Venezuela

Chancen und Grenzen

Debatte über alternative Medien in Lateinamerika - das Beispiel Venezuela

Es wäre ein Trugschluss zu glauben, die linken Reformer in Lateinamerika kämpften nur gegen die politische Opposition. Bei dem Versuch, ihre Länder von den Ketten der postkolonialen Herrenmenschen und ihrer neoliberalen Gesinnungsfreunde zu befreien, sind die linken Staatsführungen in Venezuela, Bolivien und Ecuador schnell auch mit der Medienmacht in Konflikt geraten. Selbst die konsensorientierten Regime in Argentinien und Brasilien stehen in einem ständigen Streit mit den großen Pressekonzernen. Während die Dispute im europäischen Ausland als Indizien für eine vermeintlich autoritäre Linie "linkspopulistischer" Staatsführungen präsentiert werden, wehren sich die Regierungen tatsächlich nur gegen eine Medienmacht, die sich die neoliberale Deregulierung zunutze gemacht hat, um ins Uferlose zu expandieren. Der mexikanische Konzern Televisa exportiert seine Produktionen inzwischen in rund 60 Staaten, die venezolanische Cisneros-Gruppe und das brasilianische Rede Globo stehen ihm kaum mehr nach.

Es ist kein Zufall, dass diese Medienmacht in Venezuela mit besonderem Interesse verfolgt wird. Als rechte Militärs und Unternehmer im April 2002 gegen die Regierung von Präsident Hugo Chávez rebellierten, genossen die Putschisten aktive Unterstützung der privaten Pressekonzerne. Seither hat sich viel getan. Neben unzähligen Stadtteil- und Basismedien sind mit Telesur, Vive, Ávila TV und TVES eine Reihe neuer Sender entstanden, die dank staatlicher Unterstützung ein Gegengewicht zu der privaten Informationsmacht aufbauen. Doch die Effizienz dieser großen Alternativmedien ist zunehmend umstritten. Spätestens die Niederlage des Regierungslagers im Referendum um eine Verfassungsreform am 2. Dezember 2007 hat die Diskussion angeheizt. Im Zentrum steht eine Frage: Können eilends geschaffene Medien die Demokratisierung des Informationsgeschäfts begünstigen, oder werden mit ihnen nur neue Bürokratien geschaffen, die - im besten Fall - nutzlos sind?

Nach dem Scheitern des Verfassungsreferendums in Venezuela erhob der spanische Journalist und Musikkritiker Carlos Tena vor diesem Hintergrund schwere Vorwürfe gegen den Fernsehsender Telesur. Der multistaatliche Kanal mit Sitz in Venezuela war im Juli 2005 mit dem Ziel gegründet worden, die Vormacht der US-Nachrichtensender, allen voran CNN, zurückzudrängen. Die Sendeleitung habe sich aber als unfähig erwiesen, der aggressiven Propaganda der rechten Medien entgegenzuwirken, schrieb Tena im Internetportal Rebelion.org und forderte den Rücktritt des Direktoriums. Notwendig sei dies nicht nur wegen des Versagens, der offensichtlichen Desinformation von Privatsendern wie Globovisión entgegenzuwirken. Der Skandal liege vor allem darin, dass sich Telesur neben der finanziellen Unterstützung von Staatsseite von privaten Produktionsfirmen wie der spanischen Mediapro beraten lasse. Dieses Unternehmen arbeitet zugleich für rechte Medienkonzerne in der Region.

Während die Produktionschefin von Telesur, May Graterol, Tenas Vorwürfe schon am Folgetag wenig souverän als "hysterisch" und "Miesmacherei" abtat, bekam der Spanier rasch auch Zuspruch. Der galizische Philosoph und Marxist Santiago Alba Rico kritisierte zwar Tenas Frontalangriff auf die Telesur-Leitung. Die "temperamentgeladene" Replik Graterols lasse aber befürchten, daß seine Kritik ins Schwarze getroffen habe. So habe Telesur nach gut zwei Jahren keine Einschaltquoten veröffentlicht. Diejenigen, "die kein CNN der Revolution wollen, sondern eine Revolution gegen CNN" hätten in der Tat Anlass zum Zweifel.

Die Debatte um Telesur und alternative Medien ist Teil der Diskussion um die Gründe des Scheiterns beim Verfassungsreferendum. In der Politik wie in den Medien zeigt sich dabei, dass von oben geschaffene Strukturen wenig effizient sind. Denn während die "bolivarische Revolution" von den Basisgruppen in den Stadtteilen getragen wird, war die Verfassungsreform ein Projekt, das in hohen Parteizirkeln entworfen wurde. Ähnliches gilt bei den Medien. Zur Demokratisierung des Pressebetriebs haben in Venezuela vor allem die Stadtteilmedien beigetragen, die lokal arbeiten und in den "Barrios" verwurzelt sind. Ihre Arbeit ist weniger spektakulär als die von Telesur und anderen Megaprojekten. Sie ist aber umso effektiver, weil sie von den Menschen angenommen wird.


Der Artikel findet sich im Original in der Tageszeitung junge Welt.

Eine gute Zusammenfassung der spanischen Debattenbeiträge findet sich auf der Seite Kaosenlared.net.