Venezuela

Korrupte Opfer

Venezuelas Justiz geht gegen Bestechung und Veruntreuung vor. Die Angeklagten präsentieren sich als Leidtragende einer Politkampagne

Gegen gleich drei hochrangige Politiker wurde in Venezuela seit Beginn dieses Monats Anklage wegen Korruptionsdelikten erhoben. Ende März bereits wurde der Klage gegen den ehemaligen Gouverneur des Bundesstaates Zulia und bis dahin amtierenden Bürgermeister der Provinzhauptstadt Maracaibo, Manuel Rosales, stattgegeben (1). In der vergangenen Woche dann wurden kurz nacheinander Exverteidigungsminister Raúl Baduel (2) und der einstige Gouverneur des Bundesstaats Yaracuy, Carlos Giménez (3), verhaftet. Beiden Politikern wird vorgehalten, in ihren jeweiligen Amtszeiten staatliche Gelder in großem Ausmaß veruntreut zu haben. Alle Betroffenen weisen die Vorwürfe von sich, um sich als Opfer politischer Verfolgung zu präsentieren. Doch hält diese These dem Praxistest stand?

Wahrscheinlich wäre auch Manuel Rosales schon in Haft. Doch der Regionalpolitiker, der bei den letzten Präsidentschaftswahlen erfolglos gegen Staatschef Hugo Chávez kandidiert hat, ist untergetaucht. Ihm wird vorgeworfen, während seiner Amtszeit als Gouverneur des Bundesstaates Zulia Steuergelder von bis zu neun Millionen US-Dollar veruntreut zu haben. Neben der Staatsanwaltschaft ermittelt (4) in dieser Sache auch die Kontrollkommission der Nationalversammlung gegen den 56-Jährigen. Über Vertraute ließ Rosales, der im vergangenen November zum Bürgermeister von Maracaibo gewählt wurde, erklären (5), er werde sein Amt 90 Tage ruhen lassen. In dieser Zeit will er seine Verteidigung vorbereiten.

Auch Baduel und Giménez sollen nach Darstellung der Staatsanwaltschaft Gelder veruntreut haben. Baduel wird die Unterschlagung von umgerechnet 19 Millionen US-Dollar vorgehalten (6). Unter Giménez' Regierung seien umgerechnet 200.000 US-Dollar aus dem Etat des bundesstaatlichen Entwicklungsinstitut verschwunden (7).

Verfolgung nach Bruch mit Regierung?

Die drei Betroffenen - Rosales, Baduel und Giménez - sehen sich als Opfer einer politischen Kampagne. Er habe sich "nichts vorzuwerfen", sagt Rosales. Unterstützt wird er dabei von anderen regierungskritischen Gruppen. Der "Nationale Koordinator" der rechtspopulistischen Partei Primero Justicia (Zuerst Gerechtigkeit), Julio Borges, beklagte (8) eine "Politisierung der Justiz". Jugendgruppierungen aus dem Umfeld der Rosales-Partei Un Nuevo Tiempo (Eine neue Zeit) organisierten am Freitag eine Pressekonferenz auf dem Campus der Venezolanischen Zentraluniversität in Caracas, um eine "Kampagne der Repression und des Horrors" anzuprangern (9). Als Vertreter von Primero Justicia forderte der Studentenaktivist Yon Goicoechea ein "Ende der Repression". Goicoechea ist einer der bekanntesten Jungpolitiker der Opposition. Für sein Engagement war er vom neokonservativen US-Think-Tank Kato Institute Mitte Mai vergangenen Jahres mit einem "Preis für die Freiheit" ausgezeichnet (10) worden. Das Preisgeld belief sich auf eine halbe Million US-Dollar.

Vor allem Raúl Baduel, so verbreiten Goicoechea und die meist regierungskritischen Privatmedien Venezuelas immer wieder unisono, sei zum Opfer der Justiz geworden, weil er sich von der Regierung losgesagt hat.

Dabei nährt schon ein flüchtiger Blick in die Zeitungsarchive Zweifel an dieser These. Bereits im Juli 2007 war Baduel von seinem Posten als Verteidigungsminister abberufen (11) worden. Regierungsintern war es damals zu Streitigkeiten zwischen ihm und Präsident Chávez um den Fortgang der Bolivarischen Revolution, wie der soziale und politische Reformprozess in Venezuela heißt, gekommen. Rund vier Monate nach seiner Entlassung aus der Regierung dann lief Baduel zur Opposition über. Zeitgleich hatten Ermittlungen wegen Korruptionsdelikten gegen ihn begonnen. Ob die Vorwürfe gegen den einstigen Militär und Spitzenpolitiker erhoben wurden, nachdem er mit der Regierung Chávez gebrochen hat, ist ebenso möglich wie eine andere These: Baduel könnte zur Opposition übergelaufen sein, um ein wahrscheinliches Korruptionsverfahren als Fall der politischen Justiz präsentieren zu können.

Auch Regierungspolitiker betroffen

Deutlich unglaubwürdig wird die These einer politischen Justiz in Venezuela spätestens, wenn man sich den Fall des ehemaligen Gouverneurs des Bundesstaates Yaracuy ansieht. Carlos Giménez, der nach seiner Verhaftung am Sonntag nun auch als Dissident aus dem Chávez-Lager dargestellt (12) wird, wurde bereits im April vergangenen Jahres aus der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei (PSUV) ausgeschlossen. Damals (13) wie heute wird ihm vorgeworfen, umgerechnet 200.000 US-Dollar aus dem Etat des bundesstaatlichen Instituts für Entwicklung unterschlagen zu haben. Am Rande eines Kongresses der PSUV, bei dem über die Aufstellung der Kandidaten für die Regionalwahlen im vergangenen November entschieden wurde, gab der Vizepräsident der Partei, Alberto Müller Rojas, den Ausschluss Giménez' bekannt. Wenige Wochen später zeigte sich der Oberste Gerichtshof Venezuelas mit einem Amtsenthebungsverfahren gegen den Regionalpolitiker einverstanden (14). Giménez wurde damals jedoch nicht inhaftiert. Seine Festsetzung erfolgte nun, weil er seit Anfang März drei Vorladungen in Folge ignoriert hatte. Es bestehe deswegen erhöhte Fluchtgefahr, urteilten die Ermittlungsrichter.

Wahrscheinlicher als die nun politisch motivierte Darstellung der Ermittlungsverfahren ist folgende Variante: Erstmals seit Jahren tragen die Verfahren gegen Korruption in Venezuela Früchte. Zudem gehören die drei nun betroffenen Politiker keineswegs nur der Opposition an - sie stammen aus allen Teilen des politischen Spektrums des südamerikanischen Landes.

Ein Zeichen für die Ernsthaftigkeit im dringend notwendigen Kampf gegen die Korruption in Venezuela ist übrigens auch eine Kabinettsumbildung Anfang März. Dabei war der bisherige Chef des Institutes für Verbraucherschutz (15), Eduardo Samán, zum neuen Handelsminister ernannt worden. Samán hatte zuvor die Gründung von so genannten Verbraucherschutzkomitees unterstützt, um gegen Korruptionsfälle - etwa in den staatlichen subventionierten Mercal-Supermärkten - effektiv vorgehen zu können.


LINKS

  1. http://www.pr-inside.com/de/haftbefehl-gegen-oppositionspolitiker-in-r1128436.htm
  2. http://de.reuters.com/article/worldNews/idDEBEE53205K20090403
  3. http://www.entornointeligente.com/resumen/resumen.php?items=844238
  4. http://www.abn.info.ve/noticia.php?articulo=175795&lee=4
  5. http://www.abn.info.ve/noticia.php?articulo=176331&lee=1
  6. http://www.cadenaglobal.com/noticias/default.asp?Not=211269&Sec=5
  7. http://www.jornada.unam.mx/ultimas/2009/04/05/ordenan-detener-a-ex-gobernador-venezolano-por-caso-de-corrupcion
  8. http://globovision.com/news.php?nid=114005
  9. http://www.el-carabobeno.com/p_pag_not.aspx?art=a040409e02&id=t040409-e02
  10. http://www.hintergrund.de/20080516202/politik/welt/preisgeld-f%C3%BCr-protest-gegen-hugo-ch%C3%A1vez.html
  11. http://www.aporrea.org/ideologia/n98237.html
  12. http://www.elnuevoherald.com/noticias/america_latina/venezuela/story/409923.html
  13. http://www.venezuelanalysis.com/news/3415
  14. http://www.venezuelanalysis.com/newsbrief/3555
  15. http://www.indecu.gob.ve

Der Text erschien im Original beim Onlineportal Telepolis.