Der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos hat am 1. Juni angekündigt, er strebe Kolumbiens Beitritt zur NATO an. Die Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens mit dem westlichen Kriegsbündnis stehe kurz bevor und zeuge von dem Beitrittswillen Kolumbiens. Im Falle eines Friedensabkommens mit der FARC plane Kolumbien ein stärkeres internationales "Engagement" des eigenen Militärs. Eine Woche zuvor war US-Vizepräsident Joseph Biden bei Santos zu Besuch und wenige Tage später empfing Santos auch den venezolanischen Oppositionsführer Henrique Capriles. Sicher kein Zufall. Ein Beitritt Kolumbiens zur NATO erfüllt den USA einen Traum und ist ein Dolchstoß für kontinentale Integrationsprozesse wie Unasur oder Celac, in die auch Kolumbien eingebunden schien. In den vergangenen Jahren war es gelungen diese Initiativen unter Ausschluss der USA oder Kanada mit Handlungsfähigkeit zu versehen. Einige schwerwiegende Konflikte zwischen Ländern der Unasur konnten intern angegangen werden. Die Unasur hatte bisher verkündet, eine gemeinsame Sicherheitspolitik zu suchen.
Eine souveräne Politik der südlichen Nachbarn wird in den USA gar nicht gerne gesehen. Der zunehmende Einflussverlust, die Kündigung von Militärbasen und Kooperationen, hatte die USA schon 2008 veranlasst, die einst vor Südamerika operierende IV. Flotte der USA nach vielen Jahren wiederzubeleben. Mit einem Beitritt Kolumbiens zur NATO hätten die USA einen Fuß in Lateinamerika, in einem der geostrategisch wichtigsten Länder: Kolumbien ist die Brücke zwischen Süd- und Mittelamerika, es hat Zugang zum Atlantik und Pazifik und teilt Grenzen mit fünf Staaten, darunter mit Venezuela, Ecuador und Brasilien. Die daraus resultierenden Problematiken sind endlos. Wie sähe es mit der weiteren Entkolonialisierung Lateinamerikas aus? Puerto Rico, Französisch-Guayana und diverse kleine Karibikinseln? Wo stünde Kolumbien im Falle der Malvinen-Inseln? Und würde die NATO Kolumbien in den Grenzstreitigkeiten mit Panama militärisch beistehen?
Die Ankündigung von Santos lässt befürchten, Kolumbien könne versuchen, seine alte Rolle von vor 2009 wieder einzunehmen, durch militärische Übergriffe und Propagandakampagnen Konflikte mit seinen Nachbarn Ecuador und Venezuela zu schüren. Die jetzt schon starke Infiltration des kolumbianischen Paramilitarismus in Venezuela könnte verstärkt werden. Ein Szenario mit einer aus Kolumbien und den USA finanzierten Contra nach dem Muster Nicaraguas ist denkbar.
Angesichts der rekordverdächtigen Anzahl und Vielfalt an Menschenrechtsverbrechen kann die mögliche Integration Kolumbiens in die NATO – je nachdem, von welchem Standpunkt aus gesehen – Empörung hervorrufen oder als ehrliches Bekenntnis der NATO gesehen werden. Das kolumbianische Militär ist nach wie vor für extralegale Hinrichtungen, Folter, Krieg gegen die Zivilbevölkerung und Verschwindenlassen bekannt. Um den eigenen Ruf zu verbessern und für weniger Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht zu werden, half das Militär ab den 1980er Jahren mit der Unterstützung von transnationalen Konzernen, Drogenhändlern, Großgrundbesitzern und dem CIA paramilitärische Gruppen aufzubauen. Von der Entstehung des paramilitärischen nationalen Verbandes Autodefensas Unidas de Colombia (AUC) im Jahr 1997 bis 2006 begingen Paramilitärs laut der kolumbianischen Generalstaatsanwaltschaft 173.183 Morde. Die Jahre vorher und nachher dazu gezählt sind es über 250.000 Morde. Kolumbianische Soldaten sind auch als Söldner privater Sicherheits- und Militärunternehmen (Private Military Contractors-PMC) beliebt. Aufgrund meiner Beschäftigung mit dem Thema bekomme ich hin und wieder E-mails über meine Webseite, in denen ich von kolumbianischen Soldaten nach Kontakten zu Firmen im Irak, Dubai oder Afghanistan gefragt werde. Im Falle eines Friedensabkommens mit der Guerilla braucht das Militär einen Grund, den massiven Militärapparat und die damit verbundenen Gelder und Macht zu erhalten.
Die Ankündigung von Präsident Santos, einen Antrag auf Beitritt zur NATO stellen zu wollen ist zudem eingebettet in eine rechte Offensive gegen die Bemühungen der linken und Mitte-Links-Regierungen in Lateinamerika und der Karibik. Im Mai verkündete das neoliberale regionale Projekt Allianz des Pazifiks (Kolumbien, Chile, Mexiko und Peru) den Beitritt Costa Ricas und die Aufnahme Paraguays als Beobachter. Die Allianz des Pazifiks wird von den USA gefördert und steht ebenfalls im klaren Widerspruch zu den Projekten der Unasur und Celac. Medial wird die Offensive international mit Angriffen vor allem gegen Venezuela begleitet. Die in Venezuela geschürten Unruhen und Verdächtigungen gegen ein absolut legitimes Wahlergebnis wogen schwer. Die kommunikative Lücke, die Chávez hinterlassen hat, ist national wie international enorm. In Antwort darauf wird nun medial breit geschossen. Tendenziöse und falsche Berichterstattung oder offene Unterstützung rechter Oppositionskandidaten betreffen zunehmend auch Ecuador, Bolivien und Argentinien. Es weht kein guter Wind in Lateinamerika.