Regierung in Mexiko übernimmt Verantwortung für das Massaker von Acteal

1997 starben bei dem Angriff von Paramilitärs 45 Menschen. Offizieller Akt der Anerkennung. Nicht alle Hinterbliebenen nehmen Entschuldigung an

acteal_f.jpg

Akt der Vergebung mit Beteiligten beider Parteien
Akt der Vergebung mit Beteiligten beider Parteien

Acteal/ Mexiko-Stadt. 23 Jahre nach dem Massaker vom 22. Dezember 1997 in Acteal im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas hat der mexikanische Staat die Verantwortung übernommen. Am 3. September fand dazu in Mexiko-Stadt ein offizieller Akt der Anerkennung statt.

Zu den Teilnehmenden zählten neben Vertretern der chiapanekischen Regierung und der Nationalen Kommission für Menschenrechte (CNDH) auch der Staatssekretär für Menschenrechte, Bevölkerung und Migration, Alejandro Encinas, und Vertreter der Gruppe Consejo Pacifista de Las Abejas, in der sich ein Teil der Überlebenden aus der Gemeinde mit  Angehörigen von Opfern zusammengeschlossen hat.

Bereits 2005 beschloss die Gruppe im Rahmen eines laufenden Verfahrens vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) eine gütliche Einigung zu unterzeichnen.

Encinas bat um Entschuldigung und räumte ein, dass der Angriff damals "mit der Gefälligkeit der Behörden" von einer Gruppe Paramilitärs begangen wurde. Am 22. Dezember 1997 attackierten diese über mehrere Stunden die indigene Gemeinde im Hochland von Chiapas. 45 Menschen, darunter viele Kinder, kamen dabei ums Leben.

Die Paramilitärs konnten dabei ungestört vorgehen, obwohl sich Polizei und Militär in unmittelbarer Nähe befanden. Einige der Täter wurden zwar festgenommen und verurteilt, jedoch nach einer Begnadigungsoffensive wegen angeblicher Verfahrensfehler zwischen 2009 und 2013 wieder freigelassen.

Das Massaker von Acteal repräsentiert eine Zäsur in der Auseinandersetzung zwischen der Zivilgesellschaft und dem mexikanischen Staat.

Der Staat habe Menschenrechte missachtet, die Tragödie zu vertuschen versucht und sei dabei so weit gegangen, die Opfer selbst zu kriminalisieren, sagte Encinas. Weiter informierte er, dass das Abkommen 18 Verstorbenen und zwölf Überlebenden eine Verhandlung vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte (CIDH) garantiere. Außerdem werde die Regierung die Geschehnisse rekapitulieren und eine finanzielle Entschädigung nach den höchsten Standards der CIDH auszahlen.

Über den Tellerrand schauen?

Mit Ihrer Spende können wir Ihnen täglich das Geschehen in Lateinamerika näher bringen.

Fernando Luna Pérez sprach bei der Feier im Namen der Opfer und betonte, dass der Kampf der Hinterbliebenen nicht mit diesem Ergebnis ende. Er forderte Strafen für die beauftragenden Behörden des Massakers auf allen Ebenen der Regierung, besonders für den damaligen Präsidenten Ernesto Zedillo (1994 ‒ 2000). Weiter erklärte er, dass sie die Entschuldigung annehmen, da die Regierung die Verantwortung für das Handeln der Paramilitärs damals übernimmt.

Die öffentliche Aufmerksamkeit nutzte die Gruppe Sociedad Civil Las Abejas (kurz: Las Abejas) neben 44 anderen Organisationen aus zehn Ländern, um ihren Forderungen in Bezug auf den Fall Gehör zu verschaffen. Die Einigung mit dem Staat wird nicht von allen Beteiligten getragen. Vertreter der Las Abejas betonten in einem öffentlichen Schreiben vom 22. August, dass es wichtig sei, den Fall vor der CIDH nicht zu schließen. Auch wenn sie die Einigung für die Beteiligten akzeptieren, ist es ihnen wichtig, dass die Öffentlichkeit nicht den Eindruck bekommt, der Fall sei jetzt abgeschlossen.

Sie kritisierten gleichzeitig die Dauer des Rechtsstreits vor der CIDH: Bereits seit 15 Jahren wird der Fall dort als "Caso 12.790 Manuel Sántiz Culebra y Otros. Masacre de Acteal" verhandelt und hat den Opfern und ihren Familien viel abverlangt. Bereits im Juli wandte sich die Gruppe Las Abejas mit ihren Bedenken an die Öffentlichkeit. Im Zentrum stand damals die Entzweiung der Gruppe der Überlebenden und ihren Angehörigen. Sie distanzierten sich eindeutig von denen, die vor kurzem in Mexiko-Stadt die Einigung mit dem Staat eingingen. Dass jetzt nur ein Teil der Betroffenen diese Einigung mit Regierungsvertretern erzielt, führt unter den Überlebenden zu Differenzen, die sie sonst nur durch den Einfluss der politischen Parteien erleben.

Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung ihren Verpflichtungen aus dem geschlossenen Abkommen nachkommt.

Die Situation im Umfeld der Gemeinde Acteal im Bezirk Chenalho ist seit Jahren weiter angespannt. Seit 2017 hat eine bewaffnete Gruppe die Territorien der Nachbargemeinden Chalchihuitán und Acteal ins Visier genommen. Zeitweise waren bis zu 5.000 Personen vor ihnen auf der Flucht.

Viele Beobachter, darunter Pedro Faro, Leiter des Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de Las Casas, mahnen eindringlich, dass die völlige Straflosigkeit und die Vertreibungen der letzten Zeit sie an die Monate vor dem Massaker von Acteal erinnert.

Die Organisation Las Abejas betont, dass die historischen paramilitärischen Gruppierungen "nie entwaffnet und aufgelöst wurden" und warnt, dass heute in der Region mehr Waffen vorhanden seien als in den 1990er Jahren.