Lateinamerika

Auf eigenen Füßen

Die Staaten Lateinamerikas lösen sich aus der Abhängigkeit von den Industriestaaten des Nordens. Ihre Losung: Eine bessere Welt ist möglich

Am Ende wurde der Staatsgipfel zum Volksfest. Rund 35000 Menschen waren am 17. Oktober 2009 zum Ende des Treffens der Bolivarischen Allianz für Amerika (Alba) in das Stadion von Cochabamba geströmt. Zwei Tage lang hatten Vertreter der neun Alba-Mitgliedsstaaten in dieser viertgrößten Stadt Boliviens über eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit beraten. Das Volksfest mit Kulturprogramm zum Abschluss hatte eine starke symbolische Wirkung. "Bei Staatstreffen in Europa oder den USA müssen sich die Präsidenten hinter Zäunen und Mauern verschanzen", sagte Jaime Menéndez vom bolivianischen Gewerkschaftsdachverband CSUTCB. In Lateinamerika aber sei ein neues Gefühl der Zusammengehörigkeit entstanden.

Daran hat die Bolivarische Allianz einen maßgeblichen Anteil. Die Initiative für dieses alternative Staatenbündnis hatten Ende 2004 Venezuela und Kuba ergriffen. Schon der kurze Name vermittelt eine zentrale politische Botschaft: Die Alba wurde als Gegenkonzept zur US-dominierten gesamtamerikanischen Freihandelszone Alca entwickelt. Während von dem Washingtoner Vorhaben einer neoliberalen Handelsallianz "von Alaska bis ins argentinische Feuerland", wie sie der ehemalige US-Präsident William Clinton vorhersagte, heute keine Rede mehr ist, gewinnt der südamerikanische Kontrahent an Einfluss. Denn während die USA - und auch die Europäische Union - um jeweilige Freihandelsabkommen mit einzelnen Ländern der Region ringen, gehören der Alba heute schon neun lateinamerikanische und karibische Staaten an.

Rat der sozialen Bewegung

Grund für den Erfolg ist nicht nur die Suche der Bolivarischen Allianz nach Alternativen zum neoliberalen Wirtschaftssystem. Der wachsende Einfluss liegt auch in der engen Zusammenarbeit des Staatenbundes mit Nichtregierungsorganisationen begründet. Parallel zu den staatlichen Strukturen wurde zuletzt ein Rat der sozialen Bewegungen mit beratender Funktion ins Leben gerufen. Der Zusammenschluss wird bis Mitte kommenden Jahres von der bolivianischen CSUTCB geleitet, dann übernimmt eine andere Organisation die Führung. Die Kooperation mit sozialen Organisationen ist nicht erstaunlich, denn mehrere der linksgerichteten Präsidenten der Region kommen selbst aus diesen Basisbewegungen.

Boliviens Präsident und Gastgeber Evo Morales in Cochabamba betonte die "klare anti-imperialistische Linie", der Alba folge. Gemeinsam kämpfe man "für die Einheit der Region und gegen die ungezügelte Ausbeutung der Bodenschätze", die vor dem Zugriff der Industriestaaten und der transnationalen Konzerne geschützt werden müssten.

Die Vertreter der Alba-Staaten weisen auch auf die gemeinsamen Interessen der Gewerkschaften hin. Am Rande der UNO-Generalversammlung in New York traf sich Venezuelas Präsident Hugo Chávez Ende September mit Vertretern lokaler Arbeitnehmerorganisationen. Das Ziel müsse eine engere Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften aus den USA und Lateinamerika sein, so Chávez, der ironisch hinzufügte: "Ich hoffe, die CIA klagt uns jetzt nicht wegen der Schaffung terroristischer Zellen an."

Fünf Jahre nach ihrer Gründung sei die Alba "eine wirtschaftliche, politische und soziale Allianz", heißt es in der Abschlusserklärung von Cochabamba. Gemeinsam folge man dem Motto: "Eine bessere Welt ist möglich." Auf der Basis des gemeinschaftlichen Handelns wolle man zum solidarischen Miteinander der Staaten des Südens beitragen, heißt es in der Präambel, der eine kämpferische Erklärung folgt. Der Kapitalismus "und der Imperialismus als seine höchste Stufe" stellten heute eine ernsthafte Bedrohung der menschlichen Existenz dar. Die aktuelle Weltwirtschaftskrise sei von den Industriestaaten des Nordens verursacht, an den Folgen aber leide vor allem der Süden. Mit Verweis auf die UNO-Krisenkonferenz im Juni dieses Jahres bekräftigen die Alba-Staaten zudem "die Notwendigkeit einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung".

Weil Papier bekanntlich geduldig ist, haben die linksorientierten Staaten Lateinamerikas in den vergangenen Jahren den Aufbau eines solchen Systems in Angriff genommen. Mitte dieses Jahres gründeten Venezuela und Kuba ein gemeinsames Staatsunternehmen zur Modernisierung der Häfen. Der Konzern Puertos del Alba verfügt über ein Startkapital von knapp einer Milliarde Euro. 51 Prozent hält Hauptgeldgeber Venezuela, 49 Prozent die kubanische Hafengesellschaft Asport. Zudem bewilligte die venezolanische Regierung knapp 47 Millionen Euro für den Ausbau des regionalen Telekommunikationsnetzes. Teil des Projektes ist die Verlegung eines Tiefsee-Glasfaserkabels nach Kuba. Eine eigene Entwicklungsbank der Bolivarischen Allianz sichert die Projekte mit rund 670 Millionen Euro Einlagegut- haben ab.

Losgelöst von der Weltbank

Das ambitionierteste Projekt aber geht über die Alba-Staaten hinaus. Nach einer mehrjährigen Planungsphase haben sieben Staaten Südamerikas Ende September ein eigenes, multistaatliches Kreditinstitut gegründet. Die Bank des Südens (Banco del Sur) soll die Loslösung der südamerikanischen Staatengemeinschaft von den globalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank (IWF) begünstigen. Die Gründer der Bank des Südens reagieren damit auf die zunehmende Bindung von Krediten dieser Institutionen an politische Bedingungen.

Das Projekt war 2006 vom venezolanischen Staatschef Chávez und dessen damaligen argentinischen Amtskollegen Néstor Kirchner ins Leben gerufen worden. 2007 schlossen sich Ecuador und die Regionalmacht Brasilien dem Vorhaben an, später kamen Bolivien, Paraguay und Uruguay hinzu. Die Bank des Südens ist bereits zum Zeitpunkt ihrer Gründung erfolgreicher als erhofft. Das Einlagekapital beläuft sich auf 20 Milliarden US-Dollar. Ursprünglich war von sieben Milliarden die Rede.

Die Bank des Südens sei ein "historischer Schritt", sagte der ecuadorianische Präsident und Ökonom Rafael Correa. Mit einer eigenen Entwicklungsbank werde man keine Kredite mehr bei IWF und Weltbank aufnehmen müssen. Nach Angaben von Ecuadors Außenminister Fander Falconi soll die Banco del Sur helfen, den nationalen Entwicklungsplan seiner Regierung umzusetzen. Auch Venezuelas Wirtschafts- und Finanzminister Ali Rodríguez Araque zeigte sich zuversichtlich. Die regionale Zusammenarbeit finde vor allem in drei Bereichen statt: in der Energiepolitik, beim Ausbau der Infrastruktur - und eben in der Finanzbranche. Nach Angaben des venezolanischen Ministers müssen bis Jahresende die nationalen Parlamente der Mitgliedsstaaten die Gründungsakte ratifizieren. Die Banco del Sur soll zum 1. Januar 2010 ihren Geschäftsbetrieb aufnehmen.


Die Bolivarische Allianz für Amerika (Alba) und die "Bank des Südens"


Entstanden ist die Bolivarische Allianz für Amerika (Alba) Ende 2004 in Havanna und Caracas. Venezuelas Staatschef Hugo Chávez und sein damaliger kubanischer Amtskollege Fidel Castro gründeten das Bündnis seinerzeit als Gegenmodell zu den US-Freihandelsplänen. Die links regierten Staaten der Region wollen gemeinsam Strategien entwickeln, um die historische Abhängigkeit von den Industriestaaten abzuschütteln. Die Bolivarische Allianz beruft sich auf einen der Anführer der Befreiungsarmeen, General Simón Bolívar (1783 - 1830). Die Alba ist heute die zentrale Organisation der neuen amerikanischen Linken. Neun Länder gehören ihr an: Bolivien, Ecuador, Honduras, Kuba, Nicaragua und Venezuela sowie die karibischen Kleinstaaten Antigua, St. Vincent und Dominica. Die parallel entstandene Bank des Südens ("Banco del Sur") vereint zusätzlich zu Bolivien, Ecuador und Venezuela sogar die Regionalmacht Brasilien, das ebenfalls wirtschaftsmächtige Argentinien sowie Paraguay und Uruguay. Binnen weniger Jahre ist so ein neuer Machtblock entstanden. Nicht mehr die Linke ist isoliert, wie das sozialistische Kuba noch in den 1990er Jahren. Es sind heute die USA und Europa, die vor den Toren des neuen Lateinamerikas stehen und um Zugang zu den Märkten bitten. Ihre Regeln aber gelten dort nicht mehr.