Venezuela / Politik

Rückläufiger Informationswille

So einfach kann die Welt sein: Gewinnüberschuss gut, Ausgaben schlecht.

Gerhard Heinrichs und meine Wege haben sich noch nicht gekreuzt. Nach dem aber, was ich von ihm gelesen habe, ist an seinem Weltbild nicht zu rütteln: Als einer von fünf Redakteuren beim Recklinghausener Börseninformationsdienst EMFIS.com weiß er, was zu berichten ist: Gewinnüberschuss ist gut, Ausgaben schlecht. So einfach kann die Welt sein. Vor allem, wenn man sie aus der Provinz betrachtet.

Nun trifft der Autor auf Venezuela; Ruhrgebiet auf Südamerika. Dessen Regierung, so weiß Gerhard Heinrich, nennt sich nicht nur sozialistisch, sie hat auch die Kontrolle über die Erdölindustrie zurückerobert und gegen fast jedes Gebot des Washington Consensus verstoßen, ein Maßnahmenkatalog, der 1989 von den Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank passend zum Zeitgeschehen entworfen worden war, um die neoliberale Umstrukturierung in der so genannten dritten Welt voranzutreiben.

Über Staatsführung, die dagegen verstoßen, weiß Heinrich nichts gutes zu berichten. Staatsführung? Mitnichten! Verstaatlichen – so etwas machen nur „Regime“.

Heinrichs Kurzmeldung über die Vorjahresbilanz des staatlichen venezolanischen Erdölkonzern Petróleos de Venezuela S.A. (PdVSA) warnt schon in der Überschrift vom „rückläufigen Gewinn“ des Konzern. Der habe zwar fast 100 Milliarden US-Dollar Umsatz zu verzeichnen gehabt. Der Nettogewinn aber sei um 5,45 Milliarden Euro, und damit um 16 Prozent geschwunden. Eine Todsünde für einen Broker-Ideologen. Nach nur vier Zeilen der Meldung ist das Unverständnis des Autors derart gewachsen, dass er die positive Nachricht nicht unkommentiert stehen lassen kann. Das Ergebnis, schreibt er, „lag damit aber dennoch höher, als ursprünglich vom Regime bekannt gegeben“. Heinrich liefert damit den Beweis, dass sich demokratische Legitimation im neoliberalen Denken nicht aus Wahlen ableitet, sondern aus den Jahresbilanzen. Wirtschaftsprüfer-testiert natürlich.

Tatsächlich dürfte den Brokern nicht gefallen, was mit dem Staatskonzern geschieht. „Die neue PdVSA“, erklärte Erdölminister Rafael Ramírez unlängst, „ist Teil des wirtschaftlichen, politischen und sozialen Prozesses, der das Land im Dienst der Mehrheit befreit“. Im vergangenen Jahr haben die sozialen Programme der Regierung von Hugo Chávez Millionen US-Dollar von der PdVSA erhalten. Auf die Misión Ribas entfielen 280 Millionen, ebenso auf die Misión Mercal. Das medizinische Hilfsprogramm Barrio Adentro erhielt 592 Millionen US-Dollar und die Misión Ciencia 230 Millionen.

Seit eine groß angelegte Sabotageaktion von Regierungsgegnern innerhalb des Erdölunternehmens vor fünf Jahren gescheitert ist, sind Zehntausende wegen dieser Sabotage oder des Verstoßes gegen vertragliche Verpflichtungen entlassen worden. Auf den Tanklastzügen und Industrieanlagen der steht seither: „Die neue PdVSA gehört dem Volk“.

Das kann nicht gut für die Börsenbilanzen sein.