Tod aus Kolumbien

Paramilitarismus in Venezuela. Strategien der Contras und ihre Anschläge

Von unserem Autor Dario Azzellini (www.azzellini.net) erscheint Ende 2008 in Caracas "El negocio de la guerra". Die venezolanische Erstausgabe ist die erweiterte und aktualisierte Neuauflage von "Das Unternehmen Krieg" (hrsg. von D. Azzellini u. a., Berlin 2003). Die Tageszeitung junge Welt hat eine längere Passage daraus übersetzen lassen und mit dem Autor eine für das deutsche Lesepublikum überarbeitete Fassung erstellt.

Venezuela steht wegen seiner großen Rohstoffreichtümer im Blickpunkt der Vereinigten Staaten. Aber das besondere Augenmerk der Hegemonialmacht gilt dem bolivarischen Prozess in Venezuela, denn das Land spielt eine wichtige Rolle bei der Integration des Kontinents und der damit verbundenen Möglichkeiten für fundamentale Veränderungen, die Venezuelas internationale Politik anderen Ländern eröffnet.

Zweifellos sind die Vereinigten Staaten bereit, diesen Prozess mit allen Mitteln aufzuhalten, wobei auch militärische Optionen in Betracht gezogen werden. Obwohl man davon ausgehen kann, dass einerseits der Krieg gegen Irak und Afghanistan sowie die wirtschaftliche Krise und andererseits die Unterstützung des bolivarischen Prozesses durch die venezolanische Bevölkerung mittelfristig eine direkte militärische Intervention unwahrscheinlich machen, ist ein solcher Eingriff aufgrund anderer Strategien auch kaum notwendig. Eine von ihnen ist der Versuch, eine Reaktion Caracas' auf das ständige Einfallen kolumbianischer Truppen in venezolanisches Gebiet zu provozieren - als Rechtfertigung für die Unterstützung eines Krieges des aggressiven Nachbarn gegen Venezuela. Eine vielversprechende Option ist der Aufbau einer vom Paramilitarismus ausgehenden konterrevolutionären Kraft im Land selbst, die den Contras in Nicaragua der 80er Jahre ähnelt. Dieses Manöver findet unter der Komplizenschaft und mit Unterstützung kolumbianischer Regierungsinstitutionen statt.

Durchdringung aller Lebensräume

Das heißt nicht, dass in Venezuela nicht auch alle anderen möglichen Strategien der Destabilisierung des bolivarischen Prozesses - von der Schaffung von Versorgungslücken über den Kauf von Funktionären bis hin zur Unterstützung der Opposition - zur Anwendung kommen. Wir konzentrieren uns hier auf die Privatisierung des Krieges mit Hilfe von Paramilitärs und privaten Militär- und Sicherheitsunternehmen.

In Venezuela operieren mehrere Militär- und Sicherheitsunternehmen. Letztere wurden in den vergangenen Jahren auch für Sabotageakte gegen die venezolanische Erdölgesellschaft Petróleos de Venezuela S. A. (PDVSA) und in anderen Destabilisierungszusammenhängen eingesetzt. Die Aktivitäten der Militärunternehmen könnte man dagegen als technologischen Krieg bezeichnen, wie der Fall der INTESA (Informática, Negocios y Tecnología S.A.) während des "Ölputsches" von 2002/2003 zeigt.

Kolumbianische Paramilitärs sind in Venezuela sehr präsent, besonders im Grenzgebiet. In den Bundesstaaten Táchira, Apure, Barinas und Zulia haben der kolumbianische Paramilitarismus und der Drogenhandel, die oftmals identisch sind, große wirtschaftliche Interessen und können auf die Zusammenarbeit sowohl oppositioneller als auch "bolivarischer" Bürgermeister zählen. Paramilitärs beherrschen den Drogenhandel, kassieren Schutzgelder von Geschäftsleuten, kontrollieren den Schmuggel von Benzin und Nahrungsmitteln nach Kolumbien und kollaborieren in einigen Fällen mit Soldaten der Streitkräfte der venezolanischen Armee und der Guardia Nacional. Sie sind fast im gesamten Land anwesend, mit steigender Tendenz in Territorien wie Sucre, dem Amacuro-Delta, Amazonas und Caracas.

Weitere Aktionsfelder sind Erpressung, Entführungen und Geldwäsche. Paramilitärs werden von venezolanischen Viehzüchtern unterstützt und arbeiten mit Einschüchterungs- und Abschreckungsmaßnahmen sowie selektiven Morden an Bauern und revolutionären Kadern. In Caracas haben sie damit begonnen, in die Barrios einzudringen und Kokain zu verschenken oder zu sehr niedrigen Preisen an Gruppen von Kleinkriminellen zu verkaufen, um so Kontakte zu knüpfen. Gruppen von Kolumbianern, die Schutz und Finanzierung anbieten, versuchen, Einfluss auf sensible Bereiche der venezolanischen Bevölkerung zu nehmen, vor allem auf Straßenhändler, Taxifahrer und Transportunternehmer (inklusive Personennah- und fernverkehr). Paramilitärs tun dies, um ein Spionagenetzwerk im Inneren der venezolanischen Gesellschaft aufzubauen. Zugleich verdrängen sie die einheimische Kriminalität aus Aktivitäten wie Wucher, Drogen- und Menschenhandel sowie Glücksspiel. (...)

Der Paramilitarismus ist nicht nur ein militärisches oder kriminelles Phänomen, das man ausschließlich mit Armee und Polizei bekämpfen kann, auch wenn die bewaffneten Auseinandersetzungen ein notwendiger Bestandteil im Kampf gegen die Eindringlinge sind. Er ist auch ein wirtschaftliches, soziales und kulturelles Phänomen, das Werte transportiert und etabliert, soziale Räume besetzt, Arbeit schafft und sich in allen gesellschaftlichen Zusammenhängen manifestiert.

Da es sich beim Paramilitarismus um ein für Venezuela recht junges und wenig bekanntes Problem handelt, scheint es wichtig, einige Hypothesen zu seinen Strategien und seiner Entwicklung in Venezuela aufzustellen.

Aufbau zweier Fronten

Die Strategie der Contras zielt nicht auf einen militärischen Sieg ab, sondern auf einen Zermürbungskrieg durch Angriffe auf Infrastruktur, Produktion und auf alles, was mit der Vorstellung eines Lebens jenseits der kapitalistischen Logik verbunden sein könnte. Ebenso wie in dem Krieg der Contras gegen die sandinistische Regierung in Nicaragua vermeiden sie eine direkte Konfrontation mit regulären Streitkräften und greifen statt dessen in Transformationsprozesse ein, um Veränderungen zu behindern. In Nicaragua war diese Strategie erfolgreich: Das Land wurde durch das Herausziehen von Arbeitskraft und Kapital aus der Wirtschaft, was für das Abwehren konterrevolutionärer Angriffe notwendig war, in den Bankrott getrieben. Und während die Ressourcen verbraucht wurden, um die sozialen Leistungen aufrechtzuerhalten und den Transformationsprozess des Landes voranzutreiben, stellten die USA die nicaraguanische Bevölkerung vor die Wahl: sandinistisches bzw. sozialistisches Projekt und Krieg oder Kapitalismus und Frieden.

Venezuela ist aber nicht Nicaragua und verfügt über weitaus größere Ressourcen. Zudem ist es den Paramilitärs in Venezuela noch nicht gelungen, Arme gegen Arme aufzubringen, was Bedingung für einen Bürgerkrieg ist. Historisch betrachtet, war die Mittel- und Oberschicht, auch wenn sie gegen ein Projekt der sozialen Veränderung war und sämtliche finanzielle Mittel zu seiner Beseitigung zur Verfügung stellte, nie bereit, ihr Leben zu riskieren und selbst zu kämpfen. Diese Rolle haben immer die Armen übernehmen müssen.

Der kolumbianische Senator Gustavo Petro erklärte im Februar 2003: "Die Morde und der Terror in Venezuela gehen von den Paramilitärs aus, die die kolumbianisch-venezolanische Grenze kontrollieren und immer tiefer in dieses Land eindringen. (...). Die paramilitärische Strategie besteht darin, Männer und Ressourcen zu konzentrieren, um dann einen Terrorkrieg zu beginnen, wenn eine extrem mächtige Opposition und die venezolanischen Unternehmer sie anweisen, einen Krieg im Stile der nicaraguanischen Contras zu führen."

Was wären also vom strategischen Standpunkt aus betrachtet die wichtigsten Gebiete für einen Contra-Krieg in Venezuela? Auf der einen Seite die Andenkordilleren, die einen Korridor bilden, in dem Waffen und Kämpfer (und Drogen) von Kolumbien aus bis zu den dicht besiedelten Gebieten Venezuelas bewegt werden können, in denen sich auch große Teile der industriellen Warenproduktion befinden. Geographisch betrachtet, wird so auch das Erdölgebiet im Bundesstaat Zulia abgespalten, und es besteht ein breiter Zugang zum Tiefland. Von dort aus könnten mit kolumbianischen Söldnern und Demobilisierten der Autodefensas Unidas de Colombia (AUC, Vereinte Selbstverteidigungseinheiten Kolum­biens) permanente Sabotageakte gegen strategische Einrichtungen wie Erdölfelder und -raffinerien, Pipelines, Stauseen und Brücken durchgeführt werden. Dazu kommen Morde an Führungsfiguren von Basisbewegungen, um dem venezolanischen Ausland ein Bild der Instabilität und Unregierbarkeit des Landes zu suggerieren und eine vermeintlich bewaffnete Widerstandsbewegung gegen das Regime zu präsentieren, was eine Intervention im Namen der Befriedung und der regionalen Sicherheit legitimieren könnte.

Das andere strategisch wichtige Gebiet ist das Amacuro-Delta am Atlantischen Ozean, das Mündungsgebiet des Orinoco. Aufgrund seiner geographischen Eigenschaften ist es ideal für eine Contra-Bewegung - ähnlich der Atlantikküste in Nicaragua. Es ist für eine konventionelle Armee nicht leicht, in das Delta einzudringen. Man hat für Versorgungszwecke eine schnelle Verbindung zum Inselstaat Trinidad und Tobago, und über die Flusswege gibt es einen Zugang zur zweiten wichtigen Schwerindustrieregion Venezuelas im Bundesstaat Bolívar. Im Fall eines Krieges wäre die venezolanische Armee also zu einem territorialen Aufmarsch in zwei sehr entlegenen Gebieten gezwungen, während sie gleichzeitig die Grenze zu Kolumbien im Auge behalten müsste.

Transportwesen unterwandert

Eine andere konterrevolutionäre Strategie ist die Kontrolle der Transport- und Taxiunternehmen, wie dies in einigen Landesteilen der Fall ist. Taxifahrer und Transportunternehmer sind aus zwei Gründen von strategischer Bedeutung: Erstens: Sie sind in der Lage, ein Land zu paralysieren und können somit als zentrales konterrevolutionäres Element fungieren. Der Putsch in Chile 1973 hatte die Transportarbeitergewerkschaften mit einbezogen. Wenn der Ölputsch 2002/2003 in Venezuela nicht erfolgreich war, dann lag einer der Gründe für dessen Scheitern darin, dass der Transportsektor nicht auf der Seite der Putschisten stand. Zweitens: Die Taxifahrer und Transportunternehmer stellen ein wichtiges Informationsnetz da. Sie sind den ganzen Tag unterwegs, sehen und hören alles, keiner kümmert sich um sie, und sie verfügen über Funkgeräte. In den letzten Jahren stieg die Zahl der Morde und Angriffe auf Bus- und Taxifahrer im ganzen Land an, wodurch beide Berufsgruppen "wegen der prekären Sicherheitssituation" gegen die Regierung aufgebracht wurden. Die Rechte, die aus dieser Tendenz politischen Nutzen zieht, hatte in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 ihr Ziel teilweise erreicht, als die Proteste im Transportwesen von der Andenstadt Merida bis Caracas zunahmen.

Es ist sicher kein Zufall, dass nach der sandinistischen Revolution 1979 sofort sandinistische Taxifahrerkooperativen gegründet wurden. Und die erste Kooperative der Zapatisten im mexikanischen Bundesstaat Chiapas außerhalb der zapatistischen Gemeinden war eine Transportkooperative. Auch der Plan "Colombia" begann damit, dass die kolumbianische Regierung Hunderte Taxiunternehmen und -kooperativen im Süden des Landes und in den Städten finanzierte. In Venezuela war es vormals üblich, dass pensionierte Angehörige der Nationalgarde ein Taxi bekamen und Teil des Informationsnetzes der Geheimdienste wurden.

Sprecher von kommunalen Räten berichteten im Mai 2008 von Treffen zwischen der "Kleinbusmafia" und Führungspersonen der oppositionellen "Acción Democrática" und "Un Nuevo Tiempo" in Maracaibo und Barquisimeto. Transportarbeiter meldeten, dass diverse Speditionsunternehmen in Koordination mit der Opposition in die Vorbereitung eines landesweiten Streiks im Rahmen von Destabilisierungsversuchen verwickelt seien. Sogar Präsident Chávez wies Ende Mai 2008 darauf hin, dass viele "Transportmafias" enge Verbindungen zu Unternehmenssektoren pflegten, die 2002 in den Putsch verwickelt waren oder sogar unter deren Kontrolle stünden. Die Transportunternehmer seien in die Vorbereitung eines Destabilisierungsplans verwickelt, der Versorgungsengpässe, Aktionen auf der Straße und eine eventuelle Beteiligung militärischer Kreise kombiniere, um die Regierung zu stürzen.

Kultur der Gewalt

Die kulturelle Durchdringung darf nicht unterschätzt werden, denn sie bereitet den Boden für die paramilitärische Infiltration. So kann beobachtet werden, dass in den Grenzgebieten Straßenhändler massiv CDs mit Paramilitär-Musik verkaufen, die "verbotenen Corridos": Lieder, deren Texte sich positiv auf den Paramilitarismus beziehen. Einige der Händler bilden zusammen ein Spionagenetzwerk. Ähnliches passiert auch mit den überall verkauften Raubkopien von Filmen; ein Geschäft, das die Paramilitärs anderen Kolumbianern entrissen haben und nun zum guten Teil kontrollieren. Diverse der illegalen Geschäfte, die im Zentrum von Caracas Raubkopien von CDs und DVDs im Großhandel verkaufen, gehören vermeintlichen Kollaborateuren, die wiederum enge Beziehungen zu Gleichgesinnten unterhalten, die in einem anderen Innenstadtgebiet Gold aufkaufen und Wucherkredite vergeben.

Was könnte der Grund dafür sein, dass die Paramilitärs diesen Geschäftszweig bedienen, der ja eine sehr geringe Gewinnmarge bietet? Auf der einen Seite die Schaffung eines geheimen Spionagenetzes, auf der anderen Seite die Möglichkeit der kulturellen Einflussnahme. In der zweiten Jahreshälfte 2005 fand sich auf vielen Verkaufstischen ein Film, der aus der Perspektive der Paramilitärs zeigt, wie diese die kolumbianische Stadt Medellin übernommen haben. 2007/2008, während der Krise mit Kolumbien und Chávez' Aktivitäten zur Freilassung der von der FARC Entführten, war die einzige DVD zu Kolumbien, die auf den Tischen der Straßenhändler zu finden war, ein Dokumentarfilm des rechtsradikalen kolumbianischen TV-Kanals Radio Caracol Noticias, obwohl Dutzende von Dokumentarfilmen über das Nachbarland aus linker oder humanistischer Sicht existieren.

Brutale Morde in Gefängnissen werden mit Handys aufgenommen und zirkulieren unter Jugendlichen in den Schulen und Armenvierteln. Zusammen mit einer großen Menge DVDs äußerst gewalttätigen Inhalts, die auf der Straße verkauft werden und häufig sogar nur eine Anreihung von Morden, Zerstückelungen etc. zeigen, ist dies eine Möglichkeit, die Bevölkerung an ein bestimmtes Gewaltniveau zu gewöhnen. An vielen Verkaufsständen, vor allem in Armenvierteln, laufen solche Videos fast den ganzen Tag über. Unter den Jugendlichen wird eine extreme Konsumkultur gefördert, indem die Überzeugung gestärkt wird, Luxusartikel, Motorräder, Handys, Autos, Markenkleidung seien sehr wichtig. Der Paramilitarismus wird dabei als eine Form des effektiven Zugangs zu den notwendigen Finanzen präsentiert. Der venezolanische Bauernführer Braulio Álvarez warnt: "Der Auftragsmord ist unter den Jugendlichen zwischen 13 und 18 Jahren durchaus verbreitet. Das bedeutet, dass man diesen jungen Leuten nicht nur beibringt, zu töten, sondern lebende Menschen zu zerstückeln. Das ist wirklich grausam."

Kämpfe in Venezuela

Im Dezember 1997 wurde erstmals die Präsenz kolumbianischer Paramilitärs in Venezuela offiziell bestätigt. Sieben Paramilitärs waren in Apure unter dem Verdacht einer Entführung festgenommen worden. Man fand Waffen, eine detaillierte Karte der Region sowie eine Liste von Kollaborateuren unter den Viehzüchtern und Großgrundbesitzern. Die Gefangenen erklärten, von Enrique Medina Gómez, einem General der venezolanischen Guardia Nacional, angeheuert worden zu sein und 75 Millionen Pesos für die Durchführung diverser Aktionen in Venezuela erhalten zu haben. Eine Woche später wurden die Paramilitärs auf Befehl des Generals freigelassen und erhielten für die weitere Flucht von ihm einen Passierschein. Derselbe General nahm 2002 am Putsch gegen Chávez teil und an den rechtsextremen Aktionen auf der Plaza Altamira, bei denen auf Demonstranten geschossen wurde: drei von ihnen starben, 29 wurden verletzt.

Der oberste kolumbianische Paramilitär Carlos Castaño, Gründer der AUC, erklärte 1997, sich mit 140 Unternehmern, Viehzüchtern und Großgrundbesitzern in Barinas, Táchira und Zulia getroffen zu haben, um paramilitärische Strukturen in diesen Bundesstaaten aufzubauen.

Am 15. Juli 2000 entführte eine zwölfköpfige, bis an die Zähne bewaffnete Gruppe den Unternehmer Richard Boulton. Untersuchungen führten zu mehreren Hausdurchsuchungen und Verhaftungen kolumbianischer Paramilitärs in San Cristóbal, Maracay und Valencia. Doch Bulton wurde erst am 15. Juli 2002 auf Vermittlung Castaños freigelassen. Dieser erklärte, die Entführer gehörten zu einer Abspaltung der AUC. Das konnte selbstverständlich nicht bestätigt werden, so dass es sich auch um einen Versuch der AUC gehandelt haben könnte, nicht mit dem Fall in Verbindung gebracht zu werden, der international Aufsehen erregt hatte.

Am 26. Juni 2002 verbreiteten die Medien ein Video, in dem einige sogenannte Vereinte Selbstverteidigungseinheiten Venezuelas (AUV, in Anlehnung an die kolumbianische AUC) erklärten, in Táchira, Apure und Zulia zu operieren. Ein "Kommandant Antonio" sagte, es handele sich um 2200 bewaffnete Männer. Er erklärte Präsident Chávez zum militärischen Ziel und kündigte an, das politische Panorama in Venezuela zu verändern. Einige Tage später bestätigte Castaño: "Wir haben Leute, die auf venezolanischem Territorium ausbilden. Das ist ein laufender Prozess."

Im Laufe des Jahres 2003 führte die AUC verschiedene militärische Aktionen und Angriffe von Kolumbien aus gegen venezolanisches Territorium durch. Am 19. März überquerten 500 Paramilitärs mit neuen Uniformen, Waffen und modernen Kommunikationsmitteln ausgestattet die natürliche Grenze des Río de Oro im Bundesstaat Zulia und griffen das venezolanische Dorf La Escuelita an und plünderten es. Dabei trugen sie Insignien kolumbianischer Armeespezialeinheiten, der kolumbianischen Nationalen Befreiungsarmee ELN (Ejército de Liberación Nacional) und der venezolanischen Guardia Nacional. Sie eröffneten das Feuer gegen Militärhubschrauber, um die Landung venezolanischer Truppen zu verhindern. Bei einem Angriff der Luftwaffe kamen etwa 40 Paramilitärs ums Leben, der Rest floh wieder nach Kolumbien. Am 28. und 30. des gleichen Monats griffen sie erneut in der Region an. Anschließend zogen sie sich wegen venezolanischer Bombardements und Patrouillen wieder nach Kolumbien zurück. Es gibt Indizien für eine Unterstützung der Angriffe seitens der kolumbianischen Armee.

Am 4.September 2003 wurde die venezolanische Armee im Bezirk Ayacucho (Táchira), sechs Kilometer von der Grenze entfernt, von kolumbianischen Paramilitärs angegriffen. Am 5. September starben drei kolumbianische Paramilitärs bei einem Gefecht im Grenzgebiet des Bundesstaates Táchira, und ein venezolanischer Soldat wurde schwer verletzt. (...)

Kontakt mit Exilkubanern

Die venezolanischen Konterrevolutionäre haben enge Verbindungen zum terroristischen Sektor der in Miami lebenden Kubaner, wo sie sogar in aller Ruhe ihren Terrorkampf trainieren können. Das Wall Street Journal spricht in seiner Ausgabe vom 29. Januar 2003 über terroristische Trainingscamps in Florida. Der Zeitung zufolge trainierte dort eine paramilitärische Allianz, bestehend aus der "Patriotischen Junta Venezuelas", angeführt vom ehemaligen Hauptmann der venezolanischen Nationalgarde Luis Eduardo García, und den "F-4-Kommandos" des Kubaners Rodolfo Frómeta. Der Name entstand in Anlehnung an die "Patriotische Junta Kubas", eine Gruppe rechtsextremer Exilkubaner mit Sitz in Caracas, die während des Putsches 2002 an den Angriffen auf die kubanische Botschaft beteiligt war. García, der auch an diesem Putsch teilnahm, gab zu, 50 Angehörige der F-4-Komandos ausgebildet zu haben. Laut seinen Angaben kombinieren die beiden Gruppen ihre militärischen Erfahrungen und tauschen geheimdienstliche Informationen aus. "Wir bereiten uns auf einen Krieg vor", sagte García, und ließ keinen Zweifel daran, gegen wen sich dieser Krieg richten soll. In einer Vereinbarung von 2002 zur Bildung einer "Zivil-Militärischen Allianz für Lateinamerika" zwischen der JPV und den F-4 wurde der Widerstand gegen die "neuen kommunistischen Regime" in Lateinamerika angekündigt und auf Brasilien, Kuba und Venezuela hingewiesen. Alle Nachfragen der venezolanischen Regierung an die Administration in Washington blieben unbeantwortet. Lediglich der damalige Botschafter der USA in Venezuela, Charles S. Shapiro, erklärte am 30. September desselben Jahres, dass man die Angelegenheit untersuche, und wenn es gelte, jemanden anzuklagen, dann wüssten die USA schon, was zu tun sei. Und er fügte, ohne dem große Bedeutung beizumessen, hinzu: "Einige Venezolaner sind in den Vereinigten Staaten militärisch ausgebildet worden."

Der spektakulärste Beweis paramilitärischer Infiltration war die Verhaftung von fast 130 kolumbianischen Paramilitärs auf der Daktari-Finca in Baruta, nahe Caracas, im Mai 2004. Die Untersuchungen der Disip (Staatssicherheit) belegten die Beteiligung zahlreicher Militärs. Laut einem Agenten der Disip, der am 23. April 2004 ein Treffen im Country-Club von Caracas infiltriert hatte, an dem etwa zehn Militärs teilnahmen, hieß es dort, dass jede Aktion im Regierungspalast Miraflores, die nicht mit Chávez' Tod ende, als Schlappe gewertet werden müsse. Während dieses Treffens wurde über Attentate gegen zwei chavistische Oberste der Nationalgarde gesprochen, gegen Ziele der Regierung und gegen die revolutionäre Gruppe des Stadtteils 23 de Enero in Caracas. Sie sprachen auch über einen Putsch mit Unterstützung der Policia Metropolitana und Teilen der Armee. Ein Oberst der Luftwaffe schlug die Bombardierung der Sendung "Aló Presidente" mit einem F-16-Kampfflugzeug vor und bezeichnete - nach dem Widerspruch einiger Anwesender - mögliche zivile Opfer dieser Bombardierung als "notwendiges Opfer für die Entmachtung von Chávez". Der Einsatz einer F-16 sollte ohnehin als Startsignal für die Umsetzung der Pläne dienen. Die Paramilitärs sollten mit Uniformen der venezolanischen Streitkräfte ausgestattet sein, das mobile Kommando der Guardia Nacional blockieren und den Präsidentenpalast angreifen. Die kolumbianischen Paramilitärs erhielten zwei Millionen Dollar für die Vorbereitung dieser Operation.

Aufbau zweier Fronten im Westen und im Osten des Landes

Nach ihrer angeblichen Demobilisierung in Kolumbien im Jahr 2003 begannen die Paramilitärs, massiv nach Venezuela einzusickern. Von den Grenzgebieten aus hatten sie sich zunächst im Gebiet des Andenkorridors im Nordwesten Venezuelas ausgebreitet. Sogar logistische Zentren zur Unterstützung der konterrevolutionären Aktivitäten einschließlich der Anwesenheit ausländischer Spezialisten soll es in der Region geben. Militärstrategischer Logik folgend wird nach dem Andenkorridor die Paramilitärpräsenz im Zentrum, also in Caracas und dem angrenzenden Bundesstaat Miranda, gestärkt. Als letztes wird der Aufbau einer "Ostfront" entlang der Achse Sucre-Delta/Amacuro/Bolívar, den drei östlichsten Bundesstaaten, sichtbar. (...)

Das Einfallstor für kolumbianische Paramilitärs- viele aus deren Hochburg, der Grenzstadt Cucutá - nach Venezuela ist der Bundesstaat Táchira. In der regionalen Hauptstadt San Cristobal kassieren sie Schutzgelder von Handel und Unternehmen. Es wird auch vermutet, dass sie die Besitzer einiger kürzlich fertiggestellter Einkaufszentren sind.

Ausbreitung im Andenkorridor

Auf einigen Landstraßen der Region bauen sie Straßensperren auf und kassieren alle Passanten ab. Im "Norden Táchiras, speziell entlang der Achse San Antonio, La Fría, Colon, Coloncito und der Ostküste von Zulia (...) stärken sie ihre Position mit einer Taktik der 'sozialen Säuberungen' (...). Sie bieten Händlern und Viehzüchtern 'Sicherheit' vor Entführung und Erpressung und bauen sich so eine soziale Basis auf", stellte die venezolanische Bauernorganisation Frente Nacional Campesino Ezequiel Zamora (FNCEZ) fest.

Ende 2007 kassierten die Paramilitärs in Ureña und San Antonio in einigen Stadtteilen fünf Bolívares Fuertes (= 1,70 Euro) pro Haus für die "sozialen Säuberungen". Die Bevölkerung ist in der Regel sogar glücklich darüber, wenn einige Kriminelle eliminiert werden und "Sicherheit" herrscht, so dass es in manchen Gebieten eine breite Unterstützung für die Paramilitärs gibt und die Bevölkerung sich vom Diskurs der sozialen Säuberungen beeinflussen lässt.

So wie die Paramilitärs in ihrer Ausbreitung dem Andenkorridor von San Cristobal nach Merida und Barinas folgen, so dehnen sich ihre Praktiken aus. Nach Informationen eines Amtsträgers wurden im Bezirk Sucre des Bundesstaates Barinas in zwei Jahren zehn Taxifahrer und 58 weitere Personen im Rahmen "sozialer Säuberungen" ermordet. Und in Barinas ist ebenfalls die Rede von Einkaufszentren, die mit Para-Kapital finanziert wurden. (...)

Da viele Angehörige der Sicherheitsorgane noch aus früheren Regierungszeiten stammen, unter denen Korruption gedeckt wurde, überrascht es nicht, dass viele diese Praktiken fortsetzen. So klagt die FNCEZ an: "Die Paramilitärs an der Grenze nutzen als logistische Basis ein Drogenkartell, das über viele Verbindungen bis hinein in die Sicherheitsapparate und wichtige politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gruppierungen Venezuelas verfügt. Es gibt Abteilungen innerhalb des "Kollegiums für wissenschaftliche, strafrechtliche und kriminalistische Untersuchungen" (CICPC), der Nationalgarde und der Polizei in den Bundesstaaten Táchira und Zulia, welche die Aktionen der Paramilitärs schützen und decken. Vor allem in Táchira, wo in den vergangenen zwei Jahren 300 Auftragsmorde verübt worden sind, die aber von der Polizei stets als Opfer von "Abrechnungen und Bandenkriegen" präsentiert werden.

Am schlimmsten ist es in Zulia, wo ein großer Teil der oppositionellen Regionalregierung enge Verbindungen mit den Paramilitärs hat, wie zahlreiche Anklagen und Zeugenaussagen dokumentieren. Im März 2008 machte der ehemalige Vizepräsident der Republik, der Journalist José Vicente Rangel, bekannt, "dass es eine Eliteeinheit im Bundesstaat Zulia gibt, die unter den Schutz der Regionalregierung Paramilitärs leitete". Nach Rangels Informationen wurden aufgrund des internationalen Drucks auf Kolumbiens Regierung und deren Präsident Álvaro Uribe nach dem Militärangriff auf ein FARC-Camp auf ecuadorianischem Boden "Anweisungen an die Paramilitärs in Venezuela erteilt, sich zurückzuziehen, und an einige kolumbianische Agenten, zu ihren Basen zurückzukehren". Die Paramilitärs, die in den Bundesstaaten Barinas und Apure sowie den Grenzgebieten von Táchira operierten, wurden nach Zulia verlegt.

Am 24. April 2008 entdeckten die Streitkräfte in der Nähe von Boca de Orope (Sierra de Perijá, Zulia) ein Camp kolumbianischer Paramilitärs nur 500 Meter von der Grenze entfernt. Nach Angaben des Militärs wurde "das Camp dazu benutzt, irreguläre Kampftruppen zu trainieren. Es wurden Balancierstangen, ein Tunnel, Auf- und Abstiegsrampen sowie andere selbstgebaute Trainingsmöglichkeiten gefunden, die zudem mit den Insignien der Paramilitärs der AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) versehen waren". Bei einer Durchsuchung der näheren Umgebung beschlagnahmte das Militär u. a. fast 80 Kilogramm Kokain, 19 Militäruniformen, ein Gewehr, zwei Karabiner, Munition, Sprengstoff, mehrere Paare Militärstiefel, Mobiltelefone und Feldausrüstung. In der Nähe wurden lediglich vier Paramilitärs festgenommen. Die Armee zerstörte das Camp vier Tage später. Zwei Wochen danach beklagte Rangel, dass 50 Paramilitärs, die aus dem Camp flüchten konnten, "unter dem Schutz von Mitgliedern der Regionalpolizei Zulias stünden".

Überfall auf Yupka-Indianer

In der westvenezolanischen Stadt Machiques de Perijá begannen Großgrundbesitzer 2005, paramilitärische Gruppen mit Kolumbianern und einigen Yupka-Indianern zu bilden. Sie griffen Yupka-Gemeinden an, mordeten und raubten ihnen das Land. Der Landkonflikt war Mitte der 70er Jahre wieder ausgebrochen, nachdem einige Yupka aus dem Perijá-Gebirge herabstiegen, um die Ländereien zurückzuerobern, die ihnen in den 30er Jahren von der Großgrundbesitzerfamilie Vargas geraubt worden waren. Beim Versuch, Sabino Romero Izarra, den Anführer der Kämpfe für das Land der Yupka, zu ermorden, überfielen bewaffnete Gruppen im Februar 2007 unter anderem die Gemeinde Chaktapa, vertrieben die Bewohner mit Gewehrfeuer aus ihren Hütten und brannten sie nieder. Im April 2008 wurde Chaktapa erneut angegriffen. Anzeigen bei der Guardia Nacional und öffentliche Anzeigen haben nach Auskunft der Gemeinden "überhaupt nichts gebracht". In vielen ländlichen Gemeinden, vor allem in Grenzregionen, schafft die Komplizenschaft von Angehörigen der Guardia Nacional, den Militärs oder der Polizei Räume, in denen nicht mehr die bolivarische Verfassung, sondern der Paramilitarismus regiert.

Der venezolanische Aktivist Rafael Urdaneta bezeugt: "In Zulia haben die Paramilitärs die Macht übernommen. Sie bewegen sich frei auf dem Markt 'Las Pulgas' und in der 'heißen' Geschäftszone von 'Curva de Molina'. Von diesen Operationsstützpunkten aus widmen sie sich dem Geldverleih an Straßen- und sonstige Händler; sie rekrutieren Dienstmädchen, Hausmeister, Gärtner und Straßenhändler, um sie für die 'Entführungsindustrie' auszubilden. Und zwar sowohl für 'Expressentführungen', (die alle Klassen, aber vor allem die Unter- und Mittelschichten betreffen), für die sie unmittelbar Summen zwischen 300 und einer Million Bolívares Fuertes kassieren, als auch für 'Groß-Entführungen', die beträchtliche Summen abwerfen und eine unbestimmte Entführungszeit haben. Den Rekruten kommt dabei die Aufgabe zu, Daten ihrer Dienstherren wie Anschrift der Arbeitsstelle, Fotos, Bankkonten, Freizeitbeschäftigungen, Schule der Kinder, Tagesabläufe der einzelnen Familienmitglieder und andere Informationen, die eine Entführung ermöglichen, auszukundschaften. Weitere Aktivitäten der Paramilitärs sind die Kontrolle des Drogenhandels in der Region und vor allem das Waschen der Einnahmen aus diesem Geschäft über Immobilienoperationen. Sie kontrollieren den Fahrzeugdiebstahl und die Schutzgeldzahlungen." Urdaneta bestätigt: "In Zulia genießen die Paramilitärs die Unterstützung der Viehzüchterverbände und der Regierung des Bundesstaates." (...)

Infiltration der Hauptstadt

Der Aufbau der sogenannten Ostfront hingegen wird ab 2008 deutlicher sichtbar. Im Bundesstaat Sucre befinden sich seit langer Zeit Stützpunkte von Drogenhändlern. Sucre ist traditionelle Ausgangsregion für den Drogentransport Richtung Norden. Ende Oktober 2003 fielen in einem kleinen Dorf an der Küste des Bundesstaates sieben kolumbianische Contras in einer Schießerei mit der Polizei und der Guardia Nacional. Weitere Paramilitärs wurden in den folgenden Tagen festgenommen und nach Kolumbien deportiert. Es war das erste Mal, dass die Präsenz von kolumbianischen Paramilitärs im äußersten Osten Venezuelas, weit entfernt vom Grenzgebiet beider Länder, bestätigt wurde. In der Regel wird bei Drogengeschäften eher vermieden, Aufmerksamkeit hervorzurufen, umso mehr, wenn es sich um einsame Gegenden handelt. Doch in den vergangenen Jahren mehrten sich die Berichte über die Anwesenheit vermutlicher Paramilitärs. Diese verstärkte Präsenz erklärt sich nur dadurch, dass diese über den Drogenhandel hinausgehende Interessen verfolgen, was die Theorie des Aufbaus einer Front im Osten stützt. (...)

Am 14. Februar dieses Jahres wurden - wie Präsident Hugo Chávez mitteilte - auf der Plaza Venezuela in Caracas mehrere, vermutlich kolumbianische Paramilitärs festgenommen. Sie hatten eine kleine Bombe gelegt und befanden sich im Besitz von Flugblättern und Pamphleten gegen die venezolanische Regierung. Jenseits des Ausübung von Anschlägen zielt die paramilitärische Penetration auf das Einsickern in die Armenviertel und die Infiltration der kommunalen Räte sowie Schlüsselinstitutionen. Damit wird deutlich: Caracas ist als politisch-administratives Zentrum - und mit Armenvierteln, deren Initiativen landesweiten Einfluss haben - im Blickwinkel konterrevolutionärer Aktionen. Die Infiltration der Hauptstadt ist weit fortgeschritten, besonders in den Armenvierteln Petare, El Valle, Coche und im Gebiet von Cementerio. In diesem Zusammenhang muss man sich fragen, ob der Anstieg der Gewalt und der Unsicherheit in Caracas in den letzten Jahren zufällig ist oder eher eine Destabilisierungsstrategie darstellt, damit sich die Paramilitärs leichter als "Ordnungskraft" präsentieren können.

Die Zahl der Morde an Basisaktivisten in den Armenvierteln von Caracas und anderen Landesteilen ist in besorgniserregender Form angestiegen - wie von vielen Basisorganisationen bestätigt wird. Dennoch gehen diese Verbrechen aufgrund ihrer lokalen Dimension unter und finden kaum Beachtung. Dies auch, weil Unkenntnis und Unverständnis bezüglich des Paramilitarismus herrscht und weil Vorurteile über "die Barrios" dazu führen, dass diese Morde nicht als paramilitärische Aktionen identifiziert, sondern in den Medien und der öffentlichen Meinung der allgemeinen Kriminalität zugeschrieben werden. Obwohl die Tatsache, dass von diesen Gewaltakten sozial engagierte Menschen und Basisaktivisten stärker als andere betroffen sind, zumindest Zweifel aufkommen lassen sollten. Bis zu den Medien ist dies bislang nicht durchgedrungen. Allein in der Ausgabe der Últimas Noticias vom 28. März 2008 gab es zwei entsprechende Meldungen: In Petare wurde ein führendes Mitglied eines kommunalen Rates ermordet, und in San Martín starben zwei Jugendliche, die Söhne eines Aktivisten eines kommunalen Rates waren. Purer Zufall? Meist sind die Mörder vermummt, was völlig neu ist. Früher haben sie sich in den Barrios nie die Gesichter vermummt, häufig wusste jeder im Viertel, wer für eine kriminelle Handlung verantwortlich war. Ebenfalls zu beobachten ist eine Zunahme von Morden wegen "sozialer Säuberung", die vornehmlich gegen Obdachlose gerichtet sind.

Eine Strategie der Paramilitärs - mindestens seit 2005 - ist es, sich den kleinkriminellen Bandenmitgliedern in Barrios anzunähern und ihnen Kokain zu schenken oder zu einem sehr niedrigen Preis zu verkaufen, um so Verbindungen aufzubauen. Die gleiche Strategie war von den Paramilitärs auch in Kolumbien angewandt worden. Ist die Verbindung zwischen ihnen und den Banden einmal aufgebaut und wurden eine Reihe für die Kleinkriminellen günstige Geschäfte abgewickelt, werden sie um "Gefallen" gebeten wie etwa die Ermordung bestimmter Personen. In zahlreichen Barrios bestätigen die Bewohner auch das Auftauchen von Gewehren und sogar Schnellfeuergewehren in den Händen lokaler Krimineller, was bis dahin nicht üblich war.

Schüsse in den Barrios

Am 1. Mai 2008 veröffentlichte das linke Internetportal aporrea.org eine Anklage von Bewohnern des Blocks 5 der Lomas de Urdaneta in Catia, einem der Armenviertel von Caracas. Die Bewohner hatten beschlossen, an die Öffentlichkeit zu gehen, nachdem die Behörden nicht auf Beschwerden reagiert hatten, und sie, wie sie betonen, für ihren Verdacht auch keine "Beweise" vorlegen konnten. Nichtsdestotrotz sind sie davon überzeugt, "dass es hier Paramilitärs gibt, und dies sind Leute, die sich hier versammeln, um gegen den Prozess (die sozialistische Transformation - d. Red.) zu arbeiten". Da es sich um eines der wenigen öffentlichen Zeugnisse handelt, in denen beschrieben wird, wie die Paramilitärs in den Armenvierteln von Caracas vorgehen, soll die Anklage hier fast komplett wiedergegeben werden:

"1. Es gibt hier ein paar sehr seltsame Typen, die stets gut angezogen sind und Luxusautos fahren. Sie kommen nicht von hier, aber sie lächeln alle Leute an und haben sich mit sämtlichen Kleinkriminellen unseres Blocks angefreundet. Aber nicht nur das. Da ist der Fall eines Kriminellen, der vorher nicht einmal ein paar Cent übrighatte und nun mit einem neuen Motorrad herumfährt, das sie ihm geschenkt haben.

2. Es gibt ein voll ausgestattetes Wohnmobil, das in regelmäßigen Abständen auftaucht und mehrere Tage im Stadtteil stehenbleibt. Während dieser Zeit werden Treffen abgehalten. Die Paramilitärs gehen ein und aus, und das Komplott ist ganz offensichtlich. Auch Freitag und Samstag treffen sie sich abends, aber wir wissen nicht, ob sie sich dann in einem Appartment des Blocks5 oder in der Schule aufhalten, die sich direkt nebenan befindet. Wir sehen lediglich, dass sich viele Autos und Motorräder und Menschen hier im Morgengrauen bewegen.

3. Es gibt eine Menge Kriminelle, die jetzt Motorräder fahren, die sie von diesen Leuten geschenkt bekommen. Damit will man sie auf ihre Seite ziehen, und wir befürchten, dass sie zu venezolanischen Paramilitärs ausgebildet werden.

4. Jede Nacht gibt es Schießereien im Viertel und die Schüsse (sogar aus Maschinenpistolen) hören sich an, als würden die Bewaffneten Botschaften zwischen den Stadtteilen Propatria und Las Lomas hin- und herschicken. Wenn das der Fall ist, dann wird wild in der Gegend herumgeschossen und die Menschen, die auf der Straße von Las Lomas unterwegs sind, werden extrem gefährdet. Das bereitet uns große Sorgen."

Es mehren sich auch Berichte über die paramilitärische Infiltration des informellen Sektors. Das entspricht der Strategie, ein dichtes Spionagenetzwerk aufzubauen. In diesem Zusammenhang sind auch die Übernahmen von Transport- und Taxiunternehmen durch Paramilitärs zu sehen (siehe Teil 1). In einigen Bezirken von Caracas haben nach Zeugenberichten die Paramilitärs den Straßenverkauf und die Essensstände unterwandert. Gleichzeitig sind zunehmend erst kürzlich in Venezuela angekommene Kolumbianer zu sehen, die als Eisverkäufer auf den Straßen arbeiten. Das überrascht, denn früher war diese Arbeit den Einwanderern aus Haiti sowie Trinidad und Tobago vorbehalten, die aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse geringe Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Kolumbianer verfügen in der Regel über ein höheres Bildungsniveau und integrieren sich schnell im venezolanischen Arbeitsmarkt.

Aus einigen Stadtteilen ist zu hören, dass die Paramilitärs die Kommunalen Räte unterwandern. Häufig geschieht dies über die Sportkommission, was nicht überrascht, denn zum einen lässt sich dort am besten vermeiden, über Politik zu sprechen, und zum anderen haben sie so Zugang zu den Jugendlichen der Gemeinde, die sie ja als Rekruten interessieren. In einem konkreten Fall im Armenviertel Catia in Caracas tauchte ein Kolumbianer auf, der gerade erst nach Venezuela umgezogen war, aber bereits über einen venezolanischen Personalausweis verfügte (was nicht unbedingt auf paramilitärischen Hintergrund hinweisen muss, da Fälschungen durchaus verbreitet sind). Bereits eine Woche nach seiner Ankunft begann er, allen Kindern Geschenke zu machen. Etwas später bat er darum, in die Sportkommission aufgenommen zu werden. Die Gemeinde schöpfte zunächst keinen Verdacht, und es erschien auch niemandem ungewöhnlich, dass jemand, der sich in einem armen Randbezirk niederlässt, die finanziellen Möglichkeiten hat, alle Kinder im Stadtviertel zu beschenken. Dies macht deutlich, wie wichtig es ist, die Menschen in den Stadtteilen für das Thema "Paramilitarismus" zu sensibilisieren. Im genannten Fall wurden die Einwohner des Viertels erst dann skeptisch, als der Mann, der häufig Besuch von anderen Kolumbianern in luxuriösen Autos mit abgedunkelten Scheiben bekam, damit begann, schlecht über die Regierung Chávez zu reden und darauf zu bestehen, dass ein falsches Bild über die kolumbianischen Paramilitärs in Venezuela gezeichnet würde, die in Kolumbien gute Arbeit geleistet und den Menschen Sicherheit gebracht hätten. (...)

Institutionelle Komplizenschaft

Ein großes Problem ist die Komplizenschaft von Teilen des Militärs, der Guardia Nacional, der Polizei sowie von Regierungsinstitutionen und Verwaltungen usw. Der venezolanische Schriftsteller Luís Britto García kritisiert angesichts der Ausbreitung des illegalen Glücksspiel dass "die Casinos durch die Kollaboration von Amtsträgern bestehen". Auf dem Land ist das Problem der Zusammenarbeit offensichtlich. Die venezolanische Justiz dient in vielen Regionen des Landes noch immer den Reichen und Mächtigen. So sitzt, trotz zahlreicher Klagen und Zeugenaussagen im Zusammenhang mit den über 200 ermordeten Bauern bisher erst eine Schuldige im Gefängnis. Auf lokaler Ebene sorgen sich häufig weder Polizei noch Justiz darum, die Mordfälle aufzuklären oder die Schuldigen zu verfolgen.

Kann eine Verurteilung nicht vermieden werden, erhalten die Großgrundbesitzer eine privilegierte Behandlung vor Gericht. So geschehen im Fall der Großgrundbesitzerin Sioly Torres in der Region Sur del Lago im Bundesstaat Zulia. Am 14. April 2004 versuchte sie, begleitet von der örtlichen Polizei und neun bewaffneten Männern, die Mitglieder der Kooperative Santa Elena de Arenales zu verjagen, denen sie die Hälfte des von ihr beanspruchten Landes - ohne reguläre Papiere zu besitzen - hatte abtreten müssen. Als die Polizei sich weigerte, die Räumung vorzunehmen, da die Kooperativenmitglieder über einen Besitztitel verfügten, der ihnen das Land eindeutig zusprach, eröffnete Torres das Feuer auf die Bauern und ermordete Jesús Antonio Guerrero López. Zuvor hatte sie einen ihrer Begleiter aufgefordert, ihr die Waffe zu reichen, mit den Worten: "Gib" mir eine Knarre, ich werde eines dieser Schweine umlegen." Die Richterin sah dennoch in dem Mord keine beabsichtigte Tat und milderte das Urteil auf eine "Handlung im Affekt".

Das Problem der Straflosigkeit und der institutionellen Komplizenschaft in Venezuela ist ganz klar ein strukturelles Problem und keine Regierungspolitik wie im Fall Kolumbiens, wo sogar inhaftierte Paramilitärs auf behördliche Unterstützung zählen können. Das zeigt z.B. der Fall des Drogenhändlers und Paramilitärführers der "Águilas Negras" (Schwarze Adler) Gerson Álvarez Dueñas, bekannt als "Comandante John". Gemäß Informationen offizieller venezolanischer Stellen verfügte Dueñas über Immobilienbesitz in San Carlos, Hauptstadt des venezolanischen Bundesstaates Cojedes, wo er große Mengen Drogen zwischenlagerte, bevor sie in die USA und nach Europa geschmuggelt wurden. Zudem widmete er sich mit einigen Gefolgsleuten in Venezuela der Entführung, der Erpressung und dem Viehdiebstahl. In Venezuela am 14. Juni 2007 verhaftet, wurde Dueñas dem kolumbianischen Geheimdienst DAS übergeben. Nur drei Wochen später, am 6. Juli 2007, "flüchtete" Dueñas aus dem Gefängnis in Kolumbien durch das Haupttor mit einem Freigängerstatus. Seine "Flucht" wurde aber erst fast ein Jahr später durch die Leitung der Nationalen Gefängnisbehörden bekanntgegeben. Angeblich war sein Fehlen bis dahin nicht aufgefallen.


Aus dem Spanischen von Barbara Köhler

Den Originalartikel der Tageszeitung junge Welt finden Sie hier (Teil1) und hier (Teil2).

Dario Azzellini. El negocio de la guerra, Monte Ávila Editores, Caracas, 20 Bolívar (www.monteavila.gob.ve) - Erhältlich auch bei txalaparta