Berlin. Das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) hat zusammen mit der kolumbianischen Gewerkschaft Sinaltrainal bei der Staatsanwaltschaft im schweizerischen Zug Strafanzeige gegen die Nestlé AG
und führende Direktoren des Konzerns gestellt. Die Menschenrechtsorganisation wirft ihnen vor, den Tod des Kolumbianers Luciano Romero im Jahr 2005 verursacht zu haben, weil sie nicht für Schutzmaßnahmen gesorgt hätten. Die Klage schafft möglicherweise einen Präzedenzfall, denn erstmals könnte ein Schweizer Unternehmen in der Heimat für Unrecht haftbar gemacht werden, das im Ausland begangen wurde.
Nach Ansicht des Generalsekretärs des ECCHR, Wolfgang Kaleck, können durch den Präzedenzfall Maßstäbe für Unternehmensverantwortung gesetzt werden. Dies gebe "im Ausland engagierten Firmen wichtige Hinweise für ihr Risikomanagement". Zudem ermutige es Gewerkschafter weltweit, die Justiz für die Verteidigung ihrer Rechte zu nutzen.
Der kolumbianische Gewerkschafter Luciano Romero war im September 2005 im Nordosten Kolumbiens von Paramilitärs entführt, gefoltert und mit 50 Messerstichen ermordet worden. Zuvor hatte er jahrelang für die kolumbianische Nestlé-Tochter Ciolac gearbeitet. Im Unternehmen hatte er sich für Verbesserungen der Arbeitsbedingungen eingesetzt. Romero erhielt Todesdrohungen, nachdem er vom lokalen Nestlé-Management fälschlich als Guerillero diffamiert worden sei, schreibt das ECCHR in ihrer Pressemitteilung. In der damals von rechten Paramilitärs kontrollierten Region Cesar kam dies einem Todesurteil gleich.
Die lokale Nestlé-Vertretung war auf mehreren Ebenen mit paramilitärischen Kreisen verflochten, stellt das ECCHR fest. Demnach habe sie zum einen Lieferbeziehungen zu Großgrundbesitzern unterhalten, die Verbindungen zu paramilitärischen Kreisen hatten. Zum anderen sagte ein Ex-Kommandant der Paramilitärs, Salvatore Mancuso, bei einem Verfahren in den USA aus, Cicolac habe Zahlungen an seine Einheiten geleistet. Die Schweizer Unternehmensführung wusste laut ECCHR vom Fehlverhalten ihrer Vertreter in Kolumbien und der Bedrohung der Gewerkschafter in dem bewaffneten Konflikt. Sie sei dennoch untätig geblieben. In der Strafanzeige wird dem Unternehmen vorgeworfen, die Tat fahrlässig nicht verhindert zu haben.
Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte Nestlé, man lehne jede Art von Gewalt ab. Die Details der Strafanzeige seien noch nicht bekannt. Außerdem verwies Nestlé demnach auf ähnliche Verfahren der Sinaltrainal gegen den Konzern, die bislang immer erfolglos geblieben seien.
In Kolumbien werden seit Jahren fast die Hälfte aller Morde an Gewerkschaftern weltweit verübt. Verantwortlich dafür sind meist Paramilitärs und staatliche Sicherheitskräfte. Der Nestlé-Konzern, der bereits seit 1944 in Kolumbien tätig ist, unterhält mittlerweile mehrere Tochterfirmen und Fabrikstandorte. So ist der der Mord an Luciano Romero auch kein Einzelfall. Seit 1986 wurden allein mindestens 13 Nestlé-Arbeiter und Anführer der Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal ermordet oder sie verschwanden.
"Für uns ist diese Anzeige ein Hoffnungsschimmer. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens werden uns die Ermittlungen helfen bei der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit für dieses Verbrechen an Luciano Romero, einem angekündigten Tod, wie so viele in Kolumbien", sagte der Opferanwalt Leonardo Jaimes.
Anwalt Jaimes, Wolfgang Kaleck vom ECCHR und Carlos Olaya von Sinaltrainal informieren am kommenden Freitag, 9. März, um 19 Uhr in Berlin über den Fall und die Strafanzeige. Am heutigen Mittwoch findet eine Veranstaltung in Bern und am morgigen Donnerstag in Wien statt.