Buenos Aires. Mehr als eine Million Menschen haben am Dienstag in Buenos Aires und zahlreichen Provinzhauptstädten gegen die drastischen Sparmaßnahmen der ultraliberalen rechten Regierung von Javier Milei an öffentlichen Universitäten und Forschungseinrichtungen protestiert.
Zum "Bundesweiten Marsch der Universitäten" für die Verteidigung des öffentlichen Hochschulwesens hatten fast alle Organisationen des Wissenschaftsbereichs rund um die Verbände der Lehrenden und Studierenden aufgerufen. Darüber hinaus unterstützten politische und zivilgesellschaftliche Akteure des Mitte-Links-Spektrums wie Gewerkschaftsdachverbände, radikale, peronistische und linke Parteien sowie Sozial- und Menschenrechtsorganisationen den Aufruf.
In Buenos Aires kamen laut Organisator:innen rund 800.000 Menschen zusammen, die Regierung sprach von 150.000. Der von Musik und vielen Plakaten begleitete Marsch begann auf der Plaza del Congreso und ging bis zum Präsidentenpalast. Zeitgleich waren auch in den Provinzhauptstädten viele Menschen auf den Straßen, allein in Rosario 90.000, in Córdoba 70.000 und in Mendoza 40.000.
Hintergrund ist, dass seit Mitte 2023 das Budget für die öffentlichen Universitäten eingefroren und angesichts einer Inflation von 300 Prozent auf ein Viertel geschrumpft ist. Auch die Gehälter der Hochschullehrer:innen und die Stipendien sind auf dem Stand von Ende 2023. Im Januar schaffte die Regierung Milei zudem den nationalen Lehrerbildungsfonds ab und schränkte die Überweisungen für Gehaltszahlungen ein.
Zudem machen die durch die Streichung der Energiesubventionen stark gestiegenen Stromrechnungen inzwischen einen unverhältnismäßig hohen Anteil der Universitätsbudgets aus. Während die Universitätsleitungen den Notstand ausriefen, begründete die Regierung das Einfrieren der Mittel mit der Notwendigkeit, deren Verwendung gemäß den gesetzlichen Bestimmungen prüfen zu müssen.
Auf Rektor:innenebene hatte der Nationale Interuniversitäre Rat (CIN) zu dem Marsch aufgerufen. Im CIN sind 73 öffentlich finanzierte nationale und Provinzuniversitäten zusammengeschlossen. Er vertritt 2,2 Millionen Menschen: Zwei Millionen Studierende und 215.000 wissenschaftliche und lehrende Angestellte. Laut CIN-Präsident Víctor Morinigo sollte der Marsch auf die prekäre Lage des nationalen Wissenschaftssystems aufmerksam machen. Ende Mai könnten die ersten Einrichtungen schließen, so der Ex-CIN-Präsident Carlos Greco.
Der CIN forderte Milei zum Dialog und zu realen Mittelzuweisungen auf, um die Erhöhung der Betriebskosten, die Anpassung der Stipendien wie Lehrer- und Verwaltungsgehälter sowie notwendige Baumaßnahmen bezahlen zu können. Unterstützt wurden die öffentlichen Universitäten auch von Vertreter:innen der rund 60 privaten Hochschulen.
Staatspräsident Milei versuchte, die Demonstrationen als "politisch motiviert" abzuwerten. Sein Regierungssprecher sprach von einem von Streikführern geleiteten "Geisterzug" und sah die Beschwerden der Studierenden "von den Schreibtischen aus angetrieben". Die Regierung stehe zum öffentlichen Bildungswesen, aber das Volk habe das Recht zu wissen, "wohin die Staatsausgaben fließen". Langfristiges Ziel sei es, "dass die Universitäten nicht von der staatlichen Finanzierung abhängig sind" und der Markt "den Zugang zu Bildung ermöglicht".
Ricardo Gelpi, Rektor der Universität von Buenos Aires, der größten Universität des Landes, betonte: "Es ist ein Marsch, an dem man traurig und voller Angst teilnimmt". Die von der Regierung angeführte Indoktrinierung nannte er "lächerlich". Mit rund 300.000 Studierenden und vielen Fakultäten und Standorten weise die UBA wie alle öffentlichen Universitäten eine große Pluralität auf.
Angesichts der sich abzeichnenden Massenproteste hatte das Ministerium für Humankapital am Vorabend die Zahlung eines Teils der aufgelaufenen Unterhaltskosten angekündigt. Der mit dem CIN vereinbarte Zahlungsplan werde mit einer Erhöhung um 70 Prozent eingehalten, es würden mehr als 10 Milliarden Pesos (rund 10,6 Millionen Euro) bereit gestellt. Zudem gebe es einen Sonderposten von knapp 12 Milliarden Pesos (rund 12,8 Millionen Euro) für Universitätskliniken.
Die Universitäten bezeichneten dies als irreführend, da das Geld noch nicht da sei und angesichts der Hyperinflation nur 10 Prozent ihrer Budgets ausmache. Auch Gelpi betonte, dass diese und die für Mai angekündigten Mittel nicht ausreichend seien.
Der peronistische Gouverneur der Provinz von Buenos Aires, Axel Kicillof, sprach von einem "außergewöhnlichen" Marsch und forderte die Regierung zum "Nachdenken" auf. "Wir werden die kostenlose Universität verteidigen." Sein Minister für Infrastruktur betonte, dass öffentliche Bildung der Hebel für "Entwicklung, Inklusion und Gleichberechtigung aller Argentinier" sei.
Kicillof hatte zuvor Rektor:innen, Professor:innen und Student:innen der National- und Provinzuniversitäten sowie der Forschungsförderorganisation CONICET empfangen und zugesagt, die Mittel für die Universitäten zu erhöhen. Buenos Aires ist mit knapp 18 Millionen Einwohner:innen die bevölkerungsreichste Provinz Argentiniens und beherbergt auch die meisten öffentlichen Universitäten.
Nach Ansicht von Beobachter:innen zeigen die Proteste die schwindende Unterstützung für Mileis Kurs. Luis Bruschtein von der Tageszeitung Página 12 wies darauf hin, dass dies bereits die dritte Großdemonstration gegen die Regierungspolitik Mileis sei. Der Angriff auf die öffentlichen Universitäten habe die Studierenden aktiviert, die sich nun bewusst seien, dass ihre individuelle Zukunft vom kollektiven Aufbau der öffentlichen Bildung abhänge. "Es gibt keine einzige Aussage dieser Regierung, die das öffentliche Bildungswesen wertschätzt". Sie habe vielmehr den Abriss zum Ziel. "Es ist eine gefährliche Wette der Regierung, die darauf abzielt, das wichtigste Instrument für sozialen Aufstieg zu zerstören."
Auch die regierungsnahe Tageszeitung Clarín spricht von Mileis "Fehler, sich mit dem falschen Feind anzulegen". Die Mehrheit der Argentinier:innen glaubt weiterhin an die Bedeutung der öffentlichen Universität. 87,4 Prozent stimmten dem Satz zu: "Öffentliche Bildung ist jedermanns Recht und wir müssen es verteidigen".
Hochschulbildung sei in Argentinien trotz einiger Probleme ein Symbol für Qualität und sozialen Fortschritt, auch für viele "libertäre" Wähler:innen.