Spanien / Politik

Spanien, die bevorstehende Gefahr

Das Ende des bewaffneten Kampfes der ETA und das politische System in Spanien

Die historische Entscheidung der ETA, die am 20.Oktober verkündet hat, bedingungslos und "endgültig ihren bewaffneten Kampf" aufzugeben, hat der 43 Jahre dauernden politischen Gewalt in Spanien ein Ende gesetzt und bedeutet auch das Ende dieses tragischen spanischen Einzelfalls in Europa. Seit dem Tod des Diktators Franco 1975 und der durch ein Referendum angenommenen Verfassung von 1978 gab es keine Rechtfertigung für politische Morde, für Attentate oder den bewaffneten Kampf. Das alles hat (ebenso wie Folter und politische Repression) ein großes Leiden verursacht und hunderte von Todesopfern gefordert. Die baskische Gesellschaft selbst duldete keinen Terrorismus mehr, wie der baskische Nationalist Arnaldo Otegi im vergangenen Juli erklärte.

Jetzt ist es an der Zeit, ein friedliches Zusammenleben aufzubauen, ohne Sieger und Besiegte, so wie es am 17.Oktober von den internationalen Fachleuten in der Abschlusserklärung der Friedenskonferenz von San Sebastian aufgezeigt wurde1. Sie rieten dazu, "ausschließlich die Folgen des Konflikts zu bearbeiten", d.h. die Lage der Gefangenen und der Untergrundkämpfer, die Rückgabe der Waffen, Entschädigung und Hilfe für alle Opfer, die Anerkennung der erlittenen Qualen und Unterstützung, um persönliche oder gesellschaftliche Wunden zu heilen. Aber wenn man wirklich ein dauerhaftes friedliches Zusammenleben aufbauen will, dann muss man auch politisch verantwortlich auf diesem Weg mit allen demokratischen Parteien Spaniens und des Baskenlandes zusammenarbeiten.

Es ist interessant festzustellen, dass die ETA ihre Absage an die Waffen genau einen Monat vor den entscheidenden Wahlen vom 20. November verkündet hat. Wahlen, die allen Meinungsumfragen zufolge mit größter Wahrscheinlichkeit von der Partido Popular (PP) gewonnen werden, dem Sieger der letzten lokalen Wahlen. Wollte die ETA diese Wahl in gewisser Hinsicht beeinflussen? Wollte sie mit dem Stopp des bewaffneten Kampfes eine nationalistische, gewaltfreie Linie unterstützen, die, wie es der Erfolg von Bildu in den Gemeinderatswahlen im letzten Mai bewiesen hat, mit der Sympathie eines großen Teils der nationalistischen Wähler rechen kann? In welchem Umfang könnte das Ende des Terrors auch im Wahlkampf von der PSOE genutzt werden, um dies zu einem politischen Sieg der Regierung zu machen, der ihre drohende Niederlage etwas abmildern  könnte?

Viele Stammwähler der PSOE waren in der Tat entschlossen, die Partei von Jose Luis Rodriguez Zapatero dieses Mal zu bestrafen. Nicht nur wegen der Krise, die das Land gegenwärtig durchlebt, sondern auch wegen der brutalen Sparpolitik ("unpopulär, aber notwendig", bekräftige der Präsident), die vor allem die Mittelklasse und die Ärmsten getroffen hat, ebenso wie die Rentner und die Jugend. Und weil Zapatero – wie er sagt, mit einem Beweis an "politischem Mut" – sich längst den Märkten ergeben hat und den ultraliberalen Forderungen der internationalen Investoren, des Weltwährungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel übernommen hat.

Es sieht auch so aus, als ob die aktuelle Unbeliebtheit des Präsidenten Zapatero ihn daran hindern würde, am Ende seines Mandats offen konservative Maßnahmen zu ergreifen, eine letzte Herausforderung für seine eigene sozialistische Wählerschaft.

Zum Beispiel: die kürzlich erfolgte Verfassungsreform, ohne vorhergehendes Referendum, um das Haushaltsdefizit zu begrenzen, so wie es Frankreich (das dies für sich selbst nicht anwendet) und Deutschland gefordert haben. Oder die äußerst kontroverse Entscheidung vom 4. Oktober (als die Cortes schon aufgelöst waren), ein Abkommen zu unterzeichnen, in dem Spanien den Vereinigten Staaten die Marinebasis Rota als Raketenabwehrschild der NATO  überlässt.

Zapatero hat seinem möglichen Nachfolger, Alfredo Pérez, eine schwierige Lage hinterlassen mit einer desorientierten, verunsicherten, kopflosen, irregeleiteten, kraftlosen und zerschlagenen sozialistischen Partei. Die PSOE wird sich nicht so schnell erholen können. Es erwarten sie lange Jahre des Marsches durch die Wüste in der Erwartung einer Neugründung.

Das alles sind keine guten Nachrichten für Spanien. Vor allem weil sich die äußerste Linke, von der mutige und konstruktive Ideen kommen könnten, um das Land aus der Patsche zu ziehen, zu sehr fragmentiert hat. Und weil andere fortschrittliche Kräfte, die in anderen Teilen Europas an Macht gewinnen, die Grünen zum Beispiel, hier noch eine Randerscheinung sind.

In diesem Zusammenhang wird die PP die Wahlen wohl gewinnen, so wie es die Umfragen bestätigen. Viele Wähler, die für die PP stimmen wollen, weil sie glauben, dass eine Regierung von Mariano Rajoy eine andere Wirtschaftspolitik machen wird als Zapatero – eine Politik ohne Sparprogramme und ohne Kürzungen -, sollen wissen, dass es nicht so sein wird. Ganz einfach deshalb, weil Zapatero in den letzten 18 Monaten schon eine Wirtschaftspolitik der Rechten gemacht hat. Und weil Rajoy dies mit noch größerer Gewissheit noch verschärfen wird.

Man muss sich nur anschauen, was die Rechte zur Zeit auf anderen Gebieten macht. In Katalonien zum Beispiel setzt die Regierung von Artur Mas drastische Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen durch ("ohne dass uns die Hand dabei zittern", wie Mas sagte), die viel Protest entfacht haben. Im Gesundheitswesen hat sie z.B. eine Kürzung von einer Milliarde Euros angekündigt, das bedeutet 10 Prozent der Mittel, die der Regierung der Linken zur Verfügung standen.  Das bedeutet die Schließung von Gesundheitszentren, von Krankenhäusern und Operationssälen, weniger Betten, die Entlassung von Pflegern und Ärzten, keine Nachtschichten mehr und vieles mehr. Bestraft sind die Patienten.

In Castilla-La Mancha hat die Präsidentin Mario Dolores des Cospedal (PP) Ende August einen schockierenden Plan vorgestellt, mit dem sie mehr als 1,8 Milliarden Euros sparen will. Sie hat öffentliche Arbeit in allen Bereichen eingefroren und 40 Prozent des Personals in der öffentlichen Verwaltung gestrichen. Lehrer der Grund- und Mittelschulen müssen wöchentlich 2 Stunden mehr arbeiten, fast alle Lehrerbildungseinrichtungen wurden geschlossen. Die größten Einsparungen sind jedoch im Gesundheitswesen vorgesehen.2 Für die PP ist Castilla - La Mancha das Labor, in dem die Rechte zeigt, was Rajoy machen wird, wenn er die Wahlen gewinnt. Die Gefahr ist also zum Greifen nah. Hat nicht Maria Dolores de Cospedal selbst ihre brutale Schocktherapie als "ein Beispiel" für ganz Spanien bezeichnet?

  • 1. El Pais, 18.10. 2011
  • 2. Ebda., 31.08.2011