Kolumbien / Venezuela

Chávez lädt Chef der kolumbianischen Guerrilla FARC ein

Vermittlung durch Präsident Chávez im Konflikt des Nachbarlandes zeigt erste Ergebnisse

Binnen weniger Wochen, erklärte Chávez unlängst im Beisein seines kolumbianischen Amtskollegen Alvaro Uribe, werde er sich mit Vertretern der "Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens" treffen. Uribe konnte dagegen keinen Einspruch erheben, denn er selbst hatte im August die Senatorin der Liberalen Partei, Piedad Córdoba, beauftragt, sich für ein Abkommen zum Austausch der Gefangenen von Staat und Guerilla einzusetzen. Córdoba war daraufhin nach Caracas geflogen, um ihrerseits Chávez einzuschalten. Damit war das Dilemma für Uribe perfekt. Sein linker Gegenspieler in der Region handelt nun quasi im Auftrag Bogotás. Es geht dabei zunächst zwar nur darum, 45 Gefangene der FARC gegen rund 500 inhaftierte Guerillakombattanten auszutauschen. Kommt das Abkommen aber zustande, wäre das Primat der Politik wieder hergestellt, das durch Uribes Strategie der "demokratischen Sicherheit", ein Euphemismus für den Krieg Bogotás, zerstört wurde.

In offizieller Mission hat der venezolanische Präsident nun den FARC-Gründer Manuel Marulanda - in Uribes Augen den Terroristen Nummer eins - nach Caracas eingeladen. Mit dieser Dynamik habe in Bogotá niemand gerechnet, vermutet Michael Shifter von der US-amerikanischen Nichtregierungsorganisation Interamerican Dialog. "Wir dachten am Anfang, Uribe wisse, was er macht", sagte Shifter der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo: "Aber offensichtlich hat er die Kontrolle verloren".

Nach anfänglicher Kooperationsbereitschaft versuchen Vertreter Kolumbiens daher, Fortschritte bei den politischen Gesprächen zu behindern. Anfang des Monats lehnte die Regierung in Bogotá eine Zusammenkunft zwischen FARC-Vertretern und Chávez in Kolumbien ab. Auch ein für den 8. Oktober in Caracas anvisiertes Treffen mußte "aus Sicherheitsgründen" abgesagt werden. Der Verteidigungsminister Kolumbiens, Juan Manuel Santos, hatte nach der Bekanntgabe des Termins erklärt, die FARC-Vertreter müßten "auf eigene Verantwortung" nach Caracas reisen. Die Äußerung wurde als indirekte Drohung aufgefaßt. In Kolumbien gäbe es offensichtlich Interessen, die einem politischen Abkommen entgegenstünden, sagte Chávez daraufhin.

Mit einem Zeitungsinterview schaltete sich am Montag auch der US-Botschafter in Bogotá, William Brownfield, ein. Auch die Moderation Chávez' werde keinen Gefangenenaustausch ermöglichen, sagte Brownfield, der sein Land zuvor in Caracas vertreten hatte. Dafür nämlich seien "konkrete Schritte" der FARC nötig. Ungewollt erkannte der US-Diplomat damit den ersten Erfolg von Caracas an: Brownfield schloß einen Kontakt mit den FARC nicht mehr grundsätzlich aus. Dass sich die Meinung sowohl in Kolumbien als auch in den USA ändert, ist dem internationalen Druck geschuldet. Kolumbiens Anrainerstaaten Brasilien und Ecuador unterstützen Chávez' Initiative, und auch aus Frankreich und Spanien wird Druck ausgeübt. Diese vier Staaten erkennen an, was allen Beteiligten klar sein muss: Der kolumbianische Konflikt hat soziale Ursachen und wird nicht militärisch gelöst werden können. Ein Ende der Auseinandersetzungen kann nur auf diplomatischem Weg eingeleitet und durch einen neuen sozialen Ausgleich im Land erreicht werden.

Diese Erkenntnis steht im direkten Widerspruch zu dem verheerenden Plan der kolumbianischen Eliten und ihrer US-amerikanischen Bündnispartner, den sozialen Widerstand, dessen Ausdruck der Kampf der Guerilla ist, militärisch zu zerschlagen.


Quelle: junge Welt vom 17.10.2007