Die Besetzung der Dominikanischen Republik durch die USA 1965

Wodurch sah sich US-Präsident Johnson vor 50 Jahren veranlasst, die eigenen Truppen zur Invasion des kleinen Karibikstaates einzusetzen?

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Wandbild in Santo Domingo: Rebellenführer Oberst Francisco Caamaño (1932 – 1973)
Wandbild in Santo Domingo: Rebellenführer Oberst Francisco Caamaño (1932 – 1973)

Vor 50 Jahren, am 28. April 1965, befahl der Präsident der USA, Lyndon B. Johnson, die Okkupation der Dominikanischen Republik. Nach dem Abzug der Marines aus Haiti 1934 und der Verkündung der "Politik der guten Nachbarschaft" durch Franklin D. Roosevelt war es das erste Mal, dass die westliche Führungsmacht wieder eigene Truppen gegen ein lateinamerikanisches Land einsetzte. Immerhin kamen insgesamt 42.000 US-Soldaten zum Einsatz und auch die OAS entsandte – unter Bruch ihrer Satzung – eine "Friedensmission" in den Karibikstaat. Damit überschritten die USA jene "rote Linie", vor der sie noch 1954 in Guatemala und 1961 in Kuba zurückgeschreckt waren. Wodurch sah sich Johnson im April 1965 veranlasst, die eigenen Truppen zur Invasion des kleinen Karibikstaates einzusetzen?

Diktatur oder Demokratie? Aufstieg und Sturz des Hoffnungsträgers Juan Bosch

Seit der Ermordung des Diktators Rafael Trujillo am 30. Mai 1961 durch Attentäter war die Dominikanische Republik nicht mehr zur Ruhe gekommen. Trujillo und sein Familien-Clan hatten das Land mehr als 30 Jahre lang beherrscht und ausgeplündert. Als sich die Trujillos durch einen machtvollen Generalstreik und unter Druck der Kennedy-Administration Ende 1961 gezwungen sahen, ihr Heil in der Flucht zu suchen, setzten die übrigen Nutznießer der untergehenden Diktatur alles daran, ihre Positionen zu wahren. Gestützt auf die Armee, versuchte zunächst Joaquín Balaguer, letzter formeller Präsident von Trujillos Gnaden, zu retten, was noch zu retten ist. Aber auch er musste sich im März 1962 ins Exil nach New York absetzen. Nach einigem hin und her konnte John F. Kennedy, der nach dem Desaster 1961 in der Schweinebucht mit einer "Allianz für den Fortschritt" das Steuer herumreißen wollte, schließlich demokratische Wahlen durchsetzen. Am 20. Dezember 1962 wurde Juan Bosch mit fast 60 Prozent der Stimmen zum dominikanischen Präsidenten gewählt. Der bekannte Diktaturgegner initiierte eine neue, fortschrittliche Verfassung, die am 29. April 1963 verabschiedet wurde, und scheute sich nicht, auch das "heiße Eisen" einer Agrarreform zugunsten der landlosen Bauern anzufassen. Dies rief die reaktionären Kräfte, die noch über entscheidende Machtpositionen verfügten, auf den Plan. Am 25. September 1963 putschten Truppen unter Führung von General Elias Wessin y Wessin und trieben Bosch ins Exil nach Puerto Rico. Ein Triumvirat mit dem Unternehmer Donald Reid Cabral an der Spitze übernahm schließlich die Regierungsgeschäfte. Wessin y Wessin wirkte als starker Mann aus dem Hintergrund.

Die April-Revolution 1965 – Vom frühzeitigen Putsch zur siegreichen Volkserhebung

Nach dem Sturz von Bosch hatte sich in den dominikanischen Streitkräften eine Konstitutionalistische Militärbewegung (Movimiento Militar Constitucionalista bzw. Movimiento Enriquillo) unter Oberstleutnant Rafael Fernández Domínguez formiert, die den demokratisch gewählten Präsidenten wieder ins Amt zurückbringen und die Verfassung von 1963 erneut in Kraft setzen wollte. Traditionsgemäß wurde zu diesem Zweck ein Putsch gegen das Triumvirat geplant. Da das Vorhaben vorzeitig ruchbar wurde, mussten die Verschwörer früher als gedacht in die Offensive gehen und bereits am 24. April 1965 zu den Waffen greifen. Die Situation gestaltete sich auch deshalb komplizierter, weil die USA ihrerseits auf die reaktionäre Armeefraktion setzten. Beide Teile der Armee, die Konstitutionalisten einerseits und die Loyalisten unter Führung von General Wessin y Wessin andererseits, standen sich im Kampf um die Macht gegenüber.

Bereits am 25. April zeigte sich, dass die Konstitutionalisten im Vorteil waren. Sie konnten in der Hauptstadt Santo Domingo strategisch wichtige Punkte (Radiostation, Nationalpalast) besetzen und erklärten Boschs ehemaligen Vizepräsidenten José Rafael Molina Ureña provisorisch zum neuen Staatschef. Den Einheiten der Luftwaffenbasis San Isidro (etwa 30 Km von der Hauptstadt entfernt) unter Wessin y Wessin und den Panzertruppen unter General Imbert gelang es nicht, ins Stadtzentrum vorzustoßen. Am 26. April konzentrierten sich die Kämpfe auf die Duarte-Brücke, die von konstitutionalistischen Militärs und zahlreichen bewaffneten Einwohnern Santo Domingos verteidigt wird. Inzwischen hatten sich die Nationalpolizei und die Flotte auf die Seite von Wessin und Imbert geschlagen. Die US-Botschaft machte den Konstitutionalisten bei einem Treffen am 27. April gleichzeitig klar, dass sie die Rückkehr von Bosch nicht wünschte und stattdessen auf die Loyalisten setzte. Daraufhin kapitulierten die Gruppe der Offiziere um Oberst Hernando Ramírez sowie später auch Molina Ureña und ersuchten in ausländischen Botschaften politisches Asyl. Oberst Francisco Caamaño hingegen verweigerte sich diesem Schritt und kehrte am Nachmittag zur hart umkämpften Duarte-Brücke zurück. Unter seiner Anleitung schlugen die verbliebenen konstitutionalistischen Offziere gemeinsam mit der aufständischen Bevölkerung den Panzerangriff zurück. Das "Wunder an der Brücke" besiegelte den Sieg der Rebellen in der Hauptstadt, die sich nun auf die Einnahme der feindlichen Basis in San Isidro vorbereiteten.

Johnson sieht "rot" – Die Entscheidung zur Invasion

In der Nacht zum 28. April fällte Präsident Johnson in Washington eine folgenschwere Entscheidung: zum Schutz des Lebens von US-Bürgern landeten in den Morgenstunden 536 Marines und bezogen rund um die US-Botschaft und am westlichen Rand der dominikanischen Hauptstadt Position, ohne zunächst in die Kämpfe der beiden Bürgerkriegsparteien einzugreifen. Als die Konstitutionalisten am 30. April die Ozama-Festung einnahmen und 4.000 Waffen an ihre Anhänger verteilten, schrillten in Washington die Alarmglocken. Um eine "kommunistische Konspiration" zu vereiteln, landeten 2.500 Angehörige der 82. Airborne Division in San Isidro, rückten zur Duarte-Brücke vor und nahmen diese ungeachtet des Widerstandes der Konstitutionalisten ein. Gleichzeitig errichteten sie im Westen Santo Domingos auf neun Quadratmeilen eine "Internationale Sicherheitszone". In der Nacht vom 2. zum 3. Mai schufen sich die US-Truppen einen Korridor, der die Duarte-Brücke mit der Sicherheitszone verband und so das Territorium der Rebellen in der Hauptstadt in zwei Teile – eine Nord- (Barrios Altos) und eine Südzone (Ciudad Nueva) – spaltete. Die Rebellen gaben aber nicht auf und wählten Caamaño am 3. Mai zum Präsidenten. Die US-Amerikaner reagierten darauf mit der Etablierung einer "Regierung des Nationalen Wiederaufbaus" (GRN). Als deren Präsident wurde General Antonio Imbert Barrera auserkoren. Obwohl die GRN keinerlei öffentliche Unterstützung genoss, übernahm sie am 7. Mai die Geschäfte.

Die OAS als Feigenblatt

Auch auf internationalem Parkett kam es zu Turbulenzen. Um der einseitigen Invasion Washingtons einen multilateralen Schein zu geben, sollte die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) eine "Inter-American Peace Force" entsenden. Entgegen der eigenen Charta und mit der Stimme des dominikanischen Gesandten, der noch das inzwischen inexistente Triumvirat unter Reid Cabral vertrat, beugte sich die OAS dem Druck der USA und beschloss am 6. Mai die Entsendung einer Friedenstruppe, die als "Farce Force" 1 in die Geschichte einging. Nur sechs lateinamerikanische Staaten, darunter fünf Diktaturen, fanden sich bereit, Truppen zu entsenden: Brasilien (1.152 Mann), Honduras (250 Mann), Paraguay (178 Mann), Nicaragua (159 Mann), Costa Rica (21 unbewaffnete Polizisten), El Salvador (drei Mann). Dass die "Farce Force" überhaupt zustande kommen konnte, hing nicht zuletzt damit zusammen, dass Lateinamerika im Vorfeld der US-Invasion von einer "diktatorischen Welle" erfasst worden war. In nur zwei Jahren fanden in sieben Ländern erfolgreich Militärputsche statt: in Argentinien (März 1962), Peru (Juli 1962), Guatemala (März 1963), Ecuador (Juli 1962), Dominikanische Republik (September 1963), Honduras (Oktober 1963) sowie in Brasilien (März 1964).

Trotz US-Übermacht in der Sackgasse

Da die Rebellen, die über 12.000 Bewaffnete verfügten, ungeachtet der Übermacht der Invasionstruppen ihre Positionen in Santo Domingo weiter verteidigten, gingen die USA zu einer Doppelstrategie über. Zum einen eröffneten sie Verhandlungen mit den Konstitutionalisten, zum anderen verstärkten sie den militärischen Druck auf sie. Ein Emissär Johnsons handelte mit Juan Bosch, der immer noch in Puerto Rico festsaß, am 12. und 13. Mai ein Abkommen aus, in dem dieser auf seine Rückkehr verzichtete und stattdessen der Bildung einer Übergangsregierung unter Antonio Guzmán, der dem moderaten Flügel des PRD angehörte, zustimmte. Am 14. Mai eröffneten Imbert-Truppen unter Nutzung des US-Korridors und mit logistischer Unterstützung der Invasionskräfte eine Offensive gegen die Konstitutionalisten, die bis zum 21. Mai währte. Nach erbitterten Kämpfen gelang es ihnen, die Positionen der Rebellen in der Nordzone (Barrios Altos) zu liquidieren. Da aber Guzmán nicht gewillt war, die ultimativen Forderungen der USA zu erfüllen, platzte das Bosch-Abkommen. Am 26. Mai kehrte US-Unterhändler Bundy ergebnislos nach Washington zurück.

Danach schickte US-Präsident Johnson eine OAS-Kommission unter Vorsitz von Ellsworth Bunker, dem US-Botschafter bei der OAS, ins Rennen, um die Verhandlungen mit den Konstitutionalisten erneut aufzunehmen. Das erste Treffen mit der Delegation der Rebellen, die von Caamaño selbst geleitet wurde, fand am 10. Juni statt. Angesichts der militärischen Überlegenheit der Invasoren willigten die Rebellen am 23. Juni schließlich in die Bildung einer Übergangsregierung ein, deren Chef allein die USA auswählten: Héctor García Godoy, unter Trujillo Botschafter und in den letzten Wochen der Bosch-Regierung Außenminister, jedoch weder ein Mitglied des PRD noch ein Freund von Bosch. Am 8. Juli schluckten die Konstitutionalisten auch diese Kröte. Am 30. August erklärte Imberts GRN ihren Rücktritt und am 3. September trat García Godoy sein Amt an. Damit war der Bürgerkrieg offiziell beendet. Er hatte 27 US-Soldaten und mehr als 5.000 Dominikanern das Leben gekostet.

Der Rest der traurigen Geschichte ist schnell erzählt: Gegen die Konstitutionalisten und den PRD brach eine Welle der Gewalt los, die verfassungstreuen Militärs wurden kaltgestellt, Juan Bosch, der wegen der anstehenden Wahlen in die Dominikanische Republik zurück gekehrt war, sah sich einem Klima des Terrors gegenüber, das sein öffentliches Auftreten weitgehend verhinderte. So war es kaum überraschend, dass er gegen seinen Widersacher Balanguer in der Wahl vom 1. Juni 1966 mit 39 zu 57 Prozent unterlag.

Fragen an die Geschichte – Motive und Folgen der Invasion

Gemessen an Kennedys Anspruch, den Völkern Lateinamerikas mit der "Allianz für den Fortschritt" eine reformistische Alternative zur kubanischen Revolution anzubieten, war die US-Invasion von 1965 ein Desaster. Statt durch Demokratie und Sozialreformen ein "zweites Kuba" zu verhindern, griff Johnson zum traditionellen Instrument der Militärinvasion – selbst als klar war, dass weder Bosch noch Caamaño in den Fußstapfen von Fidel Castro wandeln würden und die radikale Linke bei der April-Rebellion eher eine marginale Rolle spielte.

Warum dann diese folgenschwere Entscheidung? Für eine Antwort bieten sich zwei Möglichkeiten an: entweder eine ideologisch motivierte Überzeichnung der "kommunistischen Gefahr" oder eine politisch motivierte Ablehnung des Reformprogramms von Juan Bosch. Der Ablauf der Ereignisse legt den Schluss nahe, dass im Falle der Invasion von 1965 letzteres zutrifft, jedoch ersteres dazu benutzt wurde, um die Gegnerschaft zu einem demokratisch gewählten Präsidenten, der lediglich den "Fehler" begangen hatte, Kennedys "Allianz für den Fortschritt" ernst zu nehmen, zu kaschieren.

Die Folgen für das dominikanische Volk waren verheerend: Perpetuierung der Hinterlassenschaften der Trujillo-Diktatur, zerstörte Hoffnungen auf ein Leben in Demokratie, Souveränität und Wohlstand, Verfestigung des geopolitischen Fatalismus, dass im Schatten der USA ein eigenständiger Weg zur Verwirklichung dieser Ideale nicht möglich ist. In der Pax Americana geht Stabilität im Sinne Washingtons eben immer noch vor Demokratie und Wohlfahrt für das Volk – auch wenn der "große Vater" im Weißen Haus etwas anderes verspricht. Angesichts der Übermacht der USA nötigt der ungebrochene Widerstand der Rebellen jedem unvoreingenommenen Betrachter hohen Respekt ab. Auch wenn Caamaño und seine Mitstreiter am Ende zu schwach und isoliert waren, um einen demokratischen Kurswechsel zu erkämpfen, bleiben sie mit ihrem Mut und ihrer Standhaftigkeit ein lebendiges Beispiel für alle folgenden Versuche, einen Ausweg aus der "dominikanischen Tragödie" zu finden.


Literatur

Gleijeses, Piero: The Dominican Crisis. The 1965 Constitutionalist Revolt and American Intervention. Baltimore/ London 1978

Gleijeses, Piero: La esperanza desgarrada: La rebelión dominicana de 1965 y la invasión norteamericana. Santo Domingo 2012

Gleijeses, Piero: Hope denied: The US Defeat of the 1965 Revolt in the Dominican Republic. Woodrow Wilson International Center for Scholars. Cold War International History Project, WP #72, Washington D.C. Nov. 2014

Schreyer, Wolfgang: Dominikanische Tragödie, in: Aufstand des Sisyphos, Berlin 1971, S. 23-122

  • 1. Spiegel 24/ 1965, S. 76