Umweltverbrechen in Brasilien: "Der Vale-Konzern muss gestoppt werden"

Für 25 Stauanlagen des Vale-Konzerns in Minas Gerais konnte bereits 2015 die Stabilität nicht mehr garantiert werden. Und die Dämme, die jetzt in Brumadinho gebrochen sind, zählten noch nicht einmal dazu

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Am 25. Januar brach in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Córrego do Feijão
Am 25. Januar brach in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Córrego do Feijão

Im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist am 25. Januar in der Nähe der Kleinstadt Brumadinho ein Damm eines Rückhaltebeckens für die Erzschlammreste der Mine Córrego do Feijão gebrochen. Erste Schätzungen gehen von mehreren Millionen Kubikmeter Erzschlamm aus, der den Damm des ersten Rückhaltebeckens durchbrach und einen zweiten Damm des nächstgelegenen Rückhaltebeckens überflutete. Laut offiziellen Angaben sind 110 Menschen umgekommen, 238 werden noch vermisst. Die Mine und das Rückhaltebecken gehören seit 2003 dem brasilianischen Bergbaukonzern Vale S.A., der – zusammen mit der anglo-australischen BHP Billiton – auch Anteilseigner der Firma Samarco Mineração S.A. ist, deren Rückhaltebecken bei Bento Rodrigues, in der Nähe der Stadt Mariana, am 5. November 2015 brach und bis dato als das größte Bergwerksunglück aller Zeiten gilt


Brumadinho lässt keinen Zweifel mehr: Dem Vale-Konzern muss Einhalt geboten werden. All seine Aktivitäten gestoppt, seine Vorgehensweisen überprüft, seine Kontrollsysteme analysiert, seine Dämme inspiziert. Entweder so, oder es muss als erwiesen gelten, dass der Einfluss des Unternehmens durch seine Gewinne unendlich viel größer ist als der Wert von Menschenleben, der Umwelt, der staatlichen Maßnahmen, die ohnehin überarbeitet werden müssten. Die Erinnerung an Mariana, sie hämmert Tag für Tag in unseren Köpfen. Und die Missstände, die wir wieder und wieder angeprangert haben – ohne irgendeine konkrete Reaktion der Seite, die handeln müsste.

In Brumadinho gab es – wie schon in Mariana – abermals keinen warnenden Sirenenton. Im Gegensatz zu Mariana, wo eine schlichte Alarmsirene für die Bevölkerung nicht einmal existierte, gab es in Brumadinho eine – nur funktionierte sie nicht. Das ist keine Unbedachtsamkeit mehr, das ist fahrlässige Tötung. Wir sprechen hier vom zweitgrößten Bergbauunternehmen der Welt. Und von dem müsste man doch verlangen können, ein Alarmsystem einzurichten und instand zu halten, das gegebenenfalls hilft Menschenleben zu retten. Ebenso möchte man annehmen, dass es der Vale-Konzern schafft, seine Bauten und Anlagen zu überwachen und die Sicherheitsstandards zu wahren. Wer’s glaubt! Mariana und Brumadinho sind schlagende Beweise für das Gegenteil.

Da nur zu sagen, „es hätte Hinweise gegeben“, hieße, die hoch bezahlten Führungskräfte des Unternehmens mit Samthandschuhen anzufassen, die dann weiter ihre volltönenden Reden schwingen könnten, gegen alle Tatsachen. Das größte Umweltverbrechen in der Geschichte des Landes bzw. das größte Stauanlagen-Verbrechen in der Menschheitsgeschichte – das ist Mariana nämlich – scheint noch nicht genug zu sein. Drei Jahre lang kann der Vale-Konzern schon auf die Milde der Justiz zählen, die Betroffenen ignorieren und – als würde das nicht reichen – auch noch versuchen, die Bürgermeister der betroffenen Städte zu bestechen, um möglichen gerichtlichen Auflagen in Brasilien und dem Großbritannien zu entgehen, während ihr nächster Damm bricht.

So agiert der Vale-Konzern. So ist er eben. Und auf diese Art und Weise handelt eben das Großkapital. Fabio Schvartsman, gegenwärtiger Vale-Präsident, tönte noch, das Motto des Unternehmens wäre der Slogan „Mariana nunca mais“ („Nie wieder ein Mariana“). Doch zwischen den wohlklingenden Phrasen für Investoren und der Handlungsweise steht die Realität. Im April behauptete er noch, dass der Zustand der Stauanlagen „mustergültig“ sei, dass er „eine Überprüfung des Zustandes der Anlagen“ erbeten hätte und dass „das Ergebnis ziemlich positiv“ gewesen sei. Die Stauanlagen wären in einem „beeindruckend gutem Zustand“, so Schvartsman. Das klingt wie Hohn, und das ist es auch. Schätzungen gehen von mehr als 400 Todesopfern an diesem Unternehmensstandort aus – und das, obwohl zahlreiche Analysen vorliegen, die auf das drohende Dammbruchrisiko hingewiesen hatten.

Wie auch schon in Mariana sagt die Unternehmensführung, dass sie „nicht weiß, was geschehen ist“. Aber drei Jahre sind mehr als genug, um uns genau zu zeigen, was passiert ist: Kein Staudamm der Welt birst einfach so, ohne eine Aufeinanderfolge von Nachlässigkeiten und Übertretungen im Namen des Profits – von Anbeginn an. Die Dämme, die in Brumadinho brachen, gehören dazu. Minas Gerais ist ein durch Bergbau gebeutelter Bundesstaat. Um wie viel mehr erst durch den „Bergbau über alles“, dessen höchster und einziger Zweck ist, Profit für die Unternehmen abzuwerfen. Ist Ihnen bekannt, wer 2017 die bestbezahlte Führungskraft in Brasilien war? Murilo Ferreira, der Vale-Präsident zur Zeit des Dammbruchs in Mariana. 2017 strich Ferreira 58 Millionen Reais [ca. 13,5 Millionen Euro] ein, [die sich aus seinem Gehalt, Prämien und einer Abfindungssumme nach fünf Monaten Dienst zusammensetzen]. Also eine Sonderprämie für’s Verbrechen. Solch eine Millionenprämie, wie sie ununterbrochen in die Taschen der Führungskräfte des Vale-Konzerns fließt, ungeachtet der Anzahl der Toten und der gebrochenen Dämme.

Ich wiederhole: Dem Vale-Konzern muss das Handwerk gelegt werden. Sein Portfolio an Verletzungen der Umweltgesetzgebung ist bereits zu groß, um noch ignoriert zu werden. Verbrechen, Fahrlässigkeit und Straflosigkeit dauern bereits Jahrzehnte an.

Der Druck, die Vergabe von auflagenfreien Umweltlizenzen noch einfacher zu machen, findet seine Krönung im Prinzip der „Selbstdeklaration“, für die der neue Umweltminister Ricardo Salles sich einsetzt. Für den Minister – dem zwischenzeitlich seine Amtsbefugnisse entzogen worden waren, weil er angeklagt war, während seiner Zeit als Staatssekretär in São Paulo ein Bergbauunternehmen begünstigt zu haben – ist es ausreichend, dass der Unternehmer – dieser selbstlose Mensch – erklärt, dass er gesetzesgemäß handelt. Dann „kontrolliert“ ihn ja der Staat. Wie streng, haben wir gerade erlebt.

2015, kurz nach dem Dammbruch in Mariana, informierte meine Webseite darüber, dass in Minas Gerais 228 Stauanlagen hochrisikoreich sind, 42 nicht über Stabilitätsgarantien verfügen und von diesen 25 dem Vale-Konzern gehören. Noch einmal in aller Deutlichkeit: Für 25 Stauanlagen des Vale-Konzerns in Minas Gerais konnte bereits 2015 die Stabilität nicht mehr garantiert werden! Und die Dämme, die jetzt in Brumadinho gebrochen sind, zählten noch nicht einmal dazu. Man kann sich also den Gesamtzustand der Anlagen lebhaft vorstellen. Den Vale-Konzern verbieten, wäre die Konsequenz.

2017, nach Analyse des Berichts der Nationalen Wasseragentur, zeigte ich auf, dass 85 Prozent der Stauanlagen in Brasilien keiner ordnungsgemäßen Prüfung unterzogen werden und noch nicht einmal über einen gesetzlichen Vertreter verfügen. 85 Prozent. Bis heute hat sich die Lage noch weiter verschlechtert. 2016 legte ich dar, wie der Nationale Bergbauplan 2030 zu diesem Gesamtbild beiträgt – nicht gerade wenig.

Ebenfalls im Jahr 2015 zeigte ich auf, dass es die Bergbauunternehmen selbst sind, die die Politiker in Senat, Kongress und Volksvertretung von Minas Gerais finanzieren, die für die Regulierung des Bergbausektors verantwortlich zeichnen. Dass Leonardo Quintão von der PMDB im Bundesstaat Minas Gerais, Sprecher der Kommission, die das neue Bergbaugesetz [von 2017] verhandelt hat, im Jahr 2010 von den Bergbauunternehmen 400.000 Reais [ca. 93.300 Euro] erhalten hat und 2014 mehr als zwei Millionen [mehr als 467.000 Euro]. Und dass neun Abgeordneten aus Minas Gerais, die der Kommission angehörten, die mit der Untersuchung des Verbrechens von Samarco/Vale/BHP in Mariana betraut war, von den Bergbauunternehmen fast 600.000 Reais [ca. 140.000 Euro] zugeflossen sind.

Es ist kein Zufall, dass 2018 ein Gutachten, in dem strengere Auflagen für Stauanlagen formuliert waren, von der Kommission der Volksvertretung von Minas Gerais abgelehnt wurde. Romeu Zema, [seit dem 01. Januar 2019] Gouverneur von Minas Gerais, von der [rechten] Novo-Partei, hatte erst neulich ein Treffen mit Vertretern des Vale-Konzerns, auf dem er versprach, die Wiederaufnahme des Betriebes von Samarco zu beschleunigen. Ebenso sagte Zema zu, die Lizenzvergabe für Bergbaubetriebe zu erleichtern.

Das größte Umweltverbrechen, das Brasilien bisher erlebt hat, war offensichtlich nicht genug. Brumadinho aber macht klar, dass wir Verschleppungen, öffentliche Ansprachen, Palliativlösungen und einen mit jedem Tag kleiner werdendem Mediendruck nicht mehr dulden dürfen. Diesen Film kennen wir schon. Dieses Drehbuch leben wir tagtäglich. Der Vale-Konzern muss stillgelegt werden. Und nicht nur er. Wenn nicht, werden wir weiter irreparable Umweltzerstörung auf irreparable Umweltzerstörung häufen und Hunderte von toten Arbeitern in Kauf nehmen. Wir haben keine Wahl.

Zum Originaltext hinzugefügte Ergänzungen der Übersetzerin sind durch eckige Klammern kenntlich gemacht. Der Vorspann stammt von der Amerika21-Redaktion