Über das Lokale hinaus

Protagonismus der Ausgeschlossenen: Ansätze partizipativer Stadtentwicklung in den Barrios von Caracas

Unter dem Titel "Revolution als Prozess" erscheint dieser Tage im Hamburger VSA-Verlag ein Sammelband zu aktuellen politischen Entwicklungen in Venezuela. In dem Band werden Forschungsergebnisse der Gruppe Movimentor präsentiert, die von April 2005 bis April 2007 als stipendiatisches Projekt der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung arbeitete. Ihr Ziel war "ein Austausch zwischen sozialen Bewegungen in Venezuela und in Deutschland über Strategien gegen den Neoliberalismus", wie es im Vorwort heißt. Zehn Autorinnen und Autoren untersuchen, unter besonderer Berücksichtigung basisdemokratischer Prozesse, die gesellschaftlichen Umbrüche, die sich gegenwärtig in Venezuela vollziehen. Wir veröffentlichen vorab einen Auszug aus dem Beitrag von Andrej Holm und Matthias Bernt, der sich mit der Stadtentwicklung in den Barrios von Caracas befasst.

Wer Caracas zum ersten Mal besucht, merkt sofort, dass die bolivarische Revolution zu weiten Teilen auch eine kommunale Revolution ist. Ob man sich in einem oppositionellen oder in einem bolivarischen Viertel befindet, merkt man nicht nur an den Graffitis und Parolen an den Häuserwänden, sondern oft auch am Zustand der Häuser, an den Verkehrsverbindungen oder am Müll auf den Straßen. Auf den zweiten Blick erkennt man Veränderungen: neue Krankenstationen, Kooperativen, Stadtteilradios; und vor allem eine unendliche Zahl von Versammlungen, Initiativen und neuen Gesetzen. In den Barrios 1 der Metropole Caracas vollziehen sich zur Zeit äußerst spannende Veränderungen - nicht nur in sozialpolitischen Programmen, sondern vor allem auch in den Entscheidungsstrukturen der Stadtplanung. Das bestehende repräsentativ-hierarchische System der Stadtentwicklungsplanung wird dadurch um basisdemokratische Elemente erweitert, die die überkommenen Strukturen ersetzen, ergänzen und verändern. Der Kern der Veränderungen ist eine Umwälzung von Planungsmacht: weg von Stadtentwicklungsverwaltungen, Bezirksämtern und Bauministerien, hin zu Basiskomitees und Stadtteilausschüssen.

Die Tragweite der aktuellen Veränderungen ist immens, denn sie zielen nicht nur auf ein "Mehr" an Mitbestimmung und auf die Überwindung der Caracas prägenden Benachteiligung der Barrios, sondern sie streben ein völlig neues System der Stadtentwicklung an. (...)

Caracas - Stadt der Barrios

Die Stadtentwicklung von Caracas ist ein direktes Resultat des auf dem Ölexport basierenden venezolanischen Wirtschaftsmodells, wie es sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts etabliert hat. Denn Ölreichtum ermöglichte eine immense Ölrente, die in den 1950er bis 1980er Jahren ein enormes Wachstum und eine rasante Modernisierung der Stadt bezahlbar machte. Im Zuge einer massiven Expansion staatlicher Ausgaben entstanden im Zentrum der Stadt ein modernes Verkehrssystem, eine bemerkenswerte Infrastruktur und eine Vielzahl von ultramodernistischen Bauten. Die fordistische Modernisierung von Caracas umfasste allerdings nur das Zentrum der in einem Hochtal gelegenen Metropole. Parallel zu dieser Entwicklung breitete sich Caracas ungesteuert und explosiv in alle Richtungen aus. Die mit dem Bauboom und der Neuausrichtung der Volkswirtschaft auf eine rohstoffbasierte Rentenökonomie verbundene Nachfrage nach billigen, gering qualifizierten Arbeitskräften und die sich verschlechternde Situation auf dem Land führten zu einem gewaltigen Zustrom in die Metropole. Da für die Zuwanderermassen trotz öffentlicher Wohnungsbauprogramme nie auch nur annähernd ausreichend Wohnraum geschaffen werden konnte, entstanden seit den 1940er Jahren die ersten Barrios. Diese dehnten sich schnell aus und siedelten in den folgenden Jahrzehnten fast alle bis dahin unbebauten Flächen zu. Da sowohl die Zuwanderung als auch die Bebauung weitgehend unkontrolliert erfolgten, wuchs die Bevölkerung der venezolanischen Hauptstadt so schnell, dass heute eigentlich niemand genau weiß, wie viele Einwohner die Stadt hat. Sicher ist nur, dass Caracas sich innerhalb weniger Jahrzehnte von einer Kleinstadt zu einer Millionenmetropole entwickelte. Vallmitjana (1991) macht folgende Angaben: 1920 wohnten etwa 90 000 Einwohner in der Stadt Caracas, 1950 waren es schon fast 700000, 1980 fast drei Millionen. Die aktuelle Einwohnerzahl des Ballungsraums wird zwischen 3,2 und über neun Millionen. geschätzt.

Vor allem die später entstandenen Barrios zogen sich dabei immer weiter in die das Hochtal umgebenden Berghänge hinauf und besetzten im Laufe der Jahre auch erosionsgefährdete Abhänge und überschwemmungsgefährdete Flussufer. Die Folge ist eine erhöhte Gefährdung der Bewohner durch Naturkatastrophen - wie der im Dezember 1999, als starke Regenfälle zum Abrutschen ganzer Viertel und zum Tod von etwa 30000 Menschen durch Lawinen führten.

"Zwei-Klassen-Metropole"

Infolge dieser städtebaulichen Geschichte ist Caracas, für jeden Besucher sofort erkennbar, eine zweigeteilte Stadt. Das Ziegelsteinrot der Barrios, die sich in Zwischenräumen unmittelbar an das Zentrum anschließen und bis in abenteuerliche Höhen an den Berghängen hochziehen, ist dabei die dominierende Farbe; die Mehrheit der Bevölkerung lebt nicht im modernen Stadtzentrum, sondern in "informellen", im Selbstbau errichteten Siedlungen.

"Informalität" ist damit das bestimmende Merkmal der Stadtentwicklung, und es wird geschätzt, dass heute 40 bis 60 Prozent des gesamten Wohnungsbestandes aus illegal errichteten Siedlungen bestehen.

Die Entwicklung der Stadt vollzog sich damit, gemessen an europäischen Maßstäben, sozusagen "verkehrt herum" und folgte der Formel Besetzung-Konstruktion-Infrastruktur-Grundbucheintrag. Während in unseren Städten die Besitzverhältnisse lange geklärt sind, bevor Straßen und Häuser gebaut werden und die ersten Bewohner einziehen, ist es in den Barrios von Caracas in der Regel genau andersherum. In der Folge sind in weiten Teilen der Stadt nicht nur typisch städtische Einrichtungen wie Straßen, Friedhöfe oder Wasserleitungen gar nicht vorhanden, auch Besitzverhältnisse sind oft nicht geklärt, und Grundstücksgrenzen wie Baustandards erfahren keine Beachtung.

Hieraus resultiert eine ganze Reihe von Problemen: Die Wohngebiete sind so oft nur über improvisierte Treppen erschlossen, die Straßenbeleuchtung fehlt in den meisten Fällen. Gewöhnlich verfügen die Stadtteile nur über mangelhafte, mitunter auch über gar keine Anschlüsse an Trinkwassernetze, Kanalisation, Stromversorgung oder Telefon. Gerade in jüngeren und ärmeren Barrios existieren oft keine befestigten Straßen, was die Erschließung durch die in Caracas meist als Verkehrsmittel benutzten Minibusse kompliziert macht. Die schlechte Infrastruktur erschwert zudem die Müllentsorgung, so dass an vielen Stellen "wilde" Deponien zu finden sind; hieraus resultieren wiederum Probleme mit Ungeziefer, Emissionen und Hygiene. Wasser- und Stromversorgung werden meist durch "Anzapfen" vorhandener Leitungen organisiert, was zu Ausfallzeiten, geringem Wasserdruck und Kurzschlüssen führt. Die Abwasserableitung über Sammelkanäle führt zu hygienischen Missständen und verstärkt zusätzlich die Bodenerosion. Ein weiterer Mangel der Barrios besteht in der geringen Ausstattung mit sozialer Infrastruktur, wie Schulen, Arztpraxen, Bibliotheken, Spielplätzen.

Zusammengefasst kann man also sagen, dass das Leben im Barrio von einer ganzen Reihe von handfesten Problemen gekennzeichnet ist. Obwohl diese Siedlungen mittlerweile Caracas dominieren, bedeutet, im Barrio zu wohnen, deshalb nach wie vor, benachteiligt und von einer Vielzahl städtischer Versorgungsleistungen (Wasser, Strom, Müll, Verkehrswege) ausgeschlossen zu sein. Caracas kann damit als eine Art "Zwei-Klassen-Stadt" verstanden werden, in der der größere Teil der Bewohner seit Jahrzehnten von dem modernen Ideal einer "republikanischen", egalitären und rationalen Stadt ausgeschlossen ist.

Nichtsdestotrotz wurde dieser Ausschluss von der venezolanischen Politik lange Zeit überhaupt nicht thematisiert. Barrios galten, obwohl sie die größte Fläche der Stadt einnehmen, als "Marginalsiedlungen", als "informell" oder als "Ranchos" ("Hütten"). Barrios wurden vor allem als Problem behandelt - dass die "ungeplante" Entwicklung von Caracas auch eine enorme Leistung der Selbst­organisation war, mit der städtische Aufgaben gelöst wurden, die Staat und Markt vernachlässigt hatten, wurde hingegen völlig negiert.

Kulturelle Stigmatisierung

Allen Realitäten zum Trotz wurde die Verbreitung informeller Siedlungen von Staatsapparat, Fachleuten und öffentlicher Meinung lange Zeit nicht anerkannt. Bis weit in die 1960er Jahre bestand die einzige Politik gegenüber den Barrios im Niederreißen und Plattmachen. Auch in den 1980ern gab es immer wieder Versuche, neu errichtete Siedlungen zu räumen. Da Wohnungen weiterhin knapp waren, wurden abgerissene Barrios allerdings meist nach kurzer Zeit an anderer Stelle von neuem errichtet. Von offizieller Seite war Ignoranz die bestimmende Haltung: Die informell entstandenen Stadtteile, die mittlerweile Millionen Einwohner hatten, wurden einfach ignoriert: Sie wurden nicht in die städtische Infrastrukturplanung einbezogen, erhielten keine politische Vertretung und tauchten nicht einmal im Stadtplan auf. Die Folge dieser Politik war nicht nur eine offensichtliche "Teilung" von Caracas, sondern auch eine tief verwurzelte kulturelle Stigmatisierung der Barriobewohner in den Augen der Mittelklassen und eine Lücke in der politischen Repräsentation.

Nur langsam, und auch weil mit dem zunehmenden Wachstum der Barrio-Stadt die dortigen Wählerstimmen immer bedeutsamer wurden, entwickelten sich zaghafte Versuche, diese Siedlungen als Realität anzuerkennen und nicht nur Abrisse, sondern auch Sanierungen, Infrastrukturmaßnahmen und Wohnumfeldverbesserungen durchzuführen. Als gesellschaftliche Realität anerkannt wurden die Barrios erst 1987 mit dem neuen Stadtplanungsgesetz. Zu diesem Zeitpunkt stellten die Armenviertel in Caracas bereits einen derart dominanten Bestandteil städtischer Realität dar, dass es kaum noch möglich war, diesen zu ignorieren. Barrios waren beim besten Willen nicht mehr als "marginal" zu bezeichnen; sie machten einen Großteil des Stadtgebietes aus, hatten zum Teil eine jahrzehntelange Geschichte und waren inzwischen teilweise auch zum akzeptierten Wohnstandort für Mittelschichtsangehörige geworden. Auch als "Wahlklientel" war die Barriobevölkerung kaum noch zu übersehen. Entsprechend versuchten Parteien und Politiker zunehmend, sich durch Gefälligkeiten bei der Errichtung neuer Siedlungen oder der Bereitstellung von Infrastruktur wie Wasserleitungen, Straßen und der Stromversorgung die Wählergunst ganzer Nachbarschaften zu sichern. Wo der Staat die Barrios bislang völlig von fundamentalen Versorgungsleistungen ausgeschlossen hatte, gab es jetzt zumindest teilweise und periodisch Versuche, solche einzuführen. Hinzu kommt, dass die Beschäftigung mit der Barrio-Stadt in der Fachöffentlichkeit der venezolanischen Stadtplaner und Architekten seit den 1980er Jahren einen wachsenden Raum einnahm. Unter dem Slogan "Das Unsichtbare sichtbar machen" wurden in den 80er Jahren an der Universidad Central de Venezuela (UCV) verschiedene Studien zu den Wohn- und Lebensbedingungen in den Barrios durchgeführt, die sozusagen die Türen für eine andere Wahrnehmung dieser Viertel öffneten.

Neben all diesen begünstigenden Faktoren ist aber vor allem das Entstehen und die Konsolidierung von sozialen Bewegungen von entscheidender Bedeutung, die in den 1980er und 90er Jahren die Barrio-Frage zunehmend zum Politikum machten. Oftmals spontan oder zur Lösung eines konkreten Problems gegründet, übernahmen Barriogruppen dabei Stück für Stück Verantwortung für einzelne Bereiche der Stadtteilorganisation.

Von Kindergärten über Sportplätze bis hin zu Nachbarschaftszeitungen wurden etliche Aktivitäten in den Barrios damit nicht mehr vom Staat, sondern von den Nachbarschaftsorganisationen gewährleistet. Neben der eigenständigen Organisierung kam es dabei mit der Zeit auch zu einer zunehmenden Politisierung der Barriobewegungen. Konzentrierten sich Organisationsansätze und Aktivitäten in den Armenvierteln in den 1970er und 80er Jahren oft vor allem auf kulturelle Projekte, rückten mit der Zeit auch Themen wie Wasserversorgung, der Zustand der Straßen und die juristische Absicherung der Siedlungen in den Vordergrund. Die bestehende Tradition von - oft eng mit den regierenden Parteien verflochtenen und in deren Klientelsysteme eingebundenen - Nachbarschaftsvereinigungen erfuhr damit einen entscheidenden Umbruch. Die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung infolge der neoliberalen Austeritätspolitik und die nach Caracazo (einer massenhaften Armutsrevolte in Caracas 1989 - d. Red.) und diversen Korrup-tionsaffären auf dem Nullpunkt angelangte Legitimation staatlicher Institutionen führten zu einem Aufschwung autonomer Initiativen, die in den 1990er Jahren eine eigenständige politische und kulturelle Identität erlangten und sich zusehends ausweiteten und festigen konnten. Dabei kam es nicht nur zu einem politischen Bedeutungszuwachs der Nachbarschaftsvereine, sondern auch zu einer zunehmenden Vernetzung, Konsolidierung und eigenständigen Organisierung über das Lokale hinaus, die den Grundstein für viele der heutigen Aktivitäten legte.

Die Bedeutung dieser Vorgeschichte für die heutige bolivarische Stadt­teil­entwicklungspolitik ist kaum zu überschätzen: Viele der jetzt im bolivarischen "Prozess" Aktiven haben ihr politisches Leben in Nachbarschaftsorganisationen begonnen, Kinoabende organisiert oder sich um die Müllentsorgung gekümmert. Ein zentrales Ereignis in der Geschichte der Barrios war die Gründung einer zeitweise 800 Delegierte umfassenden "Asamblea de Barrios", in der Abgesandteverschiedener Viertel autonome Organisationsformen für die Verbesserung der Lebens- und Wohnverhältnisse in den Armenvierteln aufbauten. In diesem Zusammenhang entstanden z. B. auch "Komitees für Wasserfragen", die bis heute die Wasserver- und -entsorgung in vielen Gebieten von Caracas mitorganisieren (Twickel 2006: 93).

Barriopolitik auf bolivarisch

Mit der Wahl 1998 und den politischen Veränderungen in Venezuela verbanden viele Aktivistinnen und Aktivisten aus den Barrios die Hoffnung auf eine neue Stadtentwicklungspolitik. Dass die Regierung Chávez, anders als ihre Vorgängerinnen, hier tatsächlich neue Schritte einleitete, versteht sich trotzdem nicht von selbst. Die darauf aufbauenden politischen Initiativen folgten vielmehr - bei jeweils bedeutenden Unterschieden im Detail - einer Reihe von Gemeinsamkeiten, die ihnen ihre typische Prägung geben.

Die Armenviertel sind dabei faktisch die politische Basis der heutigen Regierung. Insbesondere in Krisensituationen wie dem Putschversuch 2002 oder im Zusammenhang mit dem Managerstreik und der versuchten Stillegung der Ölindustrie konnte sich die Regierung auf die Bevölkerung in den Barrios stützen, die aus ihren Vierteln in die Stadt hinunterkam und mit machtvollen Demonstrationen die Kräfteverhältnisse wiederherstellte. Auch der Versuch, einen Streik der Transportunternehmen zu inszenieren, scheiterte im Februar 2006 letztlich an den neu gegründeten Transportkollektiven aus den Barrios, die umgehend den öffentlichen Verkehr in Caracas übernahmen.

Zum zweiten entspricht eine Unterstützung von Basisinitiativen dem ideologischen Kern der bolivarischen Politikvorstellung. Das Konzept einer die Republik Venezuela konstituierenden vierten Gewalt (Poder Ciudadano) in Gestalt der direkten Demokratie wird nicht nur in ideologischen Programmen und Doktrinen verhandelt, sondern erhielt mit der im Dezember 1999 verabschiedeten Verfassung den Status einer verbindlichen Grundlage staatlichen Handelns. Die Volksmacht wird dabei einerseits als den Staat kontrollierende, andererseits aber diesen durch ihre schöpferische Eigeninitiative erst konstituierende Kraft verstanden. Die Verpflichtung des Staatsapparates ist es daher, die Volksmacht zu stärken und Elemente der "partizipativen und protagonistischen Demokratie" auszubauen. Entsprechende Passagen lassen sich in der Verfassung zuhauf finden; von besonderer Bedeutung sind hier die Festlegungen, dass die Macht im souveränen Volk wurzele (Artikel 5), dass alle Bürger Anrecht auf aktive Partizipation an allen öffentlichen Angelegenheiten haben (Artikel 62) und dass "neue Subjekte der Dezentralisierung auf der Ebene von Kommunalbezirken, der Zivilgesellschaft, von Wohnvierteln und Nachbarschaftsquartieren" geschaffen werden sollen, an die sukzessive staatliche Kompetenzen in der Ausarbeitung und Durchführung von öffentlichen Investitionsmaßnahmen, Sozialprogrammen und öffentlichen Dienstleistungen zu übertragen sind (Artikel 184).

Dieser Linie folgen auch die verschiedenen "Misiones" (staatliche Sozialprogramme - d. Red.), die in vielen Punkten am bestehenden Verwaltungsapparat vorbei mit Unterstützung der Barriobevölkerung implementiert wurden. Die auf Mitarbeit der Nachbarschaft basierende Umsetzung von Programmen wie dem Barrio Adentro, die Gesundheitskomitees ("Comités de Salud") oder die Runden Tische zur Wasserversorgung ("Mesas técnicas de agua") zeigten deutlich, dass bislang vom Staat (nicht) erbrachte Dienstleistungen oft besser von den Bewohnern organisiert werden können und dass dies auch zu einer höheren Akzeptanz von politischen Initiativen beiträgt.

Im Ergebnis all dieser Entwicklungen wurde die Einbeziehung der "comunidades" zu einem zentralen Pfeiler der bolivarischen Politik. Gemeinsamer Nenner der verschiedenen Initiativen ist dabei die Idee einer Stärkung der "partizipativen und protagonistischen Demokratie": Die Bewohner der Armenviertel sollen nicht nur einfach über staatliche Vorhaben informiert werden und dazu Anregungen und/oder Bedenken vortragen dürfen - sondern Investitionspläne und Handlungsprioritäten sollen von den "comunidades" erarbeitet und nach Möglichkeit unter Beteiligung der Bewohner umgesetzt werden.


Literatur:

  • Twickel, Christoph, Hugo Chávez. Eine Biographie, Hamburg, Nautilus 2006
  • Vallmitjana, Marta u. a., Plan Rotival. La Caracas que no fue, Caracas, Universidad Central de Venezuela 1991

Andrej Holm arbeitet als promovierter Sozial-wissenschaftler, Matthias Bernt als Politikwissenschaftler zu Fragen der Stadtentwicklung. Beide leben in Berlin und sind dort seit den 1990er Jahren in verschiedenen Stadtteilinitiativen und Mieterorganisationen aktiv

Andrej Holm (Hrsg.), Revolution als Prozess. Selbstorganisierung und Partizipation in Venezuela, VSA-Verlag, Hamburg 2007, 172 S., brosch., ISBN 978-3-89965-259-8, 10,80 Euro

  • 1. Als Barrios werden in Venezuela Gebiete bezeichnet, die von den Bewohnern illegal angeeignet wurden, um dort, meist in Selbsthilfe, Wohnraum zu errichten. Andere, politisch umstrittene, Bezeichnungen sind Squatter-Siedlungen, Marginalsiedlungen, Spontansiedlungen. In anderen Ländern lassen sich Begriffe wie Favelas, Shantytowns, Bidonvilles finden.