Venezuela

Regionales Roulette

In Venezuela rüsten sich die Parteien für die Regionalwahlen

Die im November stattfindenden Regionalwahlen werden mehr als nur ein Stimmungstest sein. Für die chavistas geht es - mal wieder - um die Fortführung des bolivarianischen Prozesses, für die Opposition hingegen um die "Einleitung des politischen Wandels". Während die einen demokratische Vorwahlen abhalten, setzen die anderen auf Umfragen. Die Opposition fühlt sich benachteiligt, weil eine Reihe von KandidatInnen wegen Korruptionsvorwürfen nicht antreten dürfen soll.

Die Basis hatte es lange schon gefordert. Um bei den am 23. November stattfindenden Regionalwahlen Erfolg zu haben, sei es unabdingbar, dass die bolivarianischen KandidatInnen über möglichst breite Legitimation verfügen. Mit der Amtsführung der chavistischen PolitikerInnen sind vielerorts auch die eigenen AnhängerInnen unzufrieden.

Am 1. Juni dieses Jahres nun waren die über 5,7 Millionen eingeschriebenen Mitglieder der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) dazu aufgerufen, ihre KandidatInnen für 22 Gouverneurs-, 328 Bürgermeister- und 2 Oberbürger­meisterposten zu bestimmen. Laut internem PSUV-Reglement galt jede Person als direkt gewählt, die über 50 Prozent der Stimmen oder 15 Prozent Vorsprung erreichte. In acht Staaten und 134 Munizipien wählte die Parteiführung aus den drei bestplatzierten AspirantInnen jeweils die "fähigste Person" aus, da niemand das erforderliche Zustimmungsquorum erzielen konnte. Insgesamt hatten sich knapp 5.000 Personen auf die 352 Kandidaturen beworben. Nach Angaben des Nationalen Wahlrates (CNE), der die Durchführung der Vorwahlen logistisch unterstützte, nahmen fast 2,5 Millionen Menschen daran teil. Das entspricht etwa 15 Prozent aller in Venezuela registrierten WählerInnen. Als "wahrhaft historisch und beispiellos" bezeichnete Hugo Chávez den Wahlgang. Tatsächlich hat in der venezolanischen Geschichte noch nie eine Partei eine derartige Vor­wahl durchgeführt. Auch in der PSUV-Vorgänger­partei Bewegung Fünfte Republik (MVR) und ihrer Bündnisparteien wurde über die KandidatInnenaufstellung meist im stillen Kämmerchen entschieden, obwohl die Verfassung von 1999 alle Parteien dazu verpflichtet, Führungsämter und KandidatInnen in demokratischen Vorwahlen zu bestimmen.

Große Überraschungen gab es nicht. In den meisten Fällen setzten sich schlicht die prominenteren KandidatInnen durch, auch wenn teilweise mehrere bekannte Gesichter miteinander konkurrierten. Das beste Ergebnis erzielte, wie schon bei der Wahl zum Parteivorstand, Ex-Bildungsminister Aristóbulo Istúriz mit knapp 95 Prozent in Caracas. Er wird für das Amt des Oberbürgermeisters antreten. Zwischen 1993 und 1996 war Istúriz bereits Bürgermeister des Munizips Libertador gewesen, der den größten Teil der Hauptstadt umfasst. Der Hauptstadtdistrikt, der über die Stadtgrenze von Caracas hinausreicht, ist in fünf administrative Einheiten aufgeteilt. Im westlichen Bundesstaat Zulia, der bisher von der Opposition regiert wird, setzte sich Gian Carlo Di Martino, der Bürgermeister der Stadt Maracaibo, klar gegen Parteivorstandsmitglied Rodrigo Cabezas durch. Zulia gilt aufgrund seiner reichen Erdölvorkommen als strategisch äußerst wichtig. Anfang Mai warnte Chávez bezüglich der illegalen Autonomiereferenden in den wohlhabenden Tieflandprovinzen in Bolivien davor, die venezolanische Opposition könnte im Westen des Landes ebenfalls separatistische Pläne hegen.

In der venezolanischen Geschichte hat noch nie eine Partei eine derartige Vorwahl durchgeführt

Aus einigen Regionen des Landes waren Beschwerden über Unregelmäßigkeiten und Vorteilnahme zu vernehmen, die gemessen an der Anzahl der gewählten KandidatInnen allerdings im Rahmen blieben. Der Vorwahlsieg des amtierenden Gouverneurs im südöstlichen Bundesstaat Bolívar, Francisco Rangel Gómez, der für eine zweite Amtszeit antreten will, wird von BasisaktivistInnen in der Region scharf kritisiert. Ein aussichtsreicher Gegenkandidat existierte nicht. Rangel wird vorgehalten, in dem monatelangen Arbeitskampf beim Stahlkonzern Sidor bis zuletzt die Interessen der EigentümerInnen verteidigt sowie Polizei und Nationalgarde gegen protestierende ArbeiterInnen eingesetzt zu haben. Nach einer Intervention von Chávez wurde Sidor am 1. Mai schließlich verstaatlicht. Im nördlichen Bundesstaat Guárico weigert sich der amtierende Gouverneur Eduardo Manuitt die Entscheidung des Parteivorstandes anzuerkennen. Seine Tochter Lenny Manuitt war dem Ex-Telekommunikationsminister William Lara, der jedoch klar unter der 50-Prozent-Marke blieb, nur hauchdünn unterlegen. Chávez warf dem Gouverneur vor, aus Rücksicht auf Familienbesitz in der Region die Landreform aktiv zu behindern. Manuitt wurde mittlerweile aus der PSUV ausgeschlossen. 200 Parteimitglieder aus Guárico teilten daraufhin öffentlich mit, die PSUV zu verlassen und zur kleineren chavistischen Partei Vaterland für Alle (PPT) zu wechseln, der Manuitt zuvor angehört hatte. Alberto Müller Rojas, General a. D. und Vizepräsident der PSUV, warnte die PPT davor, ehemalige PSUV-Mitglieder aufzunehmen. Dies sei "illoyal" und könnte "ein Grund für den Bruch der Allianz" sein.

In dem chavistischen Wahlbündnis namens "Patriotische Allianz" kriselt es ohnehin. Neben PSUV und PPT sind die Kommunistische Partei PCV sowie fünf kleinere Parteien mit von der Partie. Erklärtes Ziel ist es, im November mit gemeinsamen KandidatInnen anzutreten. Nach dem Willen von Chávez hätten all diese Parteien eigentlich in der PSUV aufgehen sollen, sie widersetzten sich aber der Auflösung. Nun werfen sie der neuen Partei PSUV vor, durch die Vorwahlen Tatsachen zu schaffen, ohne in der Allianz einen Konsens zu suchen. Müller Rojas hatte am 8. Juni erklärt, dass die PSUV allenfalls bereit sei, über jene KandidatInnen zu verhandeln, die bei der internen Vorwahl weder über 50 Prozent gekommen waren noch 15 Prozent Vorsprung erringen konnten. Somit erscheint es wahrscheinlich, dass die chavistischen Parteien in einigen Fällen direkt gegeneinander antreten werden.

Auch die Opposition will bei den Regionalwahlen nur gemeinsame KandidatInnen aufstellen

Auch die Opposition hat sich zum Ziel gesetzt bei den Regionalwahlen nur gemeinsame KandidatInnen aufzustellen. Seit Chávez’ Niederlage beim Verfassungsreferendum im vergangenen Dezember sehen sie sich erstmals seit Jahren wieder im Aufwind. Der Konsens über die Kandidatenauswahl soll hauptsächlich auf Grundlage mehrerer Umfragen ermittelt werden. Bis zum 15. Juli will das Oppositionsbündnis sämtliche KandidatInnen präsentieren. Die bedeutendsten Oppositionsparteien, die rechts-sozialdemokratische Eine Neue Zeit (UNT) und die rechtsliberale Gerechtigkeit Zuerst (PJ), werden wohl den Großteil der Kandidaturen unter sich ausmachen. Auch wenn sich in einigen Regionen durchaus Unstimmigkeiten ergeben, signalisierten beide Parteien, die Umfrageergebnisse respektieren zu wollen.

Absolut geschlossen tritt die Opposition indes bei einem anderen Thema auf. Der chavistische Chef des Rechnungshofes, Clodosbaldo Russián, untersagte fast 400 Personen, denen die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen wird, für eine jeweils befristete Dauer öffentliche Ämter auszuüben. In seiner Funktion gehört Russián der so genannten Bürgergewalt an, die laut Verfassung neben Exekutive, Legislative, Judikative und Wahlgewalt eine der fünf autonomen Gewalten darstellt und vor allem für die Einhaltung von Ethik und Moral in der Verwaltung zuständig ist. Ob Russián über die Verbote jedoch administrativ ohne richterlichen Beschluss verfügen kann ist umstritten. Aus Sicht der Opposition stellt dies ein undemokratisches Mittel dar, um ihr gezielt zu schaden. Zwar befinden sich auf der Liste keineswegs nur oppositionelle PolitikerInnen. Unter ihnen sind jedoch ein paar mögliche KandidatInnen, die sich bei den Regionalwahlen gute Chancen ausrechnen. Russián weist die Vorwürfe vehement zurück. Mit der Maßnahme solle "die Straffreiheit beendet werden".

Einer der prominentesten Betroffenen ist der UNT-Politiker Leopoldo López, amtierender Bürgermeister von Chacao, dem wohlhabendsten Verwaltungsbezirk des Hauptstadtdistriktes. Er genießt auch in anderen Teilen der Hauptstadt hohe Popularitätswerte und bewirbt sich für das Oberbürgermeisteramt von Caracas. Ende 1998 nahm er eine Spende des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA für Primero Justicia an, während er selbst Angestellter von PDVSA war. Die heutige Partei fungierte damals noch als zivilgesellschaftliche Organisation, der López vorstand. Pikanterweise hatte seine Mutter, Antonieta Mendoza de López, die Spende veranlasst. Sie war zu dieser Zeit als Führungskraft bei PDVSA beschäftigt. Laut Russián verstieß sein damaliges Verhalten klar gegen die Normen bei Interessenkonflikte. López jedoch beharrt darauf, dass ihm ein Verbot nur bei rechtskräftiger Verurteilung auferlegt werden könne. Die aufgrund des Wahlboykotts der Opposition seit 2005 fast ausschließlich von chavistischen PolitikerInnen besetzte Nationalversammlung verabschiedete in einer Debatte Ende Juni eine Unterstützungserklärung für Russián. Deutlicher Widerspruch kam nur von der sozialdemokratischen Partei Podemos, die im Vorfeld des letztjährigen Verfassungsreferendums auf Distanz zu Chávez gegangen war. Auch der Abgeordnete Luis Tascón kritisierte den Chef des Rechnungshofes in der Debatte. Er warf ihm unter anderem vor, Korruptionsvorwürfe gegen hochrangige chavistas nicht weiter verfolgt zu haben. Tascón war Anfang des Jahres aus der PSUV ausgeschlossen worden, weil er den Bruder des einflussreichen Gouverneurs von Miranda, Diosdado Cabello, in den oppositionellen Medien der Korruption bezichtigt hatte. Im Mai gründete er die Partei Neuer Revolutionärer Weg (NCR), die sich als kritische Unterstützerin von Chávez definiert, und will nun Bürgermeister des Munizips Libertador in Caracas werden. Nachdem sich der Nationale Wahlrat für die Verbote als nicht zuständig erklärte, liegt das letzte Wort nun beim Obersten Gerichtshof (TSJ). López versucht gemeinsam mit anderen OppositionspolitikerInnen auch durch ihre guten internationalen Kontakte Druck zu erzeugen. Sollte der TSJ die Verbote bestätigen, bleibt der Opposition nur noch die Hoffnung, dass Chávez vielleicht dem Druck nachgibt und Russián davon zu überzeugen versucht, die Maßnahme zu überdenken. Schließlich hatte der venezolanische Präsident in den letzten Monaten sowohl ein Bildungsgesetz, das aufgrund zu vieler sozialistischer Komponenten kritisiert wurde, als auch ein Geheimdienstgesetz, das repressive Passagen enthielt, zur Überarbeitung zurückgezogen. Bisher jedoch stärkt auch er Russián den Rücken. Er hob seine "besondere Unterstützung" hervor, weil der Chef des Rechnungshofes attackiert werde, "jetzt, wo, er Entscheidungen trifft, um das Gesetz gegen Korruption zu befolgen".