Brasilien: Oberste Richterin unterstützt Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen

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Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Rosa Weber
Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs, Rosa Weber

Brasília. Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs (STF) von Brasilien, Rosa Weber, hat bei einer virtuellen Abstimmung die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen unterstützt. Weber sieht in der aktuellen Rechtslage eine Unrechtmäßigkeit und somit eine Aufrechterhaltung von geschlechtsspezifischer Diskriminierung. "Die Kriminalisierung des freiwilligen und uneingeschränkten Schwangerschaftsabbruchs berührt den Kern der Rechte der Frauen auf Freiheit, Selbstbestimmung, Privatsphäre, Fortpflanzungsfreiheit und ihre Würde", so die Richterin.

Nachdem Weber als erste ihre Stellungnahme vorgetragen hatte, wurde die Abstimmung auf Antrag eines anderen Richters unterbrochen. Luis Roberto Barroso beantragte die Wiederaufnahme des Verfahrens bei einer Präsenzsitzung, weshalb das Gericht nun einen Termin für die Verhandlung festlegen muss. Äußerungen der zehn anderen Mitglieder des höchsten Gerichts stehen noch aus.

Unter Berufung auf Studien argumentierte Weber, dass das bestehende Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen nicht einer angemessenen Politik für Frauen entspreche. Ziel öffentlicher Gesundheitspolitik müsse die Verhinderung ungewollter Schwangerschaften sein. Die "reproduktive soziale Gerechtigkeit" habe sich im Vergleich zur Kriminalisierung als das wirksamste Konzept zum Schutz des Fötus und des Lebens der Frauen erwiesen.

Als weiteres Argument nennt die Präsidentin des STF das erhöhte Sterblichkeitsrisiko bei Frauen. Geheime und unsichere Abtreibungen würden die unverhältnismäßigen Auswirkungen der Kriminalisierung aufzeigen. Weber bemängelt hierbei, dass dem potenziellen Leben eines Fötus absoluter Vorrang gegenüber dem Grundrecht der Frau eingeräumt werde.

"Die Mutterschaft sollte nicht aus einem gesellschaftlichen Zwang resultieren", sagte Weber. Sie solle "aus der freien Ausübung ihrer Selbstbestimmung bei der Gestaltung ihres Lebensplans" entstehen. Darüber hinaus wies sie darauf hin, dass durch die Verbotspolitik nicht nur Frauen generell, sondern insbesondere nicht-weiße und einkommensschwache Frauen betroffen seien.

Die sozialistische Partei PSOL und das Institut für Bioethik, Menschenrechte und Geschlecht (ANIS) hatten bereits im Jahr 2017 gegen die Nichteinhaltung fundamentaler Grundsätze geklagt. In ihrem Plädoyer hieß es damals, das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs verletze die Menschenwürde der Frau.

Sollte beim STF eine Mehrheit für die Entkriminalisierung von Abtreibungen bis zur zwölften Woche erreicht werden, könnten infolgedessen beteiligte Frauen und Ärzt:innen nicht strafrechtlich verfolgt werden. Ob das öffentliche Gesundheitssystem SUS das Verfahren anbieten müsste, ist jedoch unklar.

Seit 1940 ist in der brasilianischen Verfassung die Abtreibung als illegal verankert. Nur in drei Ausnahmefällen ist ein Schwangerschaftsabbruch möglich. Eine Abtreibung darf nur legal durchgeführt werden, wenn die Schwangerschaft das Ergebnis einer Vergewaltigung ist, das Leben der schwangeren Frau in Gefahr ist oder beim Fötus Anenzephalie diagnostiziert wird.

Eine diesjährige Umfrage von Datafolha zu diesem Thema zeigt die Polarisierung innerhalb der brasilianischen Gesellschaft auf. 45 Prozent der Befragten sprechen sich für das Abtreibungsrecht von Frauen aus, 52 Prozent sind dagegen. Lediglich drei Prozent vertreten keine definierte Position oder sind unentschlossen.

Trotz des illegalen Status des Schwangerschaftsabbruchs werden nach Angaben des ANIS brasilienweit jährlich mindestens eine Million Schwangerschaften abgebrochen. Auch die Nationale Abtreibungsumfrage (PNA) 2021 zeigte auf, dass jede siebte Frau im Alter von fast 40 Jahren in Brasilien mindestens eine Abtreibung hatte. Mehr als die Hälfte (52 Prozent) davon waren bei ihrer ersten Abtreibung 19 Jahre oder jünger.