Kornbluh, Back Channel to Cuba: The Hidden History of Negotiations between Washington and Havana, University of North Carolina Press, 2014.
William M. LeoGrande ist Professor of Government an der American University in Washington, D.C. Der Text stammt aus der von den Büros New York und Mexiko-Stadt der Rosa-Luxemburg-Stiftung gemeinsam erstellten Broschüre "Wenn Schweine fliegen" (PDF).