Kolumbien / USA / Politik / Militär

15 Jahre Plan Colombia - eine Bilanz

Für die arme Bevölkerung stellt der Plan Colombia ein tragisches Erlebnis dar. Ihre Rechte wurden verletzt, sie verloren geliebte Menschen, ihr Land und ihr Hab und Gut

plancolombia_foto-reproduccion.jpg

"Plan Colombia - die Gringos stellen die Waffen, Kolumbien die Toten"
"Plan Colombia - die Gringos stellen die Waffen, Kolumbien die Toten"

Der Plan Colombia, eine Strategie zur Drogen- und Aufstandsbekämpfung, wird der Weltöffentlichkeit und dem eigenen Land als militärischer und politischer Erfolg verkauft. Dass dies irreführend ist wird deutlich, sobald wir uns den Schaden und die Tragödien vergegenwärtigen, die der mehr als fünf Jahrzehnte dauernde bewaffnete Konflikt der Bevölkerung zugefügt hat.

Wenn wir Bilanz über den Plan Colombia ziehen ist es in erster Linie notwendig, nicht nur die Interessen derjenigen zu berücksichtigen, die ihn entworfen und eingeführt haben – die machthabenden Eliten in Kolumbien und den USA, die uns heute dessen Erfolge verkaufen wollen – sondern auch die Interessen und Stimmen der Opfer eines langen bewaffneten Konflikts, der hunderttausende Todesopfer, Verschwundene, Verfolgte, Verwundete sowie Millionen Vertriebene hervorgebracht hat.

Zweitens muss bedacht werden, dass der Plan Colombia in seiner ersten Phase als Strategie eingeführt wurde, die den illegalen Drogenhandel bekämpfen und den Anbau von Koka sowie den Vertrieb von Kokain um 50 Prozent in den ersten sechs Jahren (1999 – 2005) um 50 Prozent reduzieren sollte - zusätzlich zur Verbesserung der Sicherheit durch die Rückeroberung von Gebieten, die von illegalen bewaffneten Gruppen besetzt wurden. Ein Bericht des Büros des US-amerikanischen Rechnungshofs GAO, der 2008 dem Präsidenten des außenpolitischen Ausschusses des US-Senats, Joe Biden vorgelegt wurde, räumt ein, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde und dass man dem Plan neue Impulse geben müsse.

Diese Kriegsstrategie wurde während der Präsidentschaft von Andrés Pastrana (1998-2002) und Bill Clinton (1997-2001) konzipiert, um den Bedrohungen, die der Drogenhandel und der Terrorismus für die Demokratie darstellten, ein Ende zu setzen; außerdem sollte nach Angaben des US-Außenministeriums durch ein kombiniertes Konzept aus Sicherheit, Antidrogenkampf und ökonomischer sowie sozialer Entwicklungsinitiativen die staatliche Kontrolle und Legitimität in strategisch wichtigen Gebieten wiedergewonnen werden, die bislang von illegalen bewaffnete Gruppen kontrolliert wurden.

Deshalb ist es wichtig, bei der Bilanz über die Auswirkungen und Ergebnisse des Plan Colombia nicht nur dessen immense Koste von rund zehn Millarden US-Dollar oder die Schwächung der Guerillas, von denen die Strategen des Plans reden, zu berücksichtigen. Es ist vielmehr fundamental, auch die Stimme der Millionen von Opfern anzuhören, die der Krieg generiert und zu denen auch der Plan Colombia entscheidend beigetragen hat.

Die Vorgeschichte des Plan Colombia

Die Hintergründe liegen in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, in der sich das Kräfteverhältnis zwischen den Aufständischen und dem kolumbianischen Staat zu verschieben begann. Die Präsidentschaft von Andrés Pastrana stand unter dem Zeichen der Offensive von Seiten der Farc-Guerilla, die den Präsidenten schließlich dazu veranlasste, die Friedensgespräche von Caguán zu initiieren, um so unter Mithilfe und Beratung der CIA Zeit für den Entwurf des Plan Colombia zu gewinnen.

Jenen Moment der Besorgnis innerhalb der damaligen Machteliten hat die Presse unter anderem folgendermaßen wiedergegeben:

"Die zweite Hälfte der 1990er Jahre war vielleicht die unheilvollste Zeit, die die kolumbianische Armee je erleiden musste. In diese Zeit fallen die Einnahme von Mitú, der Hauptstadt von Vaupés durch die Farc, deren Rückeroberung drei Tage dauerte und bei der 20 Polizisten getötet und 81 entführt wurden; das Massaker von Puerres (Nariño) vom September 1996 mit 31 getöteten Soldaten; die Einnahme von El Billar, Cartagena del Chairá (Caquetá) im März 1998 mit 64 toten, 19 verletzten und 43 entführten Soldaten sowie die des Bergs Patascoy (Nariño) am 21. Dezember 1997, bei dem elf Soldaten starben und 18 entführt wurden."

Angesichts dieser heiklen Situation herrschte innerhalb der Machteliten breiter Konsens über die Notwendigkeit zur Reorganisierung, Stärkung sowie Bitten um Hilfe, Ausbildung und militärische Unterstützung durch die USA, um den Vormarsch der Guerilla einzudämmen und den Sieg über sie einzuleiten.

Für Pastrana und seine Berater aus dem Pentagon waren die vorrangigen Ziele der Friedensgespräche, den Vormarsch der Guerilla zu stoppen, die Kontrolle über weite Gebiete durch Kräfteverschiebung zurückzugewinnen und die Demoralisierung der kolumbianischen Truppen zu überwinden. Man setzte nun auf die Bekämpfung der Aufständischen und die Gewinnung von Zeit, während das Militär mit mehr und besseren Truppen aufgerüstet wurde. Die Streitkräfte wurden der öffentlichen Meinung und dem Land im Vorhinein als verjüngt präsentiert, was vor allem durch eine von den großen Kommunikationsmedien lancierte und von Geheimdiensten instruierte Öffentlichkeitskampagne beeinflusst wurde, die die Armee als wahre Helden des Vaterlandes und Sicherheitsgaranten aller Kolumbianer darstellten. Gleichzeitig nutzte man diese Kampagne dazu, um eine öffentliche Verleumdungsoffensive und einen schmutzigen Krieg gegen die Aufständischen in die Wege zu leiten, die im öffentlichen Gedächtnis die Idee festsetzen sollte, jene historischen Guerilleros wären jetzt nur noch simple Narcoterroristen, die ihr politisches Ziel und ihren ursprünglichen Daseinszweck als Zusammenschluss bewaffneter Rebellen gegen einen unterdrückerischen Staat aus den Augen verloren hätten.

Ex-Präsident Pastrana selbst hatte bei unzähligen Gelegenheiten zugegeben, dass die Dialoge nicht auf einen Frieden mit der Guerilla, sondern auf die Stärkung und den nachhaltigen Fortschritt innerhalb der kolumbianischen Truppen und so auf die Wiedergewinnung der verlorenen Gebiete abzielen würden.

Für die Guerilla sind die Dialoge an dem Mangel an Entschlossenheit und Willen gescheitert, die der Staat und seine militärischen Truppen hinsichtlich der Eindämmung des sich im ganzen Land ausbreitenden Paramilitarismus an den Tag legten. Hier muss man sich allerdings fragen, ob es in diesem Augenblick überhaupt im Interesse des Staates war, sich von einem strategischen Verbündeten wie dem Paramilitarismus loszulösen, dessen Mission die Verbreitung von beispiellosem Terror an der Basis und bei den Unterstützern der Guerilla (Zivilbevölkerung) war - vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die Unterstützung und Beratung paramilitärischer Gruppen durch die staatlichen kolumbianischen Truppen deren schmutzigen Krieg und die Terrorisierung der Bevölkerung ermöglichte, die, wie sich in den darauffolgenden Jahren zeigte, Tod und Verwüstung in Stadt und Land säten.

Angesichts der Erkenntnisse, dass der historische Feind sich mittels einer ganzheitlichen Aufstandsstrategie militärisch auf eine Konfrontation vorzubereiten schien war es naiv zu denken, die Friedensgespräche würden sich aufrechterhalten lassen.

Die CIA, das Pentagon und das US-Außenministerium im Entwurf des Plan Colombia

In einem umfangreichen Artikel, den die Washington Post im Dezember 2013 veröffentlichte, wird die Rolle der CIA, des Pentagons und des US-Außenministeriums sowie der Geheimdienste ausführlich erläutert. Der Artikel bestätigt, basierend auf Interviews mit hohen US-amerikanischen und kolumbianischen Funktionären, dass die CIA die kolumbianische Armee im Zuge einer verdeckten Operation bei der Ermordung von 20 Guerillakommandanten unterstützt hat. Diese wurde aus den Quellen eines milliardenschweren Budgets für Geheimoperationen finanziert, das nicht im neun Millionen Dollar schweren Paket an militärischer Hilfe beinhaltet ist, das die USA für den sogenannten Plan Colombia zur Verfügung stellt.

Die verdeckte Operation sah die Bereitstellung zweier essentieller Dienste vor: Iaufklärung und Information in Echtzeit, die die Lokalisierung von Anführern der Farc und der ELN ermöglichen sollte, sowie ab 2006 ein besonders wirksames Werkzeug zur Tötung ebendieser Personen. Eine konventionelle 500-Pfund-Bombe, die, ausgerüstet mit einem GPS-System im Wert von 30.000 US-Dollar, in eine intelligente und hochpräzise Bombe verwandelt wurde. Die intelligenten Bomben (auch Präzisions-geführte Munition oder kurz PGM genannt) sind in der Lage, eine Person mitten im dichten Dschungel zu töten, sofern ihr exakter Aufenthaltsort ermittelt und die Koordinaten in das kleine Gehirn des Bombencomputers programmiert werden können.

Der Artikel bestätigt, wie auf diese Weise hohe Kommandanten der Guerilla getötet wurden, wie etwa Raúl Reyes (2008 in Ecuador), was zwischen der Regierung Álvaro Uribe und Rafael Correa einen diplomatischen Konflikt entfesselte, sowie außerdem El Negro Acacio, Martín Caballero und dutzende weitere Guerillaführer und Kämpfer.

Um einem Missbrauch der Bomben durch das kolumbianische Militär vorzubeugen "traten die Agenten des Geheimdienstes mit einer ganz neuen Strategie auf. Die CIA nämlich würde die Kontrolle über den verschlüsselten Code in der Bombe behalten, welcher die Kommunikation mit den GPS-Satelliten dechiffrieren konnte, die auf diese Weise von den Computern der Bombe gelesen werden könne. Die Bombe konnte daher ohne den Schlüssel ihr Ziel nicht erreichen. Die Kolumbianer müssten so für einige Ziele um Zustimmung der USA bitten, und wenn die die Bomben missbrauchten, könnte die CIA ihnen für die Zukunft den GPS-Empfang verweigern."

Der Artikel der Washington Post erhält jedoch weder Information über die Auswirkung dieses gescheiterten und inzwischen über 40 Jahre andauernden Anti-Drogenkriegs, der in den 1970er Jahren von der Nixon-Regierung gegen die Land- und Zivilbevölkerung initiiert worden war, noch erwähnt er die wahllosen Bombardements und Ausräucherungen des Anbaus landwirtschaftlicher Subsistenzproduktionen. Diese Taktik wird nach wie vor vom Militär benutzt und verursacht große Angst in den Teilen der Bevölkerung, die außerhalb des Anbaus von Koka und dem Leben in diesen militärischen Konfliktgebieten keine sichere Alternative zum Überleben haben. Durch die militärische Hilfe, Beratung und Training im Zuge des Plan Colombia wurden diese Angriffe noch verstärkt.

Die Beteiligung und die offene Einflussnahme der US-Regierung in dem langen bewaffneten Konflikt wird von niemandem bezweifelt. Diese profitiert davon in vielfacher Hinsicht: die Verteidigung eines Verbündeten wie Kolumbien ermöglicht ihnen die Weiterführung des Freihandelsabkommens, die Förderung von Öl, Kohle, Gold - strategischen Mineralien - sowie den Erwerb von Rohstoffen zu niedrigen Preisen. Außerdem sichern sie sich so Investitionen ausländischen Kapitals sowie die Möglichkeit, die sieben Militärbasen zu erhalten, die ganz offen gegen die kolumbianische Souveränität verstoßen und zu denen die kolumbianischen Bürger nicht befragt wurden. Ferner können sie ihre Bemühungen um eine Stabilisierung und Beendigung des Guerillakriegs - den zu zerschlagen sie nicht in der Lage waren und bei dem sie nun das Kräfteverhältnis verschoben haben - und um eine Einigung mit ihren kolumbianischen Verbündeten zur Initiierung von Friedensgesprächen, die dem bewaffneten Konflikt ein Ende setzen sollen, fortführen.

In einem Land, das den Übergang vom Krieg zu Frieden, Wiederversöhnung und der Normalisierung des demokratischen Lebens noch nicht geschafft hat, gibt es nicht viel zu feiern – am wenigsten, solange seine Gesellschaft eine der ungleichsten der Welt ist und die Kluft zwischen arm und reich immer größer wird, anstatt sich zu verringern.

Im Gegensatz zur Washington Post nennt der Bericht "Es Reicht! Kolumbien: Erinnerung an Krieg und Würde" des Nationalen Zentrums der Historischen Erinnerung (CMH) Zahlen. Dort wird angegeben, dass zwischen 1958 und 2012 220.000 Personen infolge des bewaffneten Konflikts starben; 180.000 davon waren zivile Opfer; 25.000 sind verschwunden; 27.000 verführt; fast sechs Millionen aus ihrer Heimat vertrieben und enteignet; und mehr als 5.000 ermordet, die von der kolumbianischen Armee als im Kampf gefallene Guerilleros verkauft wurden und unter dem Namen "falsos positivos" bekannt wurden.

Wenn man sich die politischen, ökonomischen und militärischen Interessen derjenigen, die den Plan entworfen haben, sowie die der USA und der kolumbianischen Elite vergegenwärtigt, zeigt sich trotz der erhöhten Dauer und Kosten sowie einer geschwächten Armee ein aus deren Augen recht positives Resultat.

Wirft man jedoch einen Blick auf die Interessen der betroffenen Bevölkerung, besonders der armen Bauern, der Afro- und Indigenengemeinden und der verarmten und vertriebenen städtischen Sektoren, stellt der Plan Colombia nur noch ein tragisches und und fürchterliches Erlebnis dar. Ihre Recht wurden verletzt, sie verloren geliebte Menschen, ihr Land und ihr Hab und Gut - ganz abgesehen von dem erlebten Leid und dem Schrecken des Krieges.

Um eine aufrichtige Versöhnung innerhalb der gesamten kolumbianischen Familie erreichen zu können – was heute nicht mehr abwegig ist – ist es unabdingbar, dass all diejenigen, die den Krieg verursacht, unterstützt oder beratend daran mitgewirkt haben, ihre Verantwortung übernehmen und die Wahrheit über die zahlreichen und systematischen Menschenrechtsverletzungen berichten und so die Ehre und Würde der Millionen Opfer von Kleinbauern, Afrokolumbianern, Indigenen, Arbeitern, Studenten, Professoren, Intellektuellen, Gewerkschaftern und Menschenrechtlern wiederherzustellen und deren materielle Verluste zu entschädigen, ihr Land zurückzugeben. Nicht zuletzt sollten sie sich selbst dazu verpflichten, niemals wieder eine solche lange Nacht des Schreckens zuzulassen.

Die Autoren und Strategen des Plan Colombia können den fünf Jahrzehnten Krieg daher nicht mit einer weißen Weste entkommen, denn an ihnen klebt das Blut tausender unschuldiger kolumbianischer Bürger.

Ein Friedensabkommen kann, wenn es stabil und dauerhaft sein soll, nur über eine ernsthafte Selbstverpflichtung zu Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung sowie zur Garantie darüber, eine Wiederholung auszuschließen, führen.

Grund zum Feiern haben wir erst, wenn das Ende des Krieges eine unbestreitbare Tatsache ist, und wenn damit die lange Nacht des Schreckens endet. Die Aussöhnung markiert hoffentlich den Beginn eines Weges, der zu einem stabilen und dauerhaften Frieden und zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit führt.

Oto Higuita aus Kolumbien ist Historiker und Essayist sowie Sprecher der linken Basisorganisation Marcha Patriótica. Er lebt in Schweden