Gesellschaftliche Debatte um neues Familiengesetz auf Kuba hat begonnen

Mehr Schutz für Kinder, Ältere, Menschen mit Behinderung und Opfer häuslicher Gewalt. Kontrovers diskutiert wird die "Ehe für alle"

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Überall auf Kuba wird jetzt das neue Familiengesetz diskutiert, hier In Cienfuegos
Überall auf Kuba wird jetzt das neue Familiengesetz diskutiert, hier In Cienfuegos

Havanna. Alle wahlberechtigten Kubanerinnen und Kubaner sind derzeit aufgerufen, sich an den Diskussionen zur Erarbeitung eines neuen Familiengesetzbuchs zu beteiligen.

Der nach Beendigung der Debatten in einer Volksabstimmung zu beschließende "Codígo de las Familias" soll dann das aus dem Jahr 1975 datierende bisherige Gesetzeswerk ersetzen, das bis heute 23 Modifizierungen erfahren hat. Der konkrete Zeitplan sieht vor, dass bis zum 30. April Änderungsvorschläge an die Redaktionskommission eingereicht werden können, die dann wiederum im Laufe des Mai die bearbeiteten Eingaben dem kubanischen Parlament übermittelt. Am Ende des Prozesses steht dann die Abstimmung über das neue Familiengesetzbuch in einem Referendum.

Dass Gesetzesvorhaben und Verfassungsänderungen auf Kuba mittels einer Volksabstimmung beschlossen werden, ist nicht neu, jedoch das nun angewandte Verfahren. Die Debatten sollen nicht nur wie in der Vergangenheit im Rahmen von Versammlungen in den Stadtteilen, an Universitäten und Arbeitsplätzen geführt werden, sondern auch in virtuellen Räumen. So ist es nun möglich, Änderungsvorschläge zu dem vom kubanischen Parlament erarbeiteten Entwurf per E-Mail sowie auf der Homepage der Asamblea Nacional del Poder Popular und auf zahlreichen weiteren digitalen Plattformen zu hinterlegen.

Auch die legal im Ausland lebenden Kubanerinnen und Kubaner können sich an der Debatte beteiligen. Hierzu wurde von Technikern der Hochschule für Informatik in Havanna eigens eine Handy-App programmiert, deren QR-Code über die Botschaften an die jeweiligen Personen weitergegeben wird.

Nicht nur die technischen Mittel und die gewollte Breite der Debatte sind in diesem Kontext von Bedeutung, sondern vor allem auch die zu diskutierenden Inhalte.

Der Gesetzesentwurf sieht nicht nur die Stärkung der Rechte der vulnerablen Gruppen der kubanischen Gesellschaft vor, sondern auch die Zulassung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Während die Vorschläge zum verstärkten Schutz für Personengruppen wie Kinder, Ältere, Menschen mit Behinderung und Opfer von häuslicher Gewalt weniger umstritten sein dürften, wird der Vorstoß zur Ermöglichung der Eheschließung für gleichgeschlechtliche Paare deutlich kontroverser diskutiert. Diese Möglichkeit sowie die Adoption von Kindern für gleichgeschlechtliche Paare wurde bereits im Jahr 2018 im Kontext der Verfassungsreform in der Gesellschaft breit debattiert. Nach dem Protest vor allem der Kirchen wurde der entsprechende Vorschlag jedoch nicht in die Verfassung aufgenommen.

Für die Aufnahme entsprechender Passagen in das Familiengesetzbuch werben derzeit nicht nur die Regierung, sondern auch Vertreter der Zivilgesellschaft und Aktivisten der LGBTIQ-Bewegung. Nicht nur in Bezug auf dieses Thema weisen die Initiatoren der Reformbemühungen darauf hin, dass die Vorschläge nicht dazu dienen sollen, ein Familienmodell aufzuzwingen, sondern dass die vorgebrachten Ideen lediglich Ausdruck der Realität des Landes sind. Die Tageszeitung Granma schrieb, der Entwurf entspreche "der Nation, die wir sind, und darüber hinaus der Nation, die wir sein wollen und sein sollten".

Hingewiesen wird dabei auch darauf, dass nicht bestehende Rechte beschnitten werden sollen, sondern dass weiteren Personen und Personengruppen Rechte gewährt werden sollen. Es gehe um einen gesellschaftlichen Lernprozess. Präsident Miguel Díaz-Canel bezeichnet das neue Familiengesetz als "emanzipatorisch" und betonte: "Es ist ein Gesetzbuch der Pluralität, das alle Familien, alle Arten von Familien, die es in Kuba gibt, und die Probleme, die mit ihrer Entwicklung verbunden sind, anerkennt."

Um die notwendigen Debatten führen zu können, werden landesweit mehr als 78.000 Versammlungen durchgeführt, an denen jeweils 150 Personen teilnehmen können. Unterstützt wird der mit der Organisation betraute Wahlrat dabei von Hunderten Juristinnen und Juristen, Supervisoren sowie Aktivisten der Studierendenorganisationen. Gemeinsam sollen sie die eingehenden Änderungsvorschläge aufnehmen, für Fragen zur Verfügung stehen und vor allem die Transparenz und Durchführung der gesellschaftspolitischen Diskussionen gewährleisten.