Eine Ritterkolonie in der Karibik

Der katholische Malteserorden besaß Mitte des 17. Jahrhunderts kurzzeitig eine eigene Kolonie in der Karibik – ein weitestgehend vergessene Episode europäischer Kolonialgeschichte

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Ritterrüstung des Malteserordens
Ritterrüstung des Malteserordens

Viele Menschen in Mitteleuropa kennen den Malteserorden hauptsächlich von Pflegediensten und Krankenwagen im eigenen Land. Der sogenannte "Souveräne Ritter- und Hospitalorden vom Heiligen Johannes von Jerusalem, von Rhodos und von Malta" ist jedoch ein ganz spezielles Völkerrechtssubjekt und hat seine Ursprünge in der Zeit der Kreuzzüge.

Kreuzritter in Jerusalem gründeten damals den Orden im Jahr 1048. Im Lauf der Jahrhunderte verlegte er seinen Sitz zunächst nach Zypern und im Jahr 1530 dann nach Malta. Zu jener Zeit besaß der Malteserorden außerdem noch das Fürstentum Heitersheim in Baden. Über dieses gehörte der Orden bis zum Jahr 1806 indirekt auch zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Vom 16. bis 18. Jahrhundert diente die von den Malteserrittern kontrollierte Mittelmeerinsel als Ausgangspunkt für Überfälle auf Schiffe, die von den damals osmanischen Häfen Tunis und Tripoli losfuhren. Maltesische Kriegsschiffe überfielen diese Schiffe und versklavten die muslimischen Männer und Frauen an Bord. Von Sklavenmärkten auf der Nordseite des Mittelmeers gingen die Sklaven dann an die verschiedenen europäischen Staaten1. In der frühen Neuzeit hatte der Orden dementsprechend eine Art selbstgewählte Frontstellung im Mittelmeer.

Im Verlauf der äußerst wechselvollen Geschichte des Ordens besaß dieser kurzzeitig auch eigene Kolonien in den Antillen. Mitte des 17. Jahrhunderts kontrollierte der Orden neben Heitersheim lediglich die Inseln Malta und Gozo. Im so genannten Kandischen Krieg, im Zuge dessen das Osmanische Reich Kreta eroberte, spielten die Malteser eine wichtige Rolle bei der Eskalation der Auseinandersetzung. Als Hauptstadt des Malteserorden-Vasallenstaats des Königreiches Siziliens diente damals die Stadt Valetta, die Ordensmitglieder gegründet hatten und die bis heute Hauptstadt Maltas ist. Es kam damals jedoch noch eine Reihe von Karibikinseln hinzu.

Ordensmitglieder gab es damals in allen katholischen Staaten Europas, wie beispielsweise den "Abenteurer" Phillippe de Longvilliers de Poincy im französischen Königreich – damals noch nicht laizistisch. 1638 ernannte der König dieses Landes, Ludwig XIII., de Poincy zum Kolonialgouverneur für die französischen Antilleninseln.2 De Poincy hatte aufgrund einer ungenügenden Kapitaldeckung der Kolonialgesellschaft, der wirtschaftlichen Verhältnisse Frankreichs, dem Brachliegen des Handels aufgrund des von 1635 bis 1659 andauernden Französisch-Spanischen Krieges sowie der Umstellung des Anbaus von Tabak auf Zuckerrohr mit großen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen. Die französischen Antillen schrieben unter de Poincys Ägide immer mehr rote Zahlen.3 Ein Grund dafür könnte aber auch gewesen sein, dass de Poincy das damals größte Schloss in den gesamten französischen Antillen bauen ließ.4

Nicht nur mit Spanien befand sich damals Frankreich im Konflikt, sondern auch teilweise mit England und den Niederlanden. So ging der englische Gouverneur von Antigua Henry Ashton (im Amt von 1640 bis 1652) davon aus, dass de Poincy die damaligen Streitigkeiten zwischen verschiedenen Kolonialgouverneuren des Königreiches England in den Antillen nutzen könnte, um die englischen Antilleninseln unter französische Kontrolle zu bekommen.5 Dazu kam es jedoch nicht, da die Franzosen auf ihren Antillenbesitzungen genug eigene Probleme hatten.

Doch nicht Engländer, Franzosen oder Niederländer dominierten damals Mittel- und Südamerika, sondern die Spanier. Im Jahr 1648 zogen die Spanier von der Antilleninsel St. Martin ab. Franzosen und Niederländer segelten daraufhin zu der Insel und begannen mit der Kolonisierung durch europäische Siedler. Aufgrund der Anwesenheit von Siedlern beider Mächte einigten sich Vertreter beider Seiten auf dem Berg Concordia auf einen Vertrag, der die Insel aufteilte. Der Norden ging an Frankreich und der Süden an die Niederlande. Die damals festgeschriebene Aufteilung gilt bis in die Gegenwart – heute ist Saint-Martin ein französisches Überseegebiet und Sint Maarten ein autonomes Land innerhalb des Königreiches der Niederlande.

Vor diesem komplizierten Geflecht internationaler Beziehungen in der Karibik wandte sich de Poincy im Jahr 1649 an den Großmeister des Ordens, also das Oberhaupt der Malteser, sowie den Vertreter des Ritterordens in Frankreich. Man solle ihm zwei Ritter zur Unterstützung schicken, da er nach seinem Tod sein Vermögen dem Malteserorden überlassen wollte. Von seinen persönlichen Schulden wiederum schrieb er nichts – laut Gerüchten in Europa galt er als vermögend.6 Die Leitung des Ordens in Valetta begann daraufhin mit einem ausführlichen Schriftverkehr mit der französischen Regierung. Aufgrund der Schulden der Amerikainselkompagnie zeigte sich Paris offen dafür, die Kolonien Saint Barthélemy, Saint Croix, Saint Christopher und die Nordhälfte von St. Martin zu verkaufen, um dem Verlustgeschäft ein Ende zu bereiten.

Die Regierung des Malteserordens ging auf das Angebot ein und kaufte 1651 die Kolonien mit all ihren Aktiva und Passiva. Auf das Angebot des Malteserordens, auch die französischen Kolonien Guadeloupe und Martinique zu kaufen, ging die Pariser Regierung nicht ein. Indirekt blieben die erworbenen Kolonien französisch, da Ludwig XIV. auf einem Tribut beharrte, dem die Regierung in Valetta zustimmte.7 Der Ernennung von neuen Gouverneuren musste die französische Krone auch zustimmen.8

Durch den Erwerb der Karibikkolonien konnte sich das Inselterritorium, welches der Orden kontrollierte, mehr als verdoppeln. Auch wenn de Poincy ursprünglich zwei Malteser anforderte, reiste zunächst nur ein Angehöriger des Ritterordens in die Karibik: Charles de Montmagny, der 1636 bis 1648 als Gouverneur von Neufrankreich gedient hatte. Neufrankreich hießen damals die französischen Territorien Nordamerikas von Louisiana bis nach Quebec. Doch de Poincy ignorierte den Gesandten aus Frankreich.9 De Montmagny musste auf einer Plantage vor der Hauptstadt Saint Christophers warten.10 Zugute kam dem Gouverneur de Poincy bei seiner Verzögerungstaktik gegenüber de Montmagny, dass letzterer aus Frankreich entsandte Malteserritter Probleme mit dem tropischen Wetter hatte.11 De Montmagny starb dann 1657 ohne de Poincy erfolgreich überprüfen zu können.12

Im selben Jahr sandte der Malteserorden ein Kriegsschiff zu den neuen Besitzungen in den Antillen. Mit an Bord hatten die Malteserritter Briefe an den spanischen Gouverneur von Santo Domingo, der heutigen Dominikanischen Republik. Frankreich und Spanien befanden sich weiterhin in einem Kriegszustand, der erst mit dem sogenannten Pyrenäenfrieden im Jahr 1659 beendet werden sollte. Malta wiederum hatte zwei Loyalitäten: ied Insel im Mittelmeer als Tributstaat zu Sizilien und die Antillenkolonie zu Frankreich. Hinzu kam, dass der im nordspanischen Pamplona geborene Martin de Redin, 1657 zum Großmeister des Ordens aufgestiegen, als spanischer Vizekönig von Sizilien direkt in spanischen Diensten gestanden hatte. Während sich der Militärorden in Europa in den verschiedenen Konflikten christlich-europäischer Mächte neutral verhielt, sollten deren Auseinandersetzungen nicht das Kolonialabenteuer des Malteserordens auf den Antillen gefährden. 1660 starb Phillippe de Longvilliers de Poincy im hohen Alter von 77 Jahren und wurde in Basseterre auf St. Kitts begraben. Nach ihm übernahm der Malteserritter Charles de Sales die Kolonie. Dieser begann, die Schulden der Kolonie nach und nach abzutragen. Die Malteserbesitzung profitierte vom Handel mit Zucker und Tabak innerhalb der Region.

Ein Jahrfünft später hatte es die Regierung von de Sales geschafft, die Finanzen der Kolonie zu sanieren. Er plante sogar zum ersten Mal den Zuckerexport nach Europa.13 Dazu sollte es jedoch nicht kommen: 1665 verlangte der Französische König vom Malteserorden, dass dieser die Kolonien wieder an Frankreich verkaufte. In Valetta zeigte man sich nicht begeistert, da die Kolonie gerade erst anfing, schwarze Zahlen zu schreiben. Außerdem offerierte der französische König nur etwa ein Drittel der Summe, die Handelsleute aus Frankreich im selben Jahr auch den Maltesern angeboten hatten.14 Den Vertretern des Ritterordens gelang es, den Preis noch leicht höher anzusetzen. Doch aufgrund anderer Rechtsstreitigkeiten erhielten die Malteser am Ende nicht einmal die verhandelte Summe.15 Damit endete diese kurze Episode der Kolonialgeschichte des Malteserordens auch wieder.

Nach der Vertreibung von Malta durch napoleonische Truppen ließ er sich der katholische Orden 1834 in Rom nieder, wo er bis heute residiert. Seit 1869 hat der Ordenssitz exterritorialen Status – analog zum Sitz des Vatikans. Seit den Lateranverträgen des Jahres 1929 ist der Malteserorden ein eigenes Völkerrechtssubjekt, welches eigene diplomatische Beziehungen mit anderen Staaten unterhält. Damals wurde der Orden von einem Italiener geführt16 und könnte als italienischer Alliierter beim Anspruch auf das vom protestantischen Großbritannien kolonisierte katholische Malta gedient haben.

Bis auf den Ordenssitz in Rom, den Magistralpalast des Malteserordens, hat der Orden bis heute aber kein eigenes Staatsgebiet, ist jedoch einer der größten Großgrundbesitzer in Italien.17 Der Großmeister des Ordens sieht sich heutzutage als letzter Reichsfürst des "Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation" an.18 Ende der 1940er bis Mitte der 1960er Jahren erkannten viele katholische Staaten Lateinamerikas – von Haiti im Jahr 1947 bis Uruguay 1965 – den Malteserorden diplomatisch an.

Unter dem linken Präsidenten Rafael Correa brach Ecuador im Jahr 2012 die Beziehungen zu dem Orden ab, doch dessen Nachfolger Lenín Moreno stellte sie sieben Jahre später wieder her. In der Karibik wiederum pflegen viele Staaten keine diplomatischen Beziehungen mit dem Orden. Zuletzt erkannte dort Grenada im Jahr 2015 den Malteserorden diplomatisch an. Auch Mexiko, Kanada und die USA haben bis heute keine diplomatischen Beziehungen zu dem Orden.

  • 1. Stefan Goodwin: Malta, Mediterranean bridge, Westport 2002, S. 39. Hier abrufbar.
  • 2. Walter G. Rödel: Der Malteserorden in der Karibik (1651–1665): Eine Episode der europäischen Kolonialgeschichte, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Jg. 72 (1985), Nr. 2, S. 193–207 (hier: S. 194).
  • 3. Ebenda, S. 195.
  • 4. Gauvin A. Bailey: Architecture and Urbanism in the French Atlantic Empire – State, Church, and Society, 1604–1830, Montreal u.a. 2018, S. 29. Hier abrufbar.
  • 5. Carla Gardina Pestana: A West Indian Colonial Governor's Advice: Henry Ashton's 1646 Letter to the Earl of Carlisle, in: The William and Mary Quarterly, Jg. 60 (2003), Nr. 2, S. 382–421 (hier: S. 388). Hier abrufbar.
  • 6. Rödel: Der Malteserorden in der Karibik (1651–1665), S. 195.
  • 7. Ebenda.
  • 8. Hans Schmidt: Die Kolonialbestrebung des Malteserordens im 17. Jahrhundert, in: Römische Quartalsschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Jg. 58 (1963), S. 183–195 (hier: 187).
  • 9. Dylan Craig: Sovereignty, War, and the Global State, Cham 2019, S. 93. Hier abrufbar.
  • 10. Jean-Claude Dubé: The Chevalier de Montmagny: First Governor of New France, Ottawa 2005, S. 279. Hier abrufbar.
  • 11. Schmidt: Die Kolonialbestrebung des Malteserordens im 17. Jahrhundert, S. 187.
  • 12. Craig: Sovereignty, War, and the Global State, S. 93.
  • 13. Schmidt: Die Kolonialbestrebung des Malteserordens im 17. Jahrhundert, S. 187.
  • 14. Ebenda, S. 188.
  • 15. Ebenda, S. 189.
  • 16. P. Christiaan Klieger: The Microstates of Europe: Designer Nations in a Post-Modern World, Lanham 2012, S. 85. Hier abrufbar.
  • 17. Veronika Bílková: A State Without Territory?, in: Martin Kuijer/Wouter Wern (Hgg.): Netherlands Yearbook of International Law 2016: The Changing Nature of Territoriality in International Law, Den Haag 2017, S. 19–47 (hier: S. 32). Hier abrufbar.
  • 18. Reiche Ritter, in: DER SPIEGEL 23/1957. Hier abrufbar.