Was Big Oil über den Klimawandel wusste

Eigene Aussagen machen deutlich, dass die Konzerne der Branche lange vor dem Rest der Welt die Risiken kannten

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Exxons sinkende Ölplattform "Thunder Horse" (Juli 2005)
Exxons sinkende Ölplattform "Thunder Horse" (Juli 2005)

Vor vier Jahren bin ich durch die USA gereist und habe historische Archive besucht. Ich war auf der Suche nach Dokumenten, die die verborgene Geschichte des Klimawandels aufdecken könnten – und vor allem, wann die großen Kohle-, Öl- und Gasunternehmen (Big Oil"1) auf das Problem aufmerksam wurden und was sie darüber wussten.

Ich habe kistenweise Papiere durchforstet, tausende von Seiten gelesen. Was diese Papiere aufdecken, verändert jetzt unser Verständnis davon, wie der Klimawandel zu einer Krise wurde. Die eigenen Aussagen der Branche machen deutlich, dass die Unternehmen lange vor dem Rest der Welt von dem Risiko wussten. Das haben meine Recherchen ergeben.

Am 28. Oktober 2021 befragte ein Unterausschuss des US-Kongresses Manager der Unternehmen Exxon, BP, Chevron, Shell und des Interessenverbandes American Petroleum Institute2 zu Bemühungen der Industrie, die Rolle von fossilen Brennstoffen beim Klimawandel herunterzuspielen. Darren Wood, Vorstandsmitglied von Exxon, sagte vor den Abgeordneten aus, dass die öffentlichen Äußerungen des Unternehmens "immer wahrheitsgemäß waren und sind" und dass der Konzern "keine Desinformation hinsichtlich des Klimawandels verbreitet".

Aus den internen Unternehmensdokumenten aus den vergangenen 60 Jahren geht etwas anderes hervor.

Überraschende Funde

In einer alten Schießpulverfabrik (heute Museum und Archiv) in Delaware fand ich das Protokoll einer Erdölkonferenz an der Columbia University in New York im Jahre 1959, sie hatte den Titel "Energy and Man". Beim Durchblättern stieß ich auf die Rede des bekannten Wissenschaftlers Edward Teller (der an der Erfindung der Wasserstoffbombe beteiligt war), in der er die Industrievorstände und andere anwesende Personen vor der globalen Erderwärmung warnte.

Teller erklärte: "Wann immer man konventionellen Treibstoff verbrennt, produziert man Kohlendioxid. Dieser Stoff bewirkt in der Atmosphäre einen Treibhauseffekt." Sollte die Welt weiterhin fossile Brennstoffe verwenden, würden die Eiskappen zu schmelzen beginnen und der Meeresspiegel steigen. Schließlich würden "alle Küstenstädte zugedeckt sein", warnte er.

Das war 1959, also vor der ersten Mondlandung, bevor die Beatles ihr erstes Lied herausbrachten, bevor Martin Luther King seine Rede "I Have A Dream" hielt, bevor die erste moderne Aluminiumkanne hergestellt wurde. Zehn Jahre, bevor ich geboren wurde. Was würde ich noch finden?

In Laramie (Wyoming) fand ich im Universitätsarchiv eine andere Rede, und zwar von einem Ölunternehmer selbst, diesmal aus dem Jahr 1965. Bei dem jährlichen Treffen des American Petroleum Institute, des wichtigsten Organisation der US-Ölindustrie, bezog sich Frank Ikard, der damalige Verbandsvorsitzende, auf den Bericht "Die Wiederherstellung der Qualität unserer Umwelt", der erst einige Tage zuvor von den wissenschaftlichen Beratern des damaligen US-Präsidenten Lyndon Johnson veröffentlicht worden war.

Ikard sagte vor den Industriellen: "Der Kern dieses Berichts ist: Es ist noch nicht zu spät, die Völker der Welt vor den katastrophalen Folgen der Verschmutzung zu bewahren, aber die Zeit wird knapp."

Weiter sagte er, dass "eine der wichtigsten Vorhersagen des Berichts lautet: Durch das Verbrennen von Kohle, Öl und Erdgas gelangt Kohlendioxid in einem Ausmaß in die Atmosphäre, dass der Wärmehaushalt etwa im Jahr 2000 derart verändert sein wird, dass deutliche Klimaveränderungen die Folge sein werden".

Ikard hielt fest, der Bericht sei zu dem Ergebnis gekommen, dass "ein umweltverträglicher Antrieb für Autos, Busse und Lastwagen wahrscheinlich zu einer nationalen Notwendigkeit werden wird".

Als ich zurück in Kalifornien erneut meine Funde durchging, wurde mir bewusst, dass die Köpfe der Ölindustrie bereits vor dem Summer of Love 1967, vor Woodstock, dem Höhepunkt der Gegenkultur der 1960er, und all diesen Dingen, die sich für mich wie Geschichtskamellen anfühlen, von ihren eigenen Managern vertraulich darüber informiert worden waren, dass ihre Produkte letztendlich das Klima des gesamten Planeten verändern würden, mit gefährliche Folgen.

Geheime Forschungen decken bevorstehenden Risiken auf

Während ich durchs Land reiste, arbeiteten auch andere Forscher an dem Thema. Und die Dokumente, die sie fanden, waren in mancher Hinsicht noch schockierender.

In den späten 1970er Jahren hatte das American Petroleum Institute ein geheimes Komitee mit dem Namen "CO2 and Climate Task Force" geschaffen, zu dem Vertreter vieler großer Ölgesellschaften gehörten, um die neuesten Entwicklungen in der Klimawissenschaft im Geheimen zu beobachten und zu diskutieren.

Alle größeren Ölunternehmen waren darin vertreten. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit beobachtete und diskutierte man hier die jüngsten Entwicklungen der Klimawissenschaften.

Im Jahr 1980 lud die Task Force den Wissenschaftler John Laurmann von der Stanford University ein, um die Mitglieder auf den neuesten Stand in Sachen Klimawissenschaften zu bringen. Heute liegt uns eine Kopie seines Vortrags vor, in dem er davor warnte, dass bei einer weiteren Nutzung von fossilen Brennstoffen die Erderwärmung etwa im Jahr 2005 "kaum bemerkbar" sein werde, aber um die 2060er Jahre herum "weltweite katastrophale Auswirkungen" haben würde.

Im selben Jahr forderte das American Petroleum Institute die Regierungen auf, die Kohleförderung weltweit zu verdreifachen und beharrte darauf, dass es keine negativen Konsequenzen geben würde, obwohl sie intern davon wusste.

Bei Exxon gab es ebenfalls ein geheimes Forschungsprogramm. 1981 verschickte Roger Cohen, einer der damaligen Manager, eine interne Mitteilung. Darin stand, die langfristigen Geschäftspläne des Konzerns könnten "Auswirkungen haben, die in der Tat katastrophal sein werden (zumindest für einen beträchtlichen Teil der Weltbevölkerung)".

Im darauf folgenden Jahr stellte Exxon einen 40 Seiten umfassenden internen Bericht fertig, in dem fast genau das Ausmaß der globalen Erwärmung vorhergesagt wurde, das wir erleben, ebenso der Anstieg des Meeresspiegels, Dürren und mehr. Auf der Titelseite des Berichts heißt es, dass er "im Exxon-Management weit verbreitet wird", aber "nicht extern verteilt werden soll".

Und Exxon hielt den Bericht geheim: Wir wissen von der Existenz des Berichts nur, weil Investigativjournalisten von Inside Climate News ihn 2015 aufgedeckt haben.

Andere Ölunternehmen wussten ebenfalls um die Auswirkungen ihrer Produkte auf den Planeten. 1986 wurde bei der niederländischen Firma Shell ein fast 100 Seiten langer interner Bericht fertiggestellt. Darin heißt es, die Erderwärmung aufgrund der Nutzung von fossilen Brennstoffen würde zu den bislang größten Veränderungen der Menschheitsgeschichte führen, einschließlich zerstörerischer Überschwemmungen, zu der Aufgabe ganzer Länder sowie zu Zwangsmigration. Dieser Bericht wurde als "vertraulich" eingestuft und gelangte erst 2018 durch Jelmer Mommers, einen niederländischen Journalisten, an die Öffentlichkeit.

Im Oktober 2021 veröffentlichte ich gemeinsam mit zwei französischen Kollegen eine weitere Studie, die mit Unternehmensdokumenten und Interviews aufzeigte, wie das in Paris ansässige Unternehmen Total ebenfalls bereits in den 1970er Jahren um das Katastrophenpotenzial der Erderwärmung wusste.

Big Oils Öffentlichkeitsarbeit

Diese Unternehmen hatten die Wahl. Im Jahr 1979 hatte Exxon im Geheimen Möglichkeiten zur Vermeidung der Erderwärmung erforscht. Man kam zu dem Schluss, dass durch sofortiges Handeln, wenn die Industrie auf die Nutzung fossiler Brennstoffe verzichtet und sich stattdessen auf erneuerbare Energie konzentriert, die Verschmutzung durch fossile Brennstoffe in den 1990er Jahren zurückgehen und eine größere Klimakrise vermieden werden könnte.

Aber die Industrie schlug einen anderen Weg ein. Vor Kurzem fanden einige meiner Kollegen und ich heraus, dass Exxon und andere Ölunternehmen in den späten 1980er Jahren weltweit gemeinsam Anstrengungen unternahmen, um die Klimawissenschaft in Zweifel zu ziehen, die Kontrolle fossiler Brennstoffe zu blockieren und ihre Produkte weiter massiv zu vertreiben. Wir wissen das durch interne Dokumente und die Aussagen von Brancheninsidern, die jetzt mit der Öffentlichkeit teilen, was sie gesehen haben.

Wir wissen auch, dass die Brennstoffindustrie 1989 die sogenannte "Global Climate Coalition" schuf. Aber das war keine Umweltgruppe, wie der Name vermuten lässt; im Gegenteil arbeitete diese Koalition daran, Zweifel am Klimawandel zu säen, und machten in den 1990er Jahren Lobbyarbeit bei Parlamentsabgeordneten, um Gesetze zu sauberer Energie und Klimaverträgen zu blockieren.

Beispielsweise schrieb William O’Keefe, der Vorsitzende der Global Climate Coalition und geschäftsführende Vizepräsident des American Petroleum Institute, 1997 in der Washington Post, dass "Klimawissenschaftler nicht sagen, dass das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle stetig die Erde erwärmt", was im krassen Widerspruch zu dem stand, was die Industrie zu diesem Zeitpunkt seit Jahrzehnten wusste. Die Industrie für fossile Brennstoffe finanzierte auch Denkfabriken und einseitige Studien, die dazu beitrugen, dass ein Fortschritt nur sehr langsam vorankam.

Heute schrecken die meisten Ölfirmen davor zurück, die Klimawissenschaft rundheraus zu leugnen, aber sie bekämpfen weiterhin die Kontrollen fossiler Brennstoffe und inszenieren sich gleichzeitig als führend im Bereich saubere Energie, auch wenn sie ihre Investitionen weiterhin mehrheitlich in fossile Brennstoffe stecken. Während ich diesen Text schreibe, blockiert im US-Kongress ein Abgeordneter mit engen Verbindungen zur Brennstoffindustrie mal wieder ein Klimagesetz.

Währenddessen erleben Menschen weltweit die Folgen der Erderwärmung: ungewöhnliches Wetter, verschobene Jahreszeiten, extreme Hitzewellen und sogar Flächenbrände, wie sie es noch nie gesehen haben. Wird die Welt die globale Katastrophe erleben, die die Ölkonzerne Jahre vor meiner Geburt vorausgesagt haben? Das hängt davon ab, was wir jetzt tun, mit unserem Teil der Geschichte.

Benjamin Franta war als Berater und Experte bei internationalen und US-Gerichtsverfahren im Bereich Klimawandel tätig. Seine Arbeit wird gefördert durch das Stanford University Interdisciplinary Graduate Fellowship, das Climate Social Science Network und das Center for Climate Integrity

  • 1. Big Oil ist eine Bezeichnung für die sechs oder sieben größten börsennotierten Öl- und Gasunternehmen der Welt, auch als Supermajors bekannt: BP und Shell (Großbritannien), Chevron, ExxonMobil und ConocoPhillips (USA), TotalEnergies (Frankreich) und Eni (Italien)
  • 2. Das American Petroleum Institute (API) ist der größte Interessenverband der Öl- und Gasindustrie einschließlich der petrochemischen Industrie in den USA.