Tegucigalpa. Die honduranische Regierung hat beschlossen, dass die 21 Gefängnisse des Landes ab heute für ein Jahr unter die Kontrolle der Militärpolizei gestellt werden. Der seit dem 6. Dezember 2022 in Kraft getretene Ausnahmezustand, wird ohne genaue Angaben auf weitere Regionen des Landes erweitert. Die Armee übernimmt landesweit Aufgaben der öffentlichen Sicherheit.
Darüber hinaus ist der im April 2023 eingesetzte Aufsichtsrat des Strafvollzugs aufgelöst, dessen Vorsitz die Vizeinnenministerin Julissa Villanueva innehatte. Die Armee wird angehalten, die Islas de Cisne, eine Inselgruppe vor der karibischen Küste, als neuen Strafvollzug einzurichten, wo die gefährlichsten führenden Häftlinge gebracht werden sollen.
Voraus gegangen war am Dienstag ein Massaker im Frauengefängnis Támara, 30 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Tegucigalpa, dem bislang 46 Insassinnen zum Opfer fielen. Nach offiziellen Angaben wurden 23 Frauen durch Schuss- und Stichwaffen getötet, 23 weitere Frauen sind in ihren Zellen verbrannt. Medienberichten zufolge sind Angehörige der kriminellen Straßengang Barrio 18 in den Gefängnistrakt eingedrungen, in dem die Mitglieder der rivalisierenden Gang Mara Salvatrucha untergebracht waren.
Noch am gleichen Abend entließ Präsidentin Xiomara Castro den Minister für Sicherheit, Ramón Sabillón, und setzte den bisherigen Chef der nationalen Polizei Gustavo Sánchez ein. Die Absetzung Sabillóns wird in der honduranischen Öffentlichkeit unterschiedlich bewertet. Zum einen hat er im Februar 2022 die Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten Juan Orlando Hernández vorangetrieben, der zwei Monate später, auf Ersuchen der Bundesstaatsanwaltschaft New York, wegen mutmaßlichen Drogenhandels an die USA ausgeliefert wurde. Zum anderen ist es das erste Mal in der honduranischen Geschichte, dass ein Sicherheitsminister nach einem Gefängnismassaker entlassen wurde. Der politische Analyst Raul Pineda äußerte sich gegenüber der online-Zeitung criterio, "dass Sabillóns Entlassung bereits von den politischen Kreisen geplant war, da er aufgrund der sich verschlechternden Beziehung zum ehemaligen Präsidenten und jetzigen Präsidentenberater Manuel Zelaya Rosales für das Kabinett unangenehm war. Diese Änderungen", so Pineda weiter, "waren bereits seit Juni geplant, und die Tragödie war der perfekte Vorwand, um ihn aus dem Sicherheitsministerium zu entfernen."
Der Menschenrechtsexperte Joaquin A. Mejía äußerte sich gegenüber amerika21: "Diese Krise reflektiert die Unfähigkeit der vergangenen Regierungen und der aktuellen Regierung, die permanenten Unzulänglichkeiten im Strafvollzug zu lösen. Sie spiegelt das Versagen der Gesellschaft wieder". Den Einsatz des Militärs in den Gefängnissen sieht er als einen großen Fehler, denn "es ist keine politische Lösung, beziehungsweise kein politischer Willen zur Umsetzung einer Strategie zu sehen". Mejías Einschätzung nach sei es fraglich, die Kontrolle der Gefängnisse wieder der PMOP zu überlassen, denn in den letzten Jahren habe sie schon einmal versagt. "Die PMOP wird mit der organisierten Kriminalität und mit schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, die sich in der Zeit nach dem Wahlbetrug 2017 ereigneten, in Verbindung gebracht". Castros Entscheidung zur Militarisierung sei "ein furchtbarer Schlag ins Gesicht der Bürger:innen, da sie ihr Wahlversprechen, die Militärpolizei abzuschaffen, nicht einhält", so Mejía weiter.
Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Honduras äußerte sich betroffen über die 46 Toten und erklärte, dass der chronische Mangel an Sicherheitspersonal sowohl im Frauengefängnis als auch in anderen Haftanstalten besorgniserregend sei. Es gebe nur 52 Beamt:innen, was nicht ausreiche, um die Sicherheit und die ordnungsgemäße Behandlung der 916 Häftlinge im Frauengefängnis zu gewährleisten.
Die Krise im honduranischen Strafvollzug dauert schon seit Jahrzehnten an. Bei Gefängnisrevolten kamen im Jahr 2003 in La Ceiba 69 Insassen ums Leben, im Jahr 2004 kamen in San Pedro Sula 107 Insassen ums Leben und im Jahr 2012 starben 361 Insassen im Gefängnis in Comayagua. Allein im Dezember 2019 kamen in verschiedenen Gefängnissen mehr als 50 Insassen ums Leben (amerika21 berichtete). Nicht offiziell bestätigte Zahlen ergeben, dass im Dezember 2022 19.842 Erwachsene in den 25 Strafvollzugsanstalten des Landes untergebracht waren, obwohl die Kapazität nur für 14.780 Häftlinge ausreiche. Dies bedeutet eine Überbelegung von 34,2 Prozent. Mindestens 51,6 Prozent der Häftlinge seien noch nicht rechtskräftig verurteilt.