Menschenrechte in Venezuela: Ein anderer Blick

Aktivisten aus Venezuela weisen Instrumentalisierung der Menschenrechte zurück

Als Linke und Menschenrechtsaktivisten ziehen wir, die Unterzeichner, eine neue Bilanz der jüngsten Ereignisse im Land. Wir wiederholen die Warnung über die anhaltende Verzerrung der Menschenrechtsfrage in der Desinformationskampagne, die zahlreiche nationale und internationale Medien über die Situation von Venezuela durchführen.

Die Instrumentalisierung der Menschenrechte geht weiter

Im Februar und März haben die großen Medienkonzerne das Informationsmuster, wonach die venezolanische Regierung die legitimen Forderungen studentischer Kreise mit brutaler Unterdrückung1beantwortet habe, weiter verstärkt. In der Konsequenz zeigt dieses Muster eine systematische und durchgängige Verletzung der Rechte friedlicher Demonstranten auf2 Es gibt tatsächlich Fälle, die auf eine Verantwortung von Staatsbediensteten hindeuten. Gleichwohl deutet einiges darauf hin, dass das Thema Menschenrechte derzeit gezielt falsch dargestellt wird.

Einige nichtstaatliche Organisationen, die sich für die Studenten einsetzen, haben über eine große Anzahl von Misshandelten, Gefolterten und Verhafteten berichtet, doch war die Zahl der später der Staatsanwaltschaft vorgelegten (und sogar bei internationalen Instanzen eingereichten) Fälle kleiner als diejenige, die öffentlich angeprangert wurden. Der UN-Sonderberichterstatter gegen die Folter, Juan Méndez, sagte zu den an dieses Gremium herangetragenen Fällen kürzlich: "Fälle, die ich als Folter bezeichnen würde, gibt es zwei oder drei, was nicht heißt, dass es nicht mehr gibt. Mir zur Kenntnis gelangt sind zwei oder drei."3 Ein erheblicher Teil dieser über die Medien und sozialen Netzwerke erhobenen Vorwürfe wurde durch Bilder untermauert, die der tatsächlichen Lage in Venezuela nicht entsprechen.4. Andere wiederum wurden von Zeugen öffentlich dementiert.5Was das Recht auf Leben anbelangt, so ist die Zahl der Opfer, die den Sicherheitskräften angelastet werden kann, deutlich geringer als die bedauerliche Zahl derjenigen, die der politischen Gewalt unter Zivilisten zum Opfer gefallen sind. Dazu kommt, dass der gewalttätige Charakter vieler dieser Proteste absichtlich ausgelassen wird. Insgesamt lässt sich so – vor allem auf internationaler Ebene – der Eindruck einer gravierenden Menschenrechtskrise in Venezuela schaffen.

Die Bilanz der Proteste

Nach fünfwöchigen Protesten ist die offizielle Bilanz mehr als 461 Verletzte und 1.854 Festnahmen. 121 Personen sind noch immer in Haft.6 Gegen die meisten Festgenommenen wurden einstweilige Maßnahmen verhängt, der Rest genießt uneingeschränkte Freiheit. Mindestens 39 Menschen kamen ums Leben.7

Alle diese Opfer sind gleichermaßen schmerzhaft für das Land. Bei der Analyse der Umstände, unter denen sie sich ereigneten, müssen wir uns deshalb bewusst werden, wie gefährlich es ist, wenn wir zulassen, dass sich eine für die Venezolaner völlig neue politische Gewalt durchsetzt: Insgesamt 19 der Opfer kamen bei sogenannten Guarimbas8 ums Leben; 15 starben bei Demonstrationen auf der Straße. 28 der Opfer waren Zivilisten (darunter ein Staatsanwalt und ein Mitarbeiter der Straßenmeisterei von Caracas); die übrigen sechs waren Angehörige der Sicherheitskräfte. Insgesamt starben 23 Personen durch Schussverletzungen und elf weitere durch sonstige Verwundungen. Die Schüsse wurden dabei vermutlich in fünf Fällen von Scharfschützen und in weiteren fünf Fällen von fahrenden Fahrzeugen aus abgegeben. Bei mindestens vier dieser Todesfälle handelt es sich um eine Verletzung des Rechts auf Leben, während sich die übrigen 30 Todesfälle bei Akten ereigneten, die der politischen Gewalt zuzurechnen sind.9

Für drei Todesfälle sind Sicherheitskräfte durch wahllose und unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt beim Vorgehen gegen Krawalle nach Demonstrationen der Opposition verantwortlich. Diese Klagen betreffen Beamte des Geheimdienstes SEBIN und der Nationalgarde. In neun Fällen, die sich bei verschiedenen Vorfällen ereigneten, deutet alles auf die Verantwortung von bewaffneten Zivilisten hin. Bei weiteren zwei Vorfällen gibt es verschiedene Versionen zu den möglichen Verantwortlichen: Der Gouverneur von Valencia, Francisco Ameliach, behauptete, es seien Scharfschützen gewesen, die auf Demonstranten geschossen hätten, während Familienangehörige Motorradfahrer verantwortlich machen.

In mindestens einem Fall sei auf einen Studentenführer der Opposition, Daniel Tinoco, ebenfalls von einem fahrenden Fahrzeug aus geschossen worden, und zwar während einer von oppositionellen Studenten veranstalteten Mahnwache im Bundesstaat Táchira. Dieser Todesfall könnte zusammen mit anderen Angriffen auf Chavistas und Oppositionelle ein Warnsignal im Hinblick auf mögliche Muster der selektiven politischen Gewalt darstellen. Ein weiteres Opfer starb an den Folgen von Schlägen, die ihm bei einer von der GNB unterdrückten Demonstration zugefügt wurden; in einem anderen Fall wurde ein Jugendlicher von einem Zivilisten überfahren, der eine Straßensperre gewaltsam durchbrechen wollte.

19 Personen kamen bei Guarimbas ums Leben, sechs davon durch den Zusammenstoß ihres Autos oder Motorrades mit auf der Fahrbahn aufgestellten tödlichen Hindernissen; eine Person wurde durch einen Metalldraht enthauptet. Unter den Opfern befanden sich insgesamt sechs Motorradfahrer.10Weitere fünf Zivilisten und drei Beamte der GNB starben durch Schüsse, als sie die Blockaden beseitigen und die Straßen wieder freigeben wollten.

Der Charakter der Proteste

Man führt die Proteste auf unterschiedliche Beweggründe zurück: Mangel an bestimmten Lebensmitteln, fehlende öffentliche Sicherheit, hohe Lebenshaltungskosten und ähnliches sind legitime Gründe, um seine Unzufriedenheit zu äußern und Lösungen einzufordern. Im Laufe der Tage räumten die gleichen Demonstranten – und mehrere Oppositionsführer11– jedoch ein, dass es letztlich darum gehe, den verfassungsmäßigen Präsidenten aus dem Amt zu zwingen, ohne die dafür in der Verfassung vorgesehenen Verfahren zu nutzen12.

Der oben dargelegten Chronik lässt sich entnehmen, dass viele der Demonstrationen in Venezuela in den vergangenen Wochen nicht friedlich verliefen. Wir möchten ausdrücklich betonen, dass es zwar durchaus friedliche Kundgebungen und Demonstrationen gegeben hat, es aber bei mehreren dieser Veranstaltungen nachweislich zum Einsatz von Schusswaffen durch Demonstranten gekommen ist.13In kürzlich abgegebenen Erklärungen informierte Präsident Maduro, dass 25 Kriegswaffen, Molotowcocktails, Rohrbomben, Armbrüste, Schlagwaffen und C4-Sprengstoff sichergestellt und an die Staatsanwaltschaft übergeben wurden.14Die Generalstaatsanwältin Venezuelas, Luisa Ortega Díaz, erklärte, dass 21 der im Zuge der Demonstrationen verletzten Beamten Schussverletzungen erlitten haben.15

Vor allem kann aber angesichts ihrer nachgewiesen Gefährlichkeit nicht von friedlichen Guarimbas die Rede sein. Die Guarimbas betrafen Haupt- und Nebenstraßen in Vierteln der Mittel- und Oberschicht in acht der insgesamt 335 Gemeinden des Landes, die alle von Bürgermeistern der Opposition regiert werden.16Kabel, Stacheldraht, gefällte Bäume, große Steinbrocken und auf dem Asphalt ausgeschüttetes Öl werden mit Sperrmüll, Autoreifen und Abfällen vermischt und angezündet. Gullydeckel werden entwendet, wodurch Schächte zurückbleiben, durch die mindestens zwei Motorradfahrer ums Leben gekommen sind. Die in den sozialen Netzwerken ausgetauschten Botschaften und Aussagen in Massenmedien enthüllen, dass diejenigen, die diese Form des Protests gewählt  haben, dies aus der Wahrnehmung tun, sich in einer Art Kriegszustand zu befinden.17Seit Beginn der Proteste ist nicht bekannt, dass irgendein offizieller Vertreter dieser Gemeinden, Sprecher der Opposition oder Studentenführer die Todesfälle, die sich bei den Guarimbas ereignet haben, verurteilt hätte, ausgenommen der Bürgermeister von Valencia – einer der Städte mit den aktuell stärksten Konfrontationen. Am 17. März erteilte der dortige oppositionelle Bürgermeister Miguel Cocchiola dem Vandalismus eine Absage und erklärte, ohne auf die konkrete Verantwortung für die Opfer einzugehen: "Ich glaube nicht, dass die Gewalt der Weg ist. Die Menschen müssen verstehen, dass es keinen anderen Weg als den Dialog gibt, um das Land voranzubringen. Die Guarimba hat zu keinem Ergebnis geführt, sondern nur Nachbarn gegeneinander aufgebracht. Es gibt Orte, die inzwischen ohne Gas sind oder wo die Krankenwagen nicht durchkommen. Das darf man nicht zulassen."18Nach diesen Äußerungen wurde Cocchiola aus seiner Partei Voluntad Popular ausgeschlossen.

Die laxe Haltung der Lokalbehörden in den Gemeinden, in denen Guarimbas stattgefunden haben, widerspricht dem Auftrag, den sie zu erfüllen haben und kann als stillschweigende Duldung von Taktiken des gewaltsamen und verfassungswidrigen Protests interpretiert werden. Ihre Befugnisse in Fragen der öffentlichen Ordnung sind zwar beschränkt und der Aufruf zu Guarimbas erfolgt über soziale Netzwerke, doch hat kein Bürgermeister Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, um bestimmte Orte stärker zu überwachen. Ganz im Gegenteil haben die Lokalbehörden ihre Aufgaben bei der Müllabfuhr und Pflege des öffentlichen Raums nicht mehr erfüllt; Schutt und Unrat lagen tagelang mitten auf der Straße, behinderten den Verkehr und stellten ganz nebenbei ein Problem für die öffentliche Gesundheit dar. Dies führte dazu, dass in einem dieser Bezirke ein Bürger eine Klage auf Schutz der kollektiven Rechte einreichte, die vom Obersten Gerichtshof (TSJ) zugelassen wurde. Der TSJ wies die Bürgermeister an, "Ihrem Auftrag zur Regelung des Verkehrsflusses nachzukommen, um so eine angemessene und sichere Fortbewegung auf den öffentlichen Straßen ihrer Gemeinden sicherzustellen."19Einige Tage später weitete derselbe Gerichtshof das Verbot, Guarimbas zuzulassen, auf vier weitere Gemeinden des Landes aus.20Außerdem fiel bedingt durch die Guarimbas in mehreren Schulen der Unterricht aus, wodurch das Recht auf Bildung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigt wurde. Auch der Transport von Kranken, die eine ärztliche Versorgung benötigten, war in einigen Gebieten betroffen. Diese Formen des gewaltsamen Protests nahmen im Grenzbundesstaat Táchira besonders gravierende Ausmaße an.

Zum anderen weisen wir mit großer Besorgnis auf die offensichtliche Verbreitung bislang hierzulande kaum bekannter Formen der Gewalt hin, wie den Einsatz von Scharfschützen, "Bewaffneter Streik", Sabotage, gezielte Tötungen, sowie die Kennzeichnung der Häuser von Chávistas im Landesinneren; und wir warnen davor, dass sich diese Aktionen zu bleibenden Formen des Widerstands gegen die Regierung und die staatlichen Institutionen entwickeln könnten.

Das Recht auf die Ausübung friedlicher Demonstrationen21ist in Venezuela uneingeschränkt gültig, wie es zahlreiche Demonstrationen zeigen, die von Oppositionskreisen veranstaltet wurden. Jedoch ist der Staat angesichts des gewalttätigen Charakters der Guarimbas verpflichtet, entsprechend der Gesetze und unter voller Achtung der Menschenrechte Maßnahmen zur Kontrolle der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der Personen zu ergreifen.

Die gewaltsamen Proteste sind in den vergangenen Tagen allmählich zurückgegangen. Am 17. März ergriff die venezolanische Regierung Maßnahmen zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung, um die mittlerweile zur Tagesordnung gehörenden gewaltsamen Proteste auf dem Plaza Altamira, dem Zentrum der stärksten Proteste in Caracas, einzudämmen. In Koordination mit den örtlichen Behörden wurden spezielle Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um in dem Gebiet für Ruhe zu sorgen. Eine Gruppe von Menschen demonstriert seitdem weiterhin friedlich auf dem Platz. Dennoch gibt es noch Guarimbas in bestimmten Gebieten von Caracas, Táchira, Lara und Mérida.

Das Vorgehen der Justiz

Die Generalstaatsanwaltschaft hat regelmäßig über den Stand der verschiedenen zuvor erwähnten Fälle informiert. Einige Tage nach ihrem Auftreten vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf, sagte die Generalstaatsanwältin22: "Die Staatsanwaltschaft ermittelt in 59 Fällen wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen, wobei 17 Beamte verschiedener Polizeibehörden in Haft sind", im Zusammanhang der Gewaltaktionen der vergangenen Tage.23 Diesbezüglich verweisen wir auf zwei Aspekte, welche die Arbeit der Justiz behindern: Viele der Vorwürfe, insbesondere wenn es um die persönliche Freiheit und die körperliche Unversehrtheit geht, werden über die Medien und die sozialen Netzwerke erhoben, ohne dass den zuständigen Stellen Beweise vorgelegt werden. In weiteren Fällen wiederum widersprechen die Erklärungen der Opfer den Ergebnissen der späteren fachlichen Gutachten.24

Nach den Informationen der Generalstaatsanwältin sind die Beamten des Geheimdienstes SEBIN, die für den Tod zweier Personen am 12. Februar verantwortlich sind, mittlerweile in Haft und werden gerichtlich verfolgt. Das Gleiche gilt für die Beamten der GNB, die in den Fall José Alejandro Márquez und die von einer Kunsthandwerkerin in der Stadt Valencia erlittenen Misshandlungen verwickelt sind. Zu den Todesfällen, die sich im Zuge von Guarimbas oder durch bewaffnete Zivilisten ereignet haben, finden derzeit Ermittlungen statt; in einigen Fällen hat es bereits Verhaftungen gegeben.

Zu beachten ist, dass die Generalstaatsanwältin am 6. und 7. März sich mit zwei der Nichtregierungsorganisationen traf, die Folter- und Misshandlungsvorwürfe erhoben hatten. Eine davon brachte keinen einzigen Fall zur Anzeige, während die andere Unterlagen zu 40 Fällen einreichte, von denen einige bereits Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen gewesen sind.25 Außerdem fanden Treffen mit der Ombudsfrau statt.

Wir sind nicht mit einer Politik der systematischen Verletzung von Menschenrechten konfrontiert

Wir betonen, dass Menschenrechtsverletzungen, die sich in einer Verletzung des Rechts auf Leben sowie in Vorwürfen zu Misshandlungen und Folter geäußert haben, verurteilt und bis zur letzten Konsequenz untersucht werden müssen. Nach offiziellen Informationen werden alle Fälle, bei denen das Recht auf Leben verletzt wurde und die staatlichen Sicherheitskräften angelastet werden, von den zuständigen Justizbehörden verfolgt. Die Generalstaatsanwältin erklärte hierzu: "Wenn irgendein Beamter, ungeachtet seines Ranges, ein Delikt im Zusammenhang mit Folter, grausamer und unmenschlicher Behandlung begeht, werden wir ihn bestrafen"26. Zugleich versicherte sie, die Generalstaatsanwaltschaft werde "keinerlei willkürliche Verhaftung zulassen". Auch Präsident Maduro hat die Beteiligung von Sicherheitskräften eingeräumt, die ihrer Aufgabe, die Menschenrechte der Bevölkerung zu schützen, nicht nachgekommen seien, und seinen Willen bekundet, diese Vorfälle zu untersuchen und zu ahnden.

Abgesehen von den offiziellen Verlautbarungen deuten sowohl die Einzelfallprüfungen der in den vergangenen Wochen stattgefundenen Proteste als auch die offensichtlichen Maßnahmen, die von verschiedenen staatlichen Einrichtungen zur Eindämmung des gewaltsamen Protests und zur Unterbindung von Misshandlungen durch Sicherheitskräfte getroffen wurden, auf einen klaren politischen Willen hin und schließen die These einer systematischen und weit verbreiteten Politik der Menschenrechtsverletzungen aus. Unter diesen Maßnahmen sind die Einleitung konkreter juristischer Schritte und der Dialog mit nichtstaatlichen Menschenrechtsorganisationen sowie die Einführung von legislativen wie Durchführungsmaßnahmen zum Schutz der Rechte der Bevölkerung bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung hervorzuheben.

Die venezolanische Nationalgarde hat sich bei ihrem Vorgehen nach den Prinzipien der schrittweisen und verhältnismäßigen Anwendung von Gewalt zu richten, so wie es die Verfassung selbst vorsieht. Bei Ereignissen wie diesen zeigt sich auch die Notwendigkeit, dass der venezolanische Staat seine bisher unternommenen Anstrengungen, die staatlichen Strafverfolgungsbehörden zu reformieren und ihr Vorgehen mit der uneingeschränkten Wahrung der Menschenrechte in Einklang zu bringen, fortführt und sie vertieft. Auch wenn in dieser Hinsicht wichtige Fortschritte erzielt wurden, ist es dennoch unerlässlich, dass die Regierung kontinuierlich und mit der gebotenen Dringlichkeit an der Umsetzung dieses elementaren Ziels arbeitet.

Die Überwindung der Konfliktlage

Dass die venezolanische Gesellschaft in der Lage ist, ihre Differenzen zu lösen und die Krise zu überwinden, wurde bei dieser Gelegenheit unter Beweis gestellt und im Übrigen auch durch Resolutionen von Gremien wie der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) anerkannt.

Vor diesem Hintergrund betrachten wir die Forderungen nach einer ausländischen Intervention, die in bestimmten Oppositionskreisen immer wieder laut werden und auch von einigen internationalen Akteuren erhoben wurden, als inakzeptabel und sie tragen nicht dazu bei, den Konflikt im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu entschärfen.

Andererseits ist eine notwendige Voraussetzung für Fortschritte auf dem Weg zu einer Verhandlungslösung dieses Konflikts, der von den Anstiftern der gewaltsamen Proteste ausgelöst wurde, die gegenseitige Anerkennung der politischen Kräfte, die sich an der Regierung und in der Opposition befinden. Der Einsatz gewaltsamer Proteste und die Manipulation der Medien sind keine Lösung für die von der Opposition berechtigterweise aufgeworfenen Probleme, denn um diese anzugehen, müssen über die in der Verfassung vorgesehenen institutionellen Kanäle einvernehmliche politische Maßnahmen entwickelt und umgesetzt werden. Der Einsatz solcher Taktiken als Strategie, um eine rechtmäßig gewählte Regierung zum Rücktritt zu zwingen, wie es in den Aufrufen und Losungen der Demonstranten ständig gefordert wird, bedeutet, sich neben Verfassung und Völkerrecht zu stellen, wo der Einsatz von Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele zu keinem Zeitpunkt anerkannt ist. Dazu kommt die Ablehnung der Anführer der Opposition und der Proteste sich am Dialog zu beteiligen und die fehlende Verurteilung dieser Formen von Protest durch die Oppositionsführer.

Der offene und transparente nationale Dialog ist die einzige legitime und unter Einhaltung der Menschenrechte gangbare Form, um der eskalierenden Gewalt Einhalt zu gebieten, die ein irreversibles Ausmaß erreichen kann, wenn sie sich so fortsetzt, wie es der von der Opposition angeschlagene Ton vermuten lässt. Die von der Regierung in dieser Hinsicht ergriffenen Initiativen und die vor kurzem einberufene "Nationale Konferenz für den Frieden und das Leben" müssen die Plattform sein, die diesen Dialog ermöglicht. Deshalb sehen wir mit Sorge die Weigerung einer Teilnahme durch das Oppositionsbündnis "Tisch der Demokratischen Einheit" (MUD), trotz der Mitwirkung verschiedener Sektoren des nationalen Lebens wie Unternehmer, Kirchen, führende Vertreter politischer Parteien, Studenten, soziale und kulturelle Bewegungen, nationale und regionale Regierungsvertreter sowie auch Behördenvertreter. Die Konferenz hat mittlerweile eine Reihe von Vorschlägen erarbeitet, um dringende Themen für das Land, die bei den Protesten vorgebracht wurden, anzugehen.

Unsere Forderungen

Als Menschenrechtsaktivisten und angesichts der zuvor beschriebenen Entwicklungen erklären wir Folgendes:

  • Wir verurteilen das Fortbestehen von Praktiken, die eine Verletzung der Menschenrechte darstellen und fordern mit Nachdruck ihre umfassende Aufklärung, die Bestrafung der Verantwortlichen und vor allem die Beseitigung der sie fördernden Verhältnisse. Das Vorgehen der Sicherheitskräfte muss die Standards, die eine Einhaltung der Menschenrechte gewährleisten, strikt einhalten.
  • Wir solidarisieren uns mit den Opfern und ihren Angehörigen und rufen sie nachdrücklich auf, sich an die zuständigen Justizbehörden zu wenden.

  • Wir fordern die venezolanischen Behörden auf, Maßnahmen in die Wege zu leiten, um möglichst kurzfristig den Reformprozess bei der Polizei zu intensivieren und die neue Polizeistruktur zu konsolidieren, in die auch Sicherheitsorgane wie SEBIN, GNB und die Kriminalpolizei CICPC einbezogen werden müssen.

  • Wir verurteilen entschieden den von einer Bevölkerungsminderheit ausgeübten gewaltsamen Protest und warnen vor dem möglichen Aufkommen neuer Muster der Gewalt, die durch gezielte Tötungen mit Schusswaffen gekennzeichnet sind.

  • Wir lehnen es ab, dass Menschenrechte weiterhin zu anderen Zwecken instrumentalisiert werden als zu ihrem Schutz und ihrer Achtung, so wie es in der jetzigen Situation versucht wurde.

  • Wir fordern die internationalen und nationalen Medien sowie die verschiedenen Menschenrechtsorganisationen auf, bei ihrer Beobachtung der gegenwärtigen Lage in Venezuela ausgewogen und neutral vorzugehen und Sachverhalte zu prüfen und es zu unterlassen, durch Manipulation von Fakten die Standpunkte derjenigen zu stützen, die zum gewaltsamen Protest ermutigen, um verfassungswidrige und mit demokratischen Grundsätzen unvereinbare Ziele zu verfolgen

  • Wir fordern die Führung der Opposition dazu auf, die Gewalt entschieden zu verurteilen und dem Aufruf von Amnesty International Folge zu leisten, in dem sie eindringlich gebeten wurden, "An ihre Anhänger zu appellieren, keine Gewalttaten zu verüben, einschließlich Angriffe auf Personen wegen ihrer politischen Präferenzen". Ebenso rufen wir sie dazu auf, sich aktiv und mit Vorschlägen an den von der nationalen Regierung in die Wege geleiteten Initiativen zum Dialog zu beteiligen.

  • Wir appellieren an alle Bürger, unabhängig von ihren politischen Sympathien, Abstand von gewaltsamen Wegen zu nehmen, um ihre eigene Unzufriedenheit auszudrücken

  • Wir fordern alle politischen Akteure und Kräfte des Landes auf, die in der venezolanischen Verfassung festgelegten Wege und Zeitrahmen zu achten, um ihre Differenzen beizulegen.

Caracas, 25. März 2014

Unterzeichner:

1. Keymer Ávila, Rechtsanwalt, Forscher und Hochschullehrer; Forschungsgebiet: Strafrechtssysteme und Menschenrechte

2. Ana Barrios, Mitglied des Koordinationsteams von Provea (1990 1995), Mitglied von Amnesty International Venezuela (2004-2009), außerordentliches Mitglied des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden („Red de Apoyo por la Justicia y la Paz“) (2000-heute).

3. María Isabel Bertone, Bildungsarbeiterin im Bereich Menschenrechte, Koordinationsteam von Provea (1996-2005).

4. Liliane Blaser Aza, Dokumentarfilmerin, Menschenrechtsaktivistin. Sie hilft Opferangehörigen, Zeugenaussagen zu sammeln und Klagen in kritischen Momenten herauszubringen: zum Beispiel am 27. Februar 1989, bei der Tragödie in Vargas 1999, beim Putsch 2002, auch in Honduras, Irak und Palestina.

5. Marieva Caguaripano, Tätig in der Öffentlichkeitsarbeit, Koordinatorin des Bereichs Kommunikation und Information, Mitglied des Koordinationsteams von Provea (1990-1995), Produzentin von Präventions- und Sensibilisierungskampagnen zu Teenagerschwangerschaften und häuslicher Gewalt (2010 2012).

6. Alba Carosio, Feministische Menschenrechtsaktivistin seit 1975, Dozentin und Forscherin an der Universidad Central de Venezuela.

7. Cristóbal Cornieles Perret Gentil, Rechtsanwalt, Mitglied der Generalversammlung des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden (seit 2006), beratendes Mitglied des Bildungszentrums CECODAP (1999-2007), Mitglied des Rechtsschutzteams der Anti-Aids-Initiative ACCSI (1999-2000), Mitglied des Kollektivs „Aportes“ zur umfassenden Arbeiterbetreuung (1995-1998), Mitglied von Provea (1994-1995).

8. Luis Díaz, Forscher. Zentrum für Frieden und Menschenrechte („Centro para la Paz y los Derechos Humanos“), Universidad Central de Venezuela (1996-2009).

9. Michael Adolfo Díaz Mendoza, Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivist, Mitarbeiter des Hilfszentrums Gemeinschaft-Universität („Centro de Apoyo Comunidad Universidad – CEA-UC) (2000-2008), Mitglied des Bildungs- und Forschungskollektivs für soziale Entwicklung („Colectivo de Educación e Investigación para el Desarrollo Social“ – CEIDES) (2008-2010).

10. Ricardo Dorado Cano-Manuel, Ex-Mitglied und Ex-Leiter der juristischen Abteilung von Provea (1991-1995). Leiter des Koordinationsteams von Colectivo Aportes (1995-1999).

11. Isamar Escalona, Verantwortlich für Gruppen und Netzwerke, Bildungsabteilung von Provea (2000-2006).

12. Pedro Pablo Fanega, Mitglied des Zentrums für Gemeinschaftsorganisation und Menschenrechte des Bundesstaates Vargas („Centro de Organización Comunitaria y Derechos Humanos del Estado Vargas“ – Codehva) (2004-2007), Mitglied der Nationalen Kommission für die Polizeireform (2006-2007).

13. Julio Fermín Salazar, seit 1980 Mitglied des Teams für Bildung, Information und Öffentlichkeitsarbeit („Equipo de Formación, Información y Publicaciones“ – EFIP), seit 1982 Mitglied der Nachrichtenagentur ALAI („Agencia Latinoamericana de Información“).

14. Pablo Fernández Blanco, Mitglied und Koordinator des Programms für Menschenrechtsbildung (1996-2005) und Hauptkoordinator (2006-2012) des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden.

15. Judith Galarza Campos, Schwester von Leticia Galarza, die am 5. Januar 1978 in Mexiko-Stadt aus politischen Gründen verschleppt wurde; Gründerin des Unabhängigen Menschenrechtskomitees von Chihuahua („Comité Independiente de Chihuahua pro defensa de los derechos humanos“) und der Vereinigung der Angehörigen von Verhafteten und Verschwundenen AFADEM; derzeit Exekutivsekretärin des Lateinamerikanischen Verbandes der Angehörigen von Verhafteten und Verschwundenen („Federación Latinoamericana de Familiares de Detenidos Desparecidos“ – Fedefam).

16. Jesús Chucho García, Stiftung „Fundación Afroamérica y La Diáspora Africana“.

17. Angel Osiel González Alvarado, Mitglied der Regionalen Koordination der arbeitenden Kinder und Jugendlichen („Coordinación Regional de Niñas, Niños y Adolescentes Trabajadores“ – CORENATs) in Venezuela. Mitarbeiter der Lateinamerikanischen und Karibischen Bewegung der arbeitenden Kinder und Jugendlichen („Movimiento Latinoamericano y del Caribe de Niñas, Niños y Adolescentes Trabajadores – MOLACNATs).

18. Iván González Alvarado, Mitglied der Generalversammlung und Berater von Provea (1994-2013).

19.Antonio J. González Plessmann, Mitglied des Koordinationsteams von Provea (1999-2005), außerordentliches Mitglied des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden (2005-heute).

20. Enrique González, Mitglied von Provea (1995-1999) und der Anti-Aids-Intiative ACCSI (2000-2001), Forscher des Bildungszentrums Cecodap (2002-2003).

21. Martha Lía Grajales Pineda, Koordinatorin des Programms für Menschenrechtsbildung des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden (2008-2009), Mitglied der Generalversammlung des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden.

22. Alejandra Guédez, Anthropologin, Medienproduzentin und Forscherin. Erfahrung mit indigenen und afrikanischstämmigen Gemeinschaften, Kommunalräten („consejos comunales“), Volkskünstlern, schwangeren Teenagern sowie Kindern und Jugendlichen.

23. Damelis Guerra Zapata, Ex-Mitarbeiterin im Bildungsbereich von Provea (1991-1995); Ex-Leiterin des Koordinationsteams des Bildungsbereichs von Colectivo Aportes (1995-2003)

24. Mary Luz Guillén. Rodríguez, Mitglied des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden (seit 1993). Forscherin und Lehrerin an der Schule für Menschenrechtsbildung „Juan Vives Suria“ beim Amt des Bürgerbeauftragten.

25. Erick Gutiérrez García, Rechtsanwalt, freiwillige Rechtsberatung (1987), Forscher bei Provea, Exekutivsektretär der venezolanischen Kapitels der Interamerikanischen Plattform für Menschenrechte, Demokratie und Entwicklung („Plataforma Interamericana de DD.HH., Democracia y Desarrollo“ – PIDHDD), Forscher und Lehrer an der Schule für Menschenrechtsbildung beim Amt des Bürgerbeauftragten.

26. María Lucrecia Hernández, Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin.

27.María Paula Herrero, Leiterin des Bereichs Kommunikation und Information bei Provea (1989, 1996).

28. Elba Martínez Vargas, Leiterin des Projekts Menschenrechtsbildung der venezolanischen Sektion von Amnesty International (1992-1993), Mitglied des Teams von Provea (1994-1996).

29. Africa Matute, Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin, Mitglied des Programms zur umfassenden Opferbetreuung, Hilfsnetzwerk für Gerechtigkeit und Frieden (2010-2013).

30. Lilian Montero, Mitglied des Teams von Paz Presente (1987–1990), Mitglied des Koordinationsteams von CECODAP (1991-1998/2001-2007), Mitglied der Generalversammlung des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden (2006).

31. Vicmar Morillo Gil, Leiterin des Bereichs Information und Forschung bei Provea (1993-1999/2000-2004), Mitglied der Generalversammlung des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden..

32. Gioconda Mota Gutiérrez, Bildungsarbeiterin, Mitglied des Netzwerks „La Araña Feminista“. Setzt sich aktiv für Menschenrechte von Frauen ein.

33. Gregorio Javier Pérez Almeida. Gründer des Lehrstuhls für Menschenrechte der Hochschule Pedagógico de Caracas im Jahr 1991; Redakteur der Radiosendung El Morral de los derechos beim gemeinschaftlichen Hörfunk Al Son del 23, 94.7 FM; Professor des Seminars „Kritische Einblicke zum Thema Menschenrechte“ bei der Stiftung Vives Suriá.

34.Maureen Riveros, tätig in der Öffentlichkeitsarbeit, Komitee gegen das Vergessen und für das Leben („Comité contra el Olvido y por la Vida“), PROVEA (1999–2006)

35. María Elena Rodríguez, Mitglied des Teams von Provea (1995–2007), außerordentliches Mitglied des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden (seit 2009).

36. José Ángel Rodríguez Reyes, Mitarbeiter von Provea (1997–1998), Mitglied von Amnesty International (1984–1999).

37. Ileana Ruiz, tätig in der sozialen Öffentlichkeitsarbeit, seit 1987 Mitglied des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden: Menschenrechtsbildung, Bürgeraufklärung, alternative Formen der Rechtsanwendung, Rehabilitierung von Folteropfern.

38. Marvelys Sifontes Cerrada, Rechtsanwältin, Sozialarbeiterin, vom Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden ausgebildete Menschenrechtsaktivistin, (über fünf Jahre); tritt aktiv für die Rechte von Kindern und Jugendlichen ein.

39. Barbara Tineo Toro. Sozialarbeiterin und Menschenrechtsaktivistin.

40. Belkis Urdaneta Jayaro, außerordentliches Mitglied des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden (seit 1994).

41. Wilman Verdú Canache, für die Gemeinden aktiver Menschenrechtler, tätig in der Volksbildung, freiwilliges Mitglied des Hilfsnetzwerks für Gerechtigkeit und Frieden (seit 1997), außerordentliches Mitglied der Generalversammlung dieses Netzwerks, aktiv in der sozialen Öffentlichkeitsarbeit und Menschenrechtsbildung für Polizeikräfte, Moderator und Produzent der Radiosendung „UNES fuerzo por la Paz y la Vida“.

42. Asia Villegas Poljak. Doktorin der medizinischen Wissenschaften. Aktivistin in der Frauenbewegung zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit und Rechte. Nationale Sonderombudsfrau für den Gesundheitsbereich und soziale Sicherheit des Ombudsrats (2003-2004). Leiterin der Kommission zu Menschenrechten und Verfassungsgarantien der Verfassunggebende Versammlung (1999).