Hirnrissige Kopfnote

Schwachsinniges in der "Welt" zur Gründung der "Bank des Südens"

Mit "Kopfnoten" wurden im DDR-Schulsystem Eigenschaften wie Mitarbeit, Fleiß, Disziplin und soziales Verhalten bewertet. Nach der Wende waren sie verpönt. Doch nun werden sie wieder vergeben, und das ausgerechnet von der konservativen Tageszeitung „Die Welt“ aus dem Hause Springer.

Am Donnerstag bekam sie in diesem Blatt der venezolanische Präsident Hugo Chávez verpasst. Ein Verfasser mit dem Kürzel „Stg“ urteilte über die Gründung der Bank des Südens:

„Aber Chávez hat seit 1999 bewiesen, dass er die riesigen Einnahmen seines rohstoffreichen Landes nicht zur wirtschaftlichen Entwicklung einsetzt, sondern zur Finanzierung seiner Linksdiktatur: die Armut in Venezuela hat unter Chávez zugenommen. Jeder, der diese Bank unterstützt, finanziert ein Fass ohne Boden – das zudem durch Chávez' antiamerikanische Stoßrichtung schon jetzt international diskreditiert ist.“

Der Duktus läßt vermuten, dass das Springer-Blatt nicht wie beim Parfum Interesse an Chávez wecken möchte. Aber welche Kopfnote bekommt der Bolivarianer? Darüber schweigt sich die Zeitung aus. Rührt das Schweigen daher, dass ihr eine Sechs minus nicht ausreicht, aber eine Sieben nach der hiesigen Werteskala nicht zu vergeben ist? Oder gibt es keine Note, weil sie wegen der fehlerhaften Begründung keinen Bestand hätte?

Von „Linksdiktatur“ ist die Rede in einem Land, bei dem sogar die EU mehrfach festgestellt hat, dass in ihm demokratische Wahlen gewährleistet sind. Da aber bei der „Welt“ nicht sein kann, was laut Washington nicht sein darf, behauptet „Stg“ weiter, die Armut hätte unter Chávez zugenommen. Doch wo sind die Belege?

Der Präsident sagt, in acht Jahren Amtszeit sei die Armut von 60 Prozent (1999) auf 30 Prozent (2007) gesunken. Sein Streit mit den Statistikern über die Berechnung der Armut ist bekannt. Das Problem ist, wie man die sozialen Leistungen (kostenloses Gesundheitssystem, subventionierte Lebensmittel, gratis Ausbildungen, Mindestlohn und andere Sozialprogramme, die die Armut lindern) statistisch erfassen kann. Solange es hierfür keine allgemeingültige Formel gibt, werden sich die Geister auch weiterhin am Armutsindex scheiden.

Aber es geht gar nicht um die Armut: Der Hochfinanz in den USA und Europa gehen die Muffen, weil sechs südamerikanische Staaten ihre Devisen nicht mehr in Geldhäusern des Nordens horten wollen, sondern mit diesen selbst wirtschaften möchten, ohne sich das Kapital für Infrastrukturprojekte mit entsprechenden Zinsen in New York, London, Paris oder Frankfurt leihen zu müssen.

Wie eingeschränkt 'Stgs' geographischer Horizont ist, zeigt der letzte Satz: die Bank des Südens sei "durch Chávez' antiamerikanische Stoßrichtung" schon jetzt diskreditiert. Alles USA, oder was? Zu den Gründungsmitgliedern der Bank zählen neben Venezuela Argentinien, Brasilien, Bolivien, Ecuador und Paraguay. Ein Blick in den Atlas klärt auf: die genannten Länder liegen auch alle in Amerika. Und die werden wohl kaum einen finanzpolitischen Harakiri begehen, indem sie ein Geldinstitut mit "antiamerikanischer Stoßrichtung" ins Leben rufen.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, daß die Kopfnoten der Welt vor allem eines sind: hinrissig.