Venezuela / Medien

Das Gesetz, das keins war

Parlament dementiert Gesetzentwurf zur Medienregulierung. Hinweise auf gemeinsame Kampagne der privaten Radiobetreiber

Caracas. Die Debatte um ein neues Gesetz zur Regulierung von Medieninhalten nimmt absonderliche Formen an. Die privaten Medienunternehmen kritisieren seit zwei Wochen einen angeblichen Gesetzentwurf der Parlamentes, der auf verschiedenen Internetseiten kursiert. Das Papier enthält 17 Paragraphen, in denen auf Grundlage kaum bestimmter Begriffe wie "Objektivät" und "Wahrheit" hohe Haftstrafen für Journalisten und Medienbesitzer angedroht werden. Auch Gruppen wie Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen griffen anhand dieses Papiers die venezolanische Regierung scharf an. Inzwischen zeichnet sich immer deutlicher ab, dass die öffentliche Debatte um das Gesetz möglicherweise selber den Charakter einer Öffentlichkeitskampagne hat: Der Gesetzentwurf stammt nach dessen Angaben nicht aus dem dafür zuständigen Gremium des Parlaments.

Gestern dementierte die Asamblea Nacional zum wiederholten Mal, dass ein Gesetzentwurf mit dem Namen "Gesetz gegen Mediendelikte" aus dem Parlament stammt. Bereits am Dienstag hatte der Abgeordnete Manuel Villalba, Vorsitzender der parlamentarischen Kommission für Wissenschaft, Technik und Kommunikation, erklärt, ein entsprechendes Gesetz liege dem Gremium nicht vor. "Diese Situation entbehrt jeglicher Realität, was bestätigt, dass es hier Besitzer von privaten Medienunternehmen gibt, die Meinungsmache betreiben, was in keinster Weise aus der Realität gerechtfertigt ist." Er wies darauf hin, dass die Kommission sich gegenwärtig mit der Generalstaatsanwältin, Luisa Ortega Díaz, berate, deren Vorschläge innerhalb der Kommission jedoch umstritten gewesen seien. Woher der kritisierte Entwurf stammt, bleibt damit unklar. Es kann sich sowohl um eine komplette Fälschung handeln, oder aus der Generalstaatsanwaltschaft stammen. Ein Teil der privaten Presse unterstellt, das Dementi sei ein Rückzug der Abgeordneten als Reaktion auf die öffentliche Kritik.

Heute nahm die Auseinandersetzung einer neue Wendung: Der Vizepräsident des Interessenverbandes der Radiobetreiber, Antonio Serfaty, trat zurück. Anlass ist ein Papier des Interessenverbandes (Cámara Venezolana de la Radiodifusión) an alle seine Mitglieder. Darin fordert dessen Vorsitzender die privaten Radiosender auf, jede Verhandlung mit der Regierung zu vermeiden und schlägt stattdessen Redewendungen vor, mit denen die Berichterstattung aller Radios synchronisiert werden soll. Unter anderem solle die Medienpolitik der Regierung als "Missbrauch", "illegal", "willkürlich" und "Kubanisierung" bezeichnet werden. Den Radiomoderatoren wird empfohlen zu behaupten, 83 Prozent der Venezolaner seien gegen den Entzug von Frequenzen, und dass alle entzogenen Frequenzen an staatliche Sender gehen würden. Antonio Serfaty, dessen Unterschrift auf dem Papier neben der des Vorsitzenden Nelson Belfort auftaucht, erklärte heute, er habe das Papier noch nie gesehen und verkündete gleichzeitig seinen Rücktritt.

Präsident Hugo Chávez verwies gestern auf die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung. "Keine Freiheit gilt unbeschränkt, nur die der Mächtigen, die versuchen auf den Schwächeren herumzutrampeln. Wir machen Gesetze, die den Reichen lästig sind." Die privaten Medienunternehmen sollten anerkennen, dass in Venezuela eine Verfassung und eine Mediengesetzgebung gelte, gegen die insbesondere der Handel mit staatlich vergebenen Lizenzen verstoße. Die venezolanische Regierung wirft den Medienunternehmen vor, sie hätten sich Frequenzen bei einzelnen Lizenznehmern zusammengekauft, ohne die Nutzung bei der Regulierungsbehörde anzumelden. Damit würden sie versuchen, die Gesetze zur Verhinderung von Medienkonzentration zu umgehen. Vor einer Woche hatte die Regulierungskommission bekannt gegeben, dass 34 Sendern, die keine aktuellen Daten über ihre Frequenznutzung eingereicht hatten, die Lizenzen entzogen werden. Auf das Gesetz gegen Medienmissbrauch angesprochen, verwies Chávez auf die Zuständigkeit des Parlaments und der Generalstaatsanwaltschaft: "Lassen sie die Gewalten ihre Arbeit machen."