Brasilien

Problemfall Brasilien

Die Regierung von "Lula" hemmt die Gründung einer "Bank des Südens". Dahinter stehen eigene Führungsinteressen

In den letzten Tagen haben gleich zwei renommierte linke Ökonomen - Oscar Ugarteche und Eric Toussaint - die brasilianische Regierung unter Luiz Ignacio "Lula" da Silva kritisiert. Diese sei für die Verzögerung bei der Gründung der Bank des Südens verantwortlich, eines regionalen Kreditinstitutes, das von Venezuela und Argentinien in Angriff genommen wurde und das die Bretton-Woods-Institutionen IWF und Weltbank mittelfristig ersetzen soll. So wurde bekannt, dass hinter allen gegenläufigen Erklärungen Brasiliens Interessen stecken, die in Verbindung mit multinationalen Konzernen stehen. Diese Interessen blockieren die von der großen Mehrheit in Südamerika unterstützten Absichten Venezuelas und Argentiniens.

In seinem Artikel "Brazil versus Bancosur" schreibt der Peruaner Oscar Ugarteche sehr deutlich, es fehle allein der politische Wille. Die technischen Probleme für eine regionale Entwicklungsbank seien gelöst. Sie habe sogar schon ihre Statuten. "Der Hauptwiderstand der brasilianischen Regierung basiert darauf, dass sie die Südbank als Finanzier der "Regionalen Südamerikanischen Infrastrukturinitiative" (IIRSA) instrumentalisieren will. Die Regierung Lula hat die IIRSA - ein Abkommen zur Förderung des Handels zwischen Pazifik und Atlantik - zum Kern ihrer Regionalpolitik gemacht. Ziel ist es, Naturressourcen billiger und schneller auf dem Weltmarkt anbieten zu können.

Brasilien hat keinen Bedarf an einer Regionalbank, die als Entwicklungsagentur fungiert, denn das Land verfügt bereits über eine solche Institution: die Nationale soziale und wirtschaftliche Entwicklungsbank . Diese hat mehr Ressourcen, um in der Region zu investieren als die Interamerikanische Entwicklungsbank oder die Weltbank selbst. Aus diesem Grunde, so Ugarteche, unternehme Brasilien alles, um die Gründung der Bank des Südens aufzuhalten, die eigentlich schon im Juli in Venezuela hätte stattfinden sollen.

Der Belgier Eric Toussaint ist Präsident des Komitees zur Annullierung der Schulden der Dritten Welt. In einem Interview argumentiert auch er: "Brasilien unterstützt die Bank des Südens nicht, weil es sie für seine wirtschaftlich mächtigen Projekte nicht benötigt". Formell allerdings beteilige sich die Regierung Lula an der Initiative, "weil Brasilien an Dominanz einbüßen könnte, falls die Bank gegründet wird und es außen vor bleibt." Toussaints Fazit: Hugo Chávez, Rafael Correa und Evo Morales wollen die Bank des Südens so schnell wie möglich auf den Weg bringen, doch "Brasilien versucht sie hinauszuzögern".

Das Thema zugleich von Langzeitstrategien abhängig. Brasilien will ein "global player" werden. Dazu muss es sich die Führungsposition in der Region sichern, und eines der Instrumente hierzu ist erwähnte IIRSA. Hauptprofiteur der IIRSA-Initiativen wäre - im doppelten Sinne - die brasilianische Bourgeoisie. Zum einen, weil IIRSA den schnellen Transport von Handelsgütern Richtung Norden gewährleisten soll, zum anderen, weil die meisten Baufirmen für dieses gigantische Projekt aus Brasilien kämen. IIRSA ist jedoch nicht Lulas Werk, sondern das der Vorgängerregierung unter Fernando Henrique Cardoso. Lula beschränkt sich darauf, das Projekt fortzusetzen und zu intensivieren.

Es ist wichtig, die brasilianische Strategie zu erkennen. In seinem aktuellen Buch erläutert Brasiliens Vizeaußenminister Samuel Pinheiro Guimaraes die langfristigen Zielsetzungen seines Landes: "Brasiliens Anspruch auf Großmachtstellung sollte nicht als Utopie verstanden werden, sondern als notwendiges nationales Ziel. Es nicht umzusetzen, käme einem Scheitern an der Aufgabe der Umsetzung künftiger Herausforderungen gleich und würde daher rasch zu einer Zeit großer Instabilität führen (und zu einem eventuellen internen Konflikt)." Eine der maßgeblichen Herausforderungen hängt mit der Verteilung des Reichtums in Brasilien zusammen. Brasilien gilt als "Weltmeister der Ungleichheit". Guimaraes schreibt, Südamerika sei "die Schlüsselregion und Grundlage für Brasiliens globale Strategie".

Die klaren Worte des Diplomaten Guimaraes helfen uns, die Art der Integration zu verstehen, die Brasilien vorschwebt. Die Bourgeoisie des Landes operiert nicht anders als zu Zeiten der Anfänge des Imperialismus: Um eine Neuverteilung des Reichtums zu vermeiden, musste man in die ärmsten Regionen des Landes expandieren, wo sich zusätzliche Profite erwirtschaften ließen. Unternimmt die heutige Elite Brasiliens nicht dasselbe? Schon jetzt dominieren deren Firmen in den Ländern Bolivien, Uruguay, Paraguay, Ecuador und Argentinien wichtige Produktionssparten und die natürlichen Ressourcen.

Ugarteche sieht eine einmalige Chance für Brasilien: Die US-Regierung von George W. Bush sei geschwächt und nicht in der Lage, eine autonome südamerikanische Integration in die Dollarzone aufzuhalten. Es wäre jedoch nicht das erstemal, dass ein Land dieses Kontinents der Supermacht USA in die Hände spielte. Brasilien wäre allerdings das erste Land mit einer Regierung, die sich selbst als "links" bezeichnet, die das Gängelband dieser Abhängigkeit fester zurren hilft. Aus diesem Grunde kommt einer offenen Debatte höchste Priorität bei. Aus elementaren diplomatischen Rücksichten können die Regierungen der Region nicht mit dem Finger auf die Regierungen eines anderen Landes zeigen. Anders sieht es mit uns aus: Wir dürfen die Augen nicht verschließen vor diesen beiden unterschiedlichen Wegen, die in entgegengesetzter Richtung verlaufen.

Im März war der US-Präsident George W. Bush bei Lula zu Gast und erhielt grünes Licht für des Ausbau der Äthanol-Wirtschaft. Damit wurde für die Multis gleichsam der Weg zum Amazonas und auf das Farmland der Familienbetriebe geebnet. es ist vor diesem Hintergrund interessant, wenn europäische Intellektuelle, wie Toni Negri (der sich auf einer Tour durch mehrere Länder der Region befindet), alle progressiven Regierungen der Region auf demselben Kurs sehen, weil sie den Mulitlateralismus stärkten. Das stimmt zwar, ist aber eine eurozentristische Sichtweise. Derzeit ist echter Multilateralismus auf dem Kontinent nur dadurch zu erreichen, dass man eine Integration unterstützt, die die Hegemonie der USA herausfordern kann und nicht eine, die diese unterstützt.


Der Originaltext findet sich hier