Argentinien

Fliegender Wechsel

Argentinien: Cristina Fernández wird heute Präsidentin. Sie steht vor allem für Kontinuität

Buenos Aires. Das Amt bleibt in der Familie: Wenn Néstor Kirchner die Präsidentenschärpe heute nachmittag im Kongress an seinen Nachfolger übergibt, wird er in die Augen seiner Ehefrau blicken. Die Anwältin und Exsenatorin Cristina Fernández de Kirchner wurde Ende Oktober als erste Frau ins oberste Staatsamt Argentiniens gewählt. Die 54jährige wird damit nach Chiles amtierender Staatschefin Michelle Bachelet die zweite Präsidentin eines südamerikanischen Landes überhaupt. Im Vorfeld ihres Amtsantritts überschlugen sich die ausländischen Kommentatoren mit hanebüchenen Vergleichen. Einmal wurde in ihr die argentinische Hillary gesehen, ein andermal die Reinkarnation Evitas - die zum Mythos verklärte Ehefrau des Caudillos Juan Perón.

Doch Cristina Fernández gleicht keiner von beiden. Die Vollblutpolitikerin steht ihrem Mann in nichts nach. Bereits während dessen Amtszeit war sie seine wichtigste Beraterin und hielt ihm als Chefin der Mehrheitsfraktion des Senats den Rücken frei. Néstor Kirchner hat sie im Gegenzug in den vergangenen Monaten konsequent als seine Nachfolgerin aufgebaut und auch auf dem internationalen Parkett eingeführt. Anders als bei vorangegangenen Präsidentschaftswahlen ging ihrer Nominierung keine parteiinterne Kandidatenkür voran. Néstor Kirchner stellte sie nach langen Spekulationen, ob er sich selbst der Wiederwahl stellen würde, schließlich im Sommer für die von ihm geführte Frente para la Victoria auf. Dabei ist Cristina Fernández nicht unumstritten: weder in ihrer eigenen Partei, der PJ (Peronistische Gerechtigkeitspartei) noch bei den Wählern. Nur 45,2 Prozent stimmten am 28. Oktober für sie. Viele Argentinier gingen überhaupt nicht zur Wahl - obwohl dies in dem Land Pflicht ist -, und so kam es zur niedrigsten Wahlbeteiligung seit der Rückkehr zur Demokratie.

Mit weniger Stimmen wurde nur Néstor Kirchner Präsident. Und selbst viele ihrer Wähler stimmten nur halbherzig für Cristina Fernández. Kommentatoren bezeichneten sie als das "kleinere Übel". Dass sie auf keine ernstzunehmenden Gegner bei der Wahl traf, hat mit der tiefen Krise des politischen Leben Argentiniens zu tun: Die Parteienlandschaft ist zerrüttet, die peronistische Bewegung in verfeindete rechte und ultrarechte Fraktionen zerfallen, die einstige sozialdemokratische Regierungspartei UCR ("Radikale Bürgerunion") in die Bedeutungslosigkeit abgesunken. Das Wahlbündnis von Cristina Fernández de Kirchner vereint den Zentrumsflügel der Peronisten, sowie eine Handvoll verbliebener Gouverneure der UCR. Aus deren Reihen stammt auch der künftige Vizepräsident Julio Cobo.

Politisch steht Argentiniens neue Präsidentin für Kontinuität. Sie tritt mit dem Versprechen an, den wirtschaftlichen Kurs ihres Mannes fortzusetzen. Dieser hatte es geschafft, das Land aus der schwersten Wirtschaftskrise der vergangenen 100 Jahre zu führen. Seit 2003 wächst Argentiniens Bruttoinlandsprodukt wieder kräftig. Cristina Fernández versprach vergangene Woche weiteres Wachstum und institutionelle Stabilität.

Ihr neues Kabinett wird im wesentlichen das alte sein. Wichtigste Neuzugänge sind der Wirtschaftsminister Martín Lousteau, Ökonom und Präsident des zweitgrößten Bankhauses des Landes, und der Staatssekretär für Industrie, Fernando Fraguío, bislang hoher Funktionär im Verband der Automobilhersteller, dem wichtigsten Industriezweig Argentiniens. Beide stehen für die unter Néstor Kirchner geschmiedete Allianz von Politik und einheimischer Industrie.

Dass sie dennoch neue Akzente setzen muss, wird unvermeidlich sein. Argentinien braucht, um seinen Wachstumskurs vertiefen zu können, verstärkt internationale Investitionen. Die Industrieländer hatten sich in den vergangenen Jahren zurückgehalten, nachdem Néstor Kirchner die Abkehr vom Internationalen Währungsfonds (IWF) eingeläutet und eine Streichung von Teilen der Auslandschulden durchgesetzt hatte. Die neue Präsidentin hat bei Reisen nach Spanien und Deutschland vor Amtsantritt bereits signalisiert, dass sie im Gegenzug für neues Engagement bereit sei, wieder über die Rückzahlung von noch vorhandenen Schulden zu verhandeln.

Ihr größte Herausforderung erwartet sie allerdings zu Hause. Die Inflation droht, außer Kontrolle zu geraten. Zuletzt wurde der Regierung vorgeworfen, die Rate zu manipulieren, da sie mit 6,6 Prozent (Durchschnitt von Januar bis Oktober) weit unter den von Verbraucherverbänden ermittelten Werten zwischen 15 und 20 Prozent liegt. Der von Cristina Fernández angekündigte neue Sozialpakt zwischen Unternehmern und Gewerkschaften hat vor allem das Ziel, künftige Lohnforderungen der Arbeiter einzuschränken und so die Inflation vermeintlich zu dämpfen. Damit ändert sich aber nichts an der durch die Krise 2001/2002 verschärften Entwicklung, die weite Teile der Mittelschicht in die Armut gestürzt hat.


Den Originaltext in der Tageszeitung junge Welt finden Sie hier.