Venezuela / Politik

Korruption in Venezuela

Argumente zum Korruptionswahrnehmungsindex CPI von Transparency International

Der diesjährige Korruptionswahrnehmungsindex (CPI) der Organisation Transparency International bezeichnet Venezuela als eines der korruptesten Länder der Welt. Doch eine genauere Untersuchung der Daten zeigt, dass der CPI ein sehr unzuverlässiges Maß für Korruption in Venezuela ist.

Politiker der Korruption zu beschuldigen ist vielleicht eine der beliebtesten Möglichkeiten, lateinamerikanische Politiker zu diskreditieren. Chávez selbst hat, als er ins Amt kam, die gesamte politische Klasse Venezuelas der Korruption bezichtigt, was ihn bei den Wählern sehr beliebt gemacht hat, die es satt hatten zuzusehen, wie ihr Land, trotz des enormen Reichtums an Öl, in Armut versinkt. Es ist also nicht weiter überraschend, dass jetzt, wo Chávez seit fast acht Jahre im Amt ist, seine Gegner im In- und im Ausland eben jene Beschuldigung gegen ihn erheben.

In einem aktueller Newsweek-Artikel (31.7.2006, "A question of Graft") zum Beispiel war zu lesen, dass Chávez "die gleiche für das Land typische Korruption verbreitet, die in den 1990ern die beiden grössten Parteien Venezuelas gründlich diskreditiert hat." Der Artikel führt einige der prominentesten Korruptionsfälle auf und zitiert den Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International. Ein Artikel in der Washington Times (15.9.2006, "New Role for a Sore Loser") meint, dass es in Chávez innerem Kreis von Ministern und Beratern eine wuchernde Korruption gebe. Solche Behauptungen sind natürlich auch in der Mainstream-Presse in Venezuelas selbst sehr verbreitet.

In der Liste von Transparency International (TI) ist Venezuela an Position 130 von 158 eingestuft und somit eines der korruptesten Länder überhaupt, gleichauf mit Ländern wie Burundi, Kambodscha, dem Kongo, Georgien, Kirgisien und weit hinter allen anderen lateinamerikanischen Ländern. Auch fiel Venezuela zwischen 2001 und 2005 auf der Skala von 1-10, wobei 10 die Länder ohne Korruption darstellt, von 2,8 auf 2,3 ab. Eine genauere Betrachtung dieser anscheinend zuverlässigen statistischen Behauptung gibt jedoch ein ganz anderes Bild von Korruption in Venezuela.

Erstens basiert der Korruptionsindex größtenteils auf der Wahrnehmung von ausländischen Experten und Geschäftsleuten. Zieht man in Betracht, dass die Wahrnehmung von Venezuela größtenteils auf der Darstellung der nationalen und internationalen Presse basiert, die auf überwältigende Art und Weise mit der Opposition des Landes sympathisieren, ist es wenig verwunderlich, dass der Index diese Befangenheit widerspiegelt.

Zweitens gibt es mindestens zwei weitere, weitaus objektivere Maßstäbe für Korruption in Venezuela, die von der internationalen Presse nie zitiert werden und die zeigen, dass Venezuela nicht schlechter abschneidet als andere lateinamerikanische Länder. Einmal gibt es den "Global Corruption Barometer" (CB), von Transperancy International durchgeführt, und des weiteren den "Latinobarometer" (LB).1 Beide führten relativ ähnliche Erhebungen unter Einwohnern der fraglichen Länder durch.

So fragte Transparency International im CB beispielsweise die Bevölkerung, ob Korruption ihr Leben in einem großen, mittleren, kleinen oder gar keinem Ausmaß beeinflusst. Darauf sahen sich die Venezolaner zu 55% betroffen. Dies ist vergleichbar mit den Werten von Kolumbien (54%), Costa Rica (56%) und Ekuador (57%) und liegt weit unterhalb der Antworten der Bolivianer (73%) und Mexikaner (67%). Ähnliche Ergebnisse lieferte die Studie des LB, die nach dem Anteil an in Korruption verstrickten Amtspersonen fragte: Venezuela landete mit 65% um 3 Prozentpunkte unter dem südamerikanischen Durchschnitt von 68%.

Die Frage nach der eigenen Wahrnehmung von Korruption ist jedoch anfällig für Befangenheit, die in dem jeweiligen Land herrschen kann, denn die Bewohner können aufgrund von nationalen Eigenheiten ein unrealistisches Bild bekommen, das Korruption entweder überschätzt oder herunterspielt. Andere Fragen, etwa nach Erfolgen bei der Korruptionsbekämpfung, könnten hier objektivere Daten liefern.

Bei der Frage nach dem Fortschritt in der Korruptionsbekämpfung in den letzten beiden Jahren zeigt die Bürgerbefragung von LB, dass Venezuela mit 42% an dritter Stelle steht. Nur Kolumbien und Uruguay haben mit 45% ein besseres Ergebnis erzielt. Die Befragung von TI kommt bei dieser Frage zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen: Hier sagen 72% der Venezolaner, dass Korruption "sehr viel" oder "ein bisschen" in den letzten 3 Jahren zugenommen hat. Dies ist vergleichbar mit Bolivien (70%), Costa Rica (79%), Ekuador (81%) und den U.S.A. mit 65%.2

Der vielleicht objektivste Maßstab für Korruption in einem Land ist eine Befragung, ob die Person im vergangenen Jahr selbst Korruption erfahren hat. Laut LB haben nur 16% der Venezolaner angegeben, dass sie selbst einen Akt der Korruption direkt oder indirekt in den letzten 12 Monaten wahrgenommen haben. Dies ist 4 Punkte unter dem lateinamerikanischen Durchschnitt von 20% und 11 Punkte unter dem Ergebnis der venezolanischen Befragung von 2001 (27%). TI fragte in ähnlicher Art und Weise ("Haben sie oder jemand in Ihrem Haushalt in irgendeiner Form in den letzten 12 Monaten Bestechungsgelder bezahlt?"). Diese Frage beantworteten nur 6% mit ja, was dem Prozentsatz von Kolumbien entspricht und weit unter Bolivien (20%), Ekuador(18%) und Mexiko(31%) liegt.

Betrachtet man also zusätzliche, objektivere Daten, so stellt sich heraus, dass Venezuela sich im oder sogar leicht unter dem lateinamerikanischen Durchschnitt bewegt. Pauschale Aussagen, dass es in Venezuela unter Chávez eine stetig ansteigende, "wuchernde Korruption" gebe, halten einer genaueren Untersuchung nicht stand.