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"Die Presse" pfeift auf Objektivität

Zum Artikel "Venezuela: Geliebter Führer? Zehn Jahre Chávez" von Carl D. Goerdeler

Die Veröffentlichung dieses Artikels zeigt, dass Objektivität bei der Presse keinen Platz hat. Schon im Titel wird der venezolanische Präsident Hugo Chávez mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-il, der sich in Nordkorea "Geliebter Führer" nennen lässt, gleichgesetzt.

In diesem Stil geht der Artikel auch weiter. In der zweiten Überschrift heißt es gleich "(Chávez)...hält sich für unersetzlich und will seine Herrschaft in der Verfassung absichern". Gemeint ist damit wohl, dass die linken Kräfte in Venezuela eine Verfassungsänderung anstreben, die es ermöglicht, dass alle wählbaren Ämter nicht mehr auf zwei Amtszeiten begrenzt sind. Somit wäre es möglich, dass Hugo Chávez bei den Präsidentschaftswahlen 2012 nochmals antreten dürfte. Seine "Herrschaft" wäre damit nicht abgesichert, denn immerhin müsste er dennoch bei Wahlen antreten, welche von internationalen Wahlbeobachtern begleitet werden.

Die neu geschaffenen Gesundheitseinrichtungen, welche mit Hilfe von kubanischen Ärzten ermöglicht wurden, diffamiert Carl D. Goerdeler mit dem Begriff "Barfußärzte". Damit reiht er sich bei den radikalsten Gegnern der venezolanischen Regierung ein, die den Ärzten von "Barrio Adentro" jedes medizinisches Wissen absprechen. Der Artikel weist darauf hin, dass es unter der Regierung von Chávez alltäglich geworden ist, dass sich "die permanente Frage (stellt), welches Geschäft gerade Fleisch, Eier oder Brot hat". Es stimmt, dass es hin und wieder Engpässe bei der Lebensmittelversorgung gibt. Dies betrifft aber hauptsächlich staatliche Läden, die Nahrungsmittel weit unter dem Marktpreis anbieten. Diese und andere Sozialprogramme führten dazu, dass der Lebensmittelkonsum in den letzten Jahren (bei den ärmeren Schichten) massiv gestiegen ist.

Gleichzeitig versucht die venezolanische Regierung die Steigerung des Konsums mit der Stärkung von lokaler Produktion von Lebensmittel zu kompensieren. Vertreter der Welternährungsorganisation stellen Venezuelas Regierung ein gutes Zeugnis aus.

Auch auf die im Artikel genannten Stromausfälle, welche u.a. auf das Wirtschaftswachstum zurückzuführen sind, reagierte die Regierung bereits und begann mit der Dezentralisierung der Energieversorgung. Bisher wurden 70 Prozent der Energie von dem Guri-Staudamm im Südosten des Bundesstaates Bolívar gedeckt. Ein solches System ist sehr anfällig. Man konnte dies im April 2008 beobachten, als durch einen Waldbrand in der Nähe des Staudammes, in halb Venezuela der Strom ausfiel.

Carl D. Goerdeler unterstellt dem venezolanischen Präsidenten ein "zweites Kuba" schaffen zu wollen. Es ist zwar so, dass Kuba ein Verbündeter und Fidel Castro für Chávez ein Mentor ist, aber eine Kopie des kubanischen Systems will die venezolanische Regierung nicht. Vielmehr wollen sie einen demokratischen Sozialismus, den so genannten Sozialismus des 21. Jahrhunderts, welcher auf Basisdemokratie aufbaut. Die vielen demokratischen Wahlen, die unter der Regierung Chávez durchgeführt wurden, weisen daraufhin, dass Venezuela einen eigenen Weg geht.

"Das Volk darf immerhin, am 15. Februar darüber abstimmen" merkte der Autor über die Abstimmung der Verfassungsänderung an. In Venezuela ist eine solche Abstimmung von der Verfassung (welche maßgeblich von Chávez-Unterstützern erstellt wurde) festgelegt (Artikel 341). In Österreich ist das nicht so. 2007 wurde die Legislaturperiode des Nationalrats und somit der Regierung von 4 Jahre auf 5 Jahre erhöht. Dafür musste eine Änderung des Bundes-Verfassungsgesetz vorgenommen werden. Eine Volksabstimmung gab es darüber nicht.

In Österreich ist nur bei einer Gesamtänderung der Bundesverfassung oder bei einer Verfassungsänderung, wenn ein Drittel der Mitglieder des Nationalrates oder des Bundesrates für eine Abstimmung ist, eine Volksabstimmung vorgesehen. Die "zehn Gebote", die der Autor im Artikel "zitiert" entsprechen natürlich nicht. Er bezieht sich anscheinend auf den Flyer auf welchem zehn Gründe angegeben werden, warum man für das Ja stimmen soll. Also eine stinknormale Wahlwerbung.

Im nächsten Absatz wird die diesjährige Verfassungsänderung mit der Verfassungsreform vom Jahr 2007 verglichen, welche von einer knappen Mehrheit der Venezolaner abgelehnt wurde. Ein Blick auf den Reformvorschlag zeigt, dass Wiederwahlmöglichkeit des Präsidenten nur einer von vielen Punkten war. Die neue Verfassung hätte den Staat in vielen Hinsichten vollkommen verändert. Die Änderungen von 2009 beinhalten nur die Wiederwahlmöglichkeit aller Amtsträger. Der Rest des Verfassungstextes bleibt gleich. Zusätzlich wird behauptet, dass es von Chávez organisierte Repressionen gegen Menschen mit "abweichende Meinungen" gibt. Die gewalttätigen Proteste gehen aber in Venezuela hauptsächlich von Anhängern der Opposition aus. Bei einer Demonstration im Jänner wurden von der Polizei bei einer Demonstration der Opposition 100 Molotow-Cocktails, einen Sack Steine und zwei Benzinkanister beschlagnahmt. Selbst vor Sozialeinrichtungen machen manche Oppositionelle keinen Halt.

Ebenfalls merkte Herr Goerdeler an: "So brutal wie sein Idol Fidel Castro geht Hugo Chávez indes (noch) nicht gegen Abweichler vor"! Im Gegensatz zu vielen anderen lateinamerikanischen Staaten gab es in Kuba unter Fidel Castro niemals außergerichtliche Hinrichtungen oder das "Verschwinden" von politischen Gegnern. In Venezuela ist die Lage gegenüber Kuba und auch anderen südamerikanischen Länder liberaler. Erst Anfang 2008 amnestierte Hugo Chávez Putschisten, welche die demokratisch gewählte Regierung 2002 absetzten, den Präsidenten ermorden wollten und gegen Anhänger der Chávez-Regierung radikal vorgingen. Ein Volksaufstand vertrieb die Putschisten von der Macht und einige wenige wurden für ihre Taten verurteilt. Genauer mit dem Putsch beschäftigt sich die Dokumentation "The Revolution Will Not Be Televised", welche online angesehen werden kann.

Am Schluss zweifelt Carl D. Goerdeler daran, dass die Wahlen sauber vonstatten gehen werden: "Ob die Volksabstimmung sauber verlaufen wird, kann keiner sagen". Hier vergisst der Autor anscheinend, dass bisher alle Wahlen in Venezuela von internationalen Beobachtern kontrolliert wurden und laut deren Meinung die Wahlen immer sauber verliefen.


Die Originalfassung dieses Beitrags vom User David finden Sie bei Scoop.at.

Quelle: "Venezuela: Geliebter Führer? Zehn Jahre Chávez" von Carl D. Goerdeler