Grüner Wasserstoff, die neue falsche Lösung

Die in vielen Ländern propagierten Strategien des "Grünen Wasserstoffs" verstetigen einen kolonialen Umgang mit dem Territorium

gruener_wasserstoff.jpg

Teil der "falschen Lösungen": Die angeblich nachhaltigen Strategien des "Grünen Wasserstoffs"
Teil der "falschen Lösungen": Die angeblich nachhaltigen Strategien des "Grünen Wasserstoffs"

Im Jahr 2022 haben wir die Studie "Navigieren durch den Kollaps: Ein Leitfaden zu den falschen Lösungen für die Klimakrise" veröffentlicht.

In diesem Dokument zeigen wir die falschen Lösungen als ein Bündel von Diskursen, Technologien, Finanzinstrumenten, regulatorischen Maßnahmen und öffentlichen Politiken, die auf oberflächliche Art vorgeben, eine Lösung für ein oder mehrere miteinander verflochtene Probleme anzubieten, die mit der Klimakrise und dem Kollaps der kapitalistischen Moderne verbunden sind. In diesem Leitfaden betrachten wir die "erneuerbaren Energien" als eine falsche Lösung; hauptsächlich deshalb, weil diese Technologien üblicherweise als wunderbare Lösungen dargestellt werden, die angeblich ohne eine tatsächliche Umgestaltung des Status quo 1:1 die fossilen Brennstoffe ersetzen könnten.

In Wahrheit sind diese erneuerbaren Energien abhängig von fossilen Brennstoffen und benötigen diese in allen Etappen ihres Lebenszyklus; sie sind nicht dauerhaft und erzeugen einen enormen Bedarf an Mineralien, was den übermäßigen Abbau dieser Mineralien noch weiter antreibt. Außerdem erfordern sie aufgrund der ständig abnehmenden Konzentration der Metalle einen immer höheren Energieaufwand und haben größere Auswirkungen auf die Umwelt, denn für die Konzentrationsprozesse müssen immer größere Gesteinsmengen abgetragen und immer größere Wassermengen eingesetzt werden.

Ungeachtet dessen wird der Mythos von der Transition und der "Erneuerbarkeit" unbekümmert weiter bemüht, so als wenn die Großstädte, die Millionen an Straßenkilometern und der globalisierte Warentransport mit einem einfachen Technologiewandel aufrechterhalten werden könnte.

Es wäre eine Übungsaufgabe für jeden Leser und jede Leserin, im Internet zusammen mit dem Namen des Landes, in dem er/sie sich befindet, die Worte "grüner Wasserstoff" einzugeben. Die Ergebnisse dieser Art Suche sind voll von Überschriften wie "Grüner Wasserstoff in Mexiko: Das Potential der Transformation"; "Mexiko soll zur Drehscheibe für grünen Wasserstoff werden"; "Der Millionen-Regen, den der grüne Wasserstoff für Kolumbien bringen könnte"; "Brasilien könnte sich in einen Hub für den Export von grünem Wasserstoff verwandeln".

In Lateinamerika, besonders in Chile, Kolumbien, Brasilien, Uruguay und Argentinien sind Strategien für Grünen Wasserstoff veröffentlicht worden, dem Beispiel von Ländern wie Japan folgend, das die erste Strategie im Jahr 2014 vorlegte und der Europäische Union, die das im Jahr 2020 tat.

Wie in diesem Vortrag ausgeführt wird, ist Wasserstoff kein Brennstoff, sondern ein Vektor. Dieser befindet sich nicht in unabhängiger Form in der Atmosphäre (obwohl er das am meisten auf der Erde vorkommende Molekül ist), sondern er muss produziert oder besser gesagt "separiert" werden, denn üblicherweise kommt er in gebundener Form von Wasser (H2O) oder Kohlenwasserstoffen wie dem Gas Methan (CH4) vor.

Ähnlich dem, was bei einem Recycling-Prozess abläuft, benötigt die Produktion von Wasserstoff auf diesem Weg einen erheblichen Input an Energie; außerdem kommt es im Prozess der Konversion zu einem zusätzlichen Energieverlust, weshalb die energetische Effizienz von Wasserstoff sehr gering ist. Die Produktion von Wasserstoff auf Basis von fossilen Brennstoffen (grauer Wasserstoff) ist 3-4 mal billiger als wenn man CO2 "einfängt" (blauer Wasserstoff) oder Wasserstoff mittels erneuerbarer Energiequellen aus Wasser gewonnen wird (grüner Wasserstoff). Aus diesem Grund werden zur Gewinnung von 96 Prozent des heute international produzierten Wasserstoffs fossile Brennstoffe benutzt.

Die angeblichen Strategien des "Grünen Wasserstoffs", die in vielen dieser Länder verkündet werden, verstetigen einen kolonialen und auf die Ausbeutung des Bodens gerichteten Umgang mit dem Territorium. Nicht erwähnt werden die enormen Kosten, die der Transport und die Speicherung des Wasserstoffs (der hoch korrosiv ist) haben würde; die enormen Mengen an Mineralien, die notwendig wären, um eine globale, auf Wasserstoff basierte Wirtschaft zu unterhalten und die Auswirkungen der Nutzung von Trinkwasser oder Salzwasser für die Erzeugung des Wasserstoffs; dazu kommt noch, dass die energetischen Kosten (der Bedarf an Energie) für diesen Produktionsprozess enorm hoch wären – etwa das Doppelte an Energie, die man derzeit erzeugt.

Man muss gar nicht sehr weit schauen, um diejenigen ausfindig zu machen, die weiterhin diese falschen Lösungen vorantreiben. Wie die Organisation Freunde der Erde (Friends of the Earth) nachgewiesen hat, haben in den USA große Erdölkonzerne Millionen investiert, um große Teile des Finanzierungspaketes für die energetische Umgestaltung in Richtung Wasserstoff umzulenken. Aber das Beunruhigendste ist nicht einmal, dass die Erdölunternehmen weiterhin danach streben, die Zukunftsvorstellungen mit ihren vermeintlich wunderbaren Lösungen zu kolonisieren, sondern dass die Regierungen der angeblichen "Linken" – indem sie auf ökonomischem Wachstum beharren – schlussendlich diese falschen Lösungen übernehmen, als Politiken, die darauf abzielen, das Versprechen auf Entwicklung zu sichern, die indes einen kolonialen Charakter hat.

Der Plan Sonora in Mexiko wurde angekündigt als Schaffung eines "Hub der erneuerbaren Energien", der mittels Megaprojekten, billiger Arbeit und dem nearshoring im Norden Mexikos die Schaffung von Opferzonen mit der vermeintlichen Wasserstoffindustrie, der Montage von Elektroautos und der Ausbeutung von Lithium als Schwerpunkte einer möglichen Dekarbonisierung der Zukunft weiter vorantreibt. Dieses Vorhaben, das als Plan der Linken vorgestellt wurde, erfordert auch die weitere Integration Nordamerikas über das Freihandelsabkommen T-MEC (Tratado entre México, Estados Unidos y Canadá).

Immer wieder haben wir diese falschen Lösungen festgestellt und angeprangert. Seit dem Aufkommen des Oxymoron von der nachhaltigen oder auch dauerhaften Entwicklung im Jahr 1985, haben sich Bündnisse gesellschaftlicher Bewegungen und (mancher) Organisationen der Zivilgesellschaft der Auferlegung des Gebrauchs von Termini wie diesem widersetzt, die versuchen, die Sonne mit dem Finger zu verdecken und die Realität zu verschleiern: der Kapitalismus ist an seine inneren und äußeren Grenzen gestoßen, weshalb wir heute die krankhaftesten Symptome dieses Interregnums erleben. Das heißt, der Kapitalismus kommt wie ein Zombie daher, der sich weigert aufzuhören, obwohl er ein System ist, das nur Tod verbreitet.

Alternativen

Jetzt ist es an der Zeit, die Notbremse zu ziehen, den Zug des Fortschritts anzuhalten, wie es Walter Benjamin gesagt haben würde1. Die Alternativen – so sagen wir es in dem Leitfaden – sind schon da. Es ist nicht nötig, das Rad neu zu erfinden.

Die Möglichkeiten der Emanzipation, die sich mit den wirklich erneuerbaren Energien verbinden lassen, werden in der Dokumentation "Die Energie der Völker" (La Energía de los Pueblos) aufgezeigt; sie gibt bereits einen Einblick in die Möglichkeit der Dezentralisierung der Energiesysteme, aber noch mehr die Möglichkeit, die Macht zu verteilen, sie zu territorialisieren und kollektiv zu verwalten.

Eine echte Energiewende wird nicht da oben in den Foren und internationalen Gipfeltreffen oder in den Entscheidungen der öffentlichen Politik gestaltet, sondern durch die Möglichkeiten kleiner Kollektive, Organisationen, Energie-Kooperativen und -Gemeinschaften, die die Erzeugung der Energie territorial organisieren, aber auch ihre Beziehungen zur Energie und zur Natur neu denken und wiederherstellen können.

Carlos Tornel aus Mexiko ist Forscher an der Universität Durham, Großbritannien

Luca Ferrari aus Mexiko ist Forscher am Centro de Geociencias der UNAM, Mexiko

  • 1. Die Autoren beziehen sich auf diese Notiz Benjamins: "Marx sagt, die Revolutionen sind die Lokomotiven der Weltgeschichte. Aber vielleicht ist dem gänzlich anders. Vielleicht sind die Revolutionen der Griff des in diesem Zug reisenden Menschengeschlechts nach der Notbremse."