Bolivien

"Referendum war ein abgekartetes Spiel"

Illegale Abstimmung über Autonomie der bolivianischen Region Santa Cruz beruhte auf Betrug, Erpressung und Fälschung. Ein Gespräch mit Carlos Herrera

Carlos Herrera ist Vorsitzender der "Gewerkschaftlichen Vereinigung der Zuckerrohrarbeiter" (FSTZC) in Bolivien

Vergangenes Wochenende hat die konservative Opposition in der bolivianischen Region Santa Cruz ein Referendum abgehalten. Nach ihren eigenen Angaben votierten über 80 Prozent der Teilnehmer für mehr regionale Selbstbestimmung. Wie stellt sich dieses Ergebnis aus Gewerkschaftssicht dar?

Der Präfekt der Gebietsverwaltung Santa Cruz de la Sierra heißt Rubén Costas, er ist ein erklärter Feind der Regierung von Präsident Evo Morales. Ihm gehört gleich hier um die Ecke eine der größten Zuckerrohrplantagen des Landes - mit mehr als 5000 Hektar. Für ihn und die anderen Großgrundbesitzer sind die Wanderarbeiter, die aus dem verarmten Hochland ins tropische Tiefland kommen, lediglich billige Arbeitskräfte. Die Kollegen haben in den letzten Jahren allerdings die Erfahrung gemacht, dass sie ihren Kopf heben und ihre Forderungen laut benennen müssen, wenn sich etwas ändern soll. Und sie haben auch die Erfahrung gemacht, dass die gegenwärtige Regierung, die von der "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) gestellt wird, ihr Verbündeter ist.

Was wollten die Großgrundbesitzer mit diesem Referendum erreichen?

Leuten wie Costas schmeckt es nicht, dass die Arbeiter selbstbewusster geworden sind. Durch sie und die MAS sehen sie ihre wirtschaftlichen Interessen gefährdet und wollen sich deswegen mit Hilfe dieses Autonomie-Referendums vom Zentralstaat lösen. Um Stimmen zu bekommen, haben sie das Blaue vom Himmel versprochen: Schulen, Krankenhäuser, mehr Arbeit, besserer Lohn - das alles lasse sich aber nur durch die Autonomie erreichen. Costas hatte vor dem Referendum sogar versprochen, einen Mindestlohn von 1000 Bolivanos (umgerechnet 100 Dollar) einzuführen. Aber auf seinen Farmen zahlt er nicht einmal den staatlich festgesetzten Mindestlohn von 550 Bolivanos.

Die MAS-Regierung spricht von Wahlbetrug. Was wissen Sie darüber?

Costas hatte mir persönlich 10000 Dollar angeboten, damit ich meine Leute mit Lastwagen zu den Kundgebungen fahre, auf denen für die Autonomie geworben wurde. Ich sollte ihnen außerdem sagen, dass sie dafür stimmen müssten - ein "Nein" sei so etwas wie Verrat. Das ganze wurde mit Drohungen flankiert: Wer am Sonntag nicht zur Wahl geht, braucht am Montag gar nicht erst zur Arbeit zu erscheinen und kann sofort in sein Dorf zurückkehren. Dazu ist zu sagen, dass die meisten Erntehelfer "Collas" sind, also Quechua und Aymara aus dem Hochland. Sie kommen nur zur Ernte in die Ebene und sind ihren Chefs völlig ausgeliefert.

Wie haben Sie auf diesen Bestechungsversuch reagiert?

Natürlich habe ich das zurückgewiesen. Weil wir wütend darüber waren, dass man uns zur Teilnahme an der illegalen Abstimmung zwingen wollte, bin ich dann mit einigen Kollegen in Montero (Kleinstadt, 30 Kilometer von Santa Cruz entfernt) in ein Wahllokal eingedrungen, um die Abstimmung an Ort und Stelle zu verhindern. Als wir uns die Wahlurne schnappten, um sie zu verbrennen, fielen uns massenweise schon mit "Ja" ausgefüllte Stimmzettel entgegen - dabei war das Wahllokal noch gar nicht geöffnet! Als wir uns dann auf den Weg ins Parteibüro der MAS machten, um den Vorfall zu melden, wurden wir von Mitgliedern der "Jugendunion Pro Santa Cruz" (UJC) angegriffen.

Die Medien verbreiten die Information, MAS-Anhänger seien für die gewalttätigen Auseinandersetzungen rund um die Abstimmung verantwortlich. Dabei soll es einen Toten und mehrere Schwerverletzte gegeben haben...

Wir haben uns lediglich verteidigt. Ich habe aber UJC-Schläger gesehen, die Leute nur wegen ihres "Colla"-Gesichts angegriffen haben. Die dachten wohl, die Kollegen würden gegen die Autonomie stimmen, nur weil sie wie Evo Morales aus dem Hochland stammen. Im Fernsehen hieß es dann: Seht her, hier greifen MAS-Anhänger friedliche Wähler an. Die Wahllokale wurden schon um 16.30 Uhr geschlossen, um 20.00 Uhr sprach man dann von 90 Prozent Wahlbeteiligung. Eine phantastisch hohe Ziffer, wenn man frühere Wahlen zum Vergleich heranzieht! Das ganze Spektakel um das Referendum und die Autonomie war von vorne bis hinten ein abgekartetes Spiel.


Den vollständigen Originaltext des Interviews in der Tageszeitung junge Welt finden Sie hier.