Venezuela / Medien

Information statt Freiheit

Die Berichterstattung über Entzug der Lizenz für den privaten Sender RCTV in Venezuela zeugt von der Einseitigkeit der Medien

Mit wütenden Demonstrationen und Freudenfeiern wurden in Venezuela die letzten Sendestunden des größten privaten Fernsehsenders "Radio Caracas Televisión" (RCTV) begleitet. Die Übertragung endete Sonntag um Mitternacht, nachdem die Regierung bereits im Dezember vergangenen Jahres entschieden hatte, dem Sender die Lizenz für die Nutzung des zweiten staatlichen Kanals über den 27. Mai hinaus nicht zu verlängern. Die Verfügung wurde in dem südamerikanischen Land extrem unterschiedlich bewertet. Während die Gegner der linksreformistischen Regierung das Ende der Meinungsfreiheit beklagten, feierten Zehntausende Menschen in der Innenstadt von Caracas den Start einer neuen staatlichen Sendeanstalt. Das "Venezolanische Soziale Fernsehen" (TVes) nahm planmäßig um 00:01 Uhr Montag früh seinen Betrieb auf.

Dass damit nicht das letzte Wort gesprochen ist, wurde spätestens mit den Montagausgaben der Tageszeitungen deutlich. "Geschlossen ... aber nur vorläufig" verkündeten ganzseitige RCTV-Anzeigen. Die Formulierung ist bewusst an eine Äußerung des Präsidenten angelehnt. Als dieser sich im Februar 1992 nach einem gescheiterten Putsch gegen die damalige Regierung von Carlos Andrés Pérez im Fernsehen an seine Mitstreiter richtete, wollte auch er nur das "vorläufige" Scheitern des Vorhabens anerkennen. Der Auftritt legte den Grundstein für den Wahlsieg Chávez' rund sieben Jahre später. RCTV dürfte es schwieriger haben. Nach zwanzig Jahren hat die Telekommunikationsbehörde CONATEL dem Sender die Lizenz für den zweiten staatlichen Kanal nicht verlängert. Nachdem das Signal der neuen Anstalt TVES zugestanden wurde, gibt es kein Zurück mehr.

Ringen um politische Hoheit

Dabei geht es weniger um "Freiheit" oder "Menschenrechte", wie von der Opposition in den vergangenen Wochen immer wieder postuliert wurde. Der Konflikt um die Lizenz von RCTV dreht sich vielmehr um die politische Hoheit in dem südamerikanischen Land. Spätestens seit Chávez Anfang 1999 die Regierung übernommen hat, sind die traditionellen Parteien in die Marginalität abgerutscht. Und in dem Maße wie die klassischen politischen Akteure ihren direkten Einfluss auf die Geschicke des Staates verloren, wurde ihre Mission von den privaten Medienkonzernen übernommen. Das Privatfernsehen war fortan nicht mehr Medium, sondern politische Interessenvertretung. Und RCTV spielte dabei von Beginn an eine zentrale Rolle.

Die rechtskonservative Oppositionspartei Primero Justicia etwa ging unter anderem aus einer politischen Talkshow hervor, die Mitte der neunziger Jahre auf dem Kanal ausgestrahlt wurde. Die Sendung "Justicia Para Todos" (Gerechtigkeit für alle) wurde damals von Julio Borges moderiert - heute einer der prominentesten Vertreter der Gruppierung.

Im April 2002 nahm "Primero Justicia", die unter anderem von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützt wird, aktiv an dem Putschversuch gegen die Regierung teil. Dieser Aktivismus unterschied sich nicht von der Politik des Senders. Auch RCTV begünstigte den versuchten Staatsstreich offen, indem den Aufrührern ein Forum geboten wurde. Regierungsvertreter hingegen durften auf Weisung der Sendeleitung ebenso wenig zu Wort kommen, wie Berichte über die Gegendemonstrationen zugelassen wurden.

Informationsminister Willian Lara erinnerte unlängst daran, dass seit Chávez' Amtsantritt Medien ausschließlich von der Opposition geschlossen wurden. Betroffen waren der Staatssender VTV und der lokale Hauptstadtsender CatiaTV. Die Lizenz zur Nutzung des staatlichen Kanals nicht zu verlängern, wurde daher mit der Rolle von RCTV als politischer Akteur begründet. Die Regierung hatte trotz der über 600 Verstöße gegen den Vertrag und das Mediengesetz fünf Jahre bis zum Ende der vereinbarten Nutzungsfrist gewartet, um Eigenbedarf anzumelden.

Die venezolanische Regierung wird kein Medium schließen. Am Sonntag läuft lediglich die Sendelizenz von RCTV aus. (Informationsminister Willian Lara)

Nach Angaben des Informationsministers hätte der Sender zudem die Option gehabt, sein Programm über einen privaten Kanal aufrecht zu erhalten. Doch diese Möglichkeit wurde nicht genutzt. Stattdessen gingen Sympathisanten mit der irreführenden Losung "Nein zur Schließung von RCTV" auf die Straße.

Gewalt vor Sendeschluss

Die bewusste Zuspitzung blieb nicht ohne Folgen. Als am Sonntagabend Tausende Regierungsgegner vor den Sitz der CONATEL zogen, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nach Augenzeugenberichten wurden die Beamten vor dem Behördensitz zunächst Steinen und Flaschen beworfen, bevor bisher Unbekannte das Feuer eröffneten. Während der Angriffe wurde fast ein Dutzend Polizisten verletzt. Der Chef der Hauptstadtpolizei, Francisco Romero, machte daraufhin bekannte Aktivisten der Opposition verantwortlich. So sei Oscar Pérez, der Anführer der Gruppe "Widerstandskommando", unter den Gewalttätern beobachtet worden.

In der medialen Darstellung fand sich davon wenig. Während die Polizisten mit zum Teil schweren Verletzungen in den umliegenden Krankenhäusern behandelt wurden und der bislang einzige staatliche Kanal VTV die frischen Einschusslöcher an der Fassade des Behördensitzes zeigte, berichtete die Korrespondentin von RCTV bis kurz vor Sendeschluss von "kleinen Zwischenfällen" während einer sonst "friedlichen Demonstration für Pressefreiheit und Menschenrechte". Beachtlich ist, dass sich diese einseitige Darstellung fast uneingeschränkt in der ausländischen Presse wiederfindet. "Geschosse gegen Chávez-Gegner", hieß es etwa im deutschen Nachrichtenmagazin Focus, während der Sender N-TV von "Gewalt gegen Opposition" und "Chávez' Schattenseite" berichtet.

Dabei waren es unbekannte Regierungsgegner, die kurz vor dem Stichtag zur Rebellion gegen die Regierung und Gewalt aufgerufen hatten. In einer Nachricht auf der Frequenz des Polizeifunks hatten sie die Uniformierten aufgefordert, sich den Protesten anzuschließen, um die Regierung zu stürzen. In ausländischen Blättern fand sich davon ebenso wenig wieder wie von den Massenkundgebungen zugunsten der Regierungsentscheidung am Wochenende. Auch das ist ein Indiz dafür, dass es im Rahmen des Konfliktes zwischen dem venezolanischen Staat und den oligarchischen Privatmedien nicht ausschließlich um die Pressefreiheit, sondern - gerade umgekehrt - um die Informationsfreiheit der Konsumenten geht.

Demokratisierung des Rundfunks

So gesehen gibt die einseitige Informationslage der venezolanischen Regierung in ihrer Entscheidung Recht. Denn auch wenn in den vergangenen Jahren alternative Medien auf lokaler und regionaler Ebene ausgebaut wurden, lag die Informationshoheit bis zuletzt fest in der Hand der privaten Medienkonzerne. Alleine die Privatsender Televen und RCTV stellten nach Angaben der CONATEL zuletzt über die ihnen angehörigen Produktionsfirmen 80 Prozent der Informationssendungen her. Der Blick des Auslands auf Venezuela entspricht demnach weitestgehend dem Blick der Großkonzerne auf das sozialreformerische Regimes Chávez'. Im Umkehrschluss ergibt die fast einhellige Kritik an der Nicht-Verlängerung der Lizenz in der deutschsprachigen Presse nur dann Sinn, wenn die uneingeschränkte Akzeptanz der Gegnerschaft eines Mediums zur Regierung fernab journalistischer Kriterien zum Maßstab für Demokratie und Pressefreiheit gemacht wird.

Die Demokratisierung des Rundfunks, wie sie durch den Senderwechsel erreicht werden soll, steht allerdings noch aus. Führende Angehörige der venezolanischen Regierung und Intellektuelle des Landes betonen, dass mit dem neuen Kanal TVES eine öffentliche Anstalt nach europäischem Vorbild geschaffen werden soll. TVES ist zwar dem Informationsministerium formell angeschlossen, politisch jedoch autonom. Mittelfristig soll sich TVES durch Werbeeinnahmen selbst finanzieren. Doch die Unabhängigkeit wird erstritten werden müssen. Nicht nur weil Präsident Chávez die Sendechefin Lil Rodríguez per Fingerzeig bestimmt hat und sie ihm dafür in der ersten übertragenen Rede sogleich dankte. Eine Etablierung als unabhängiges öffentliches Medium wird vor allem schwierig, weil TVES von der privaten Konkurrenz im Land als Sprachrohr der Regierung diffamiert wird. Und das ist, was im Ausland wahrgenommen werden wird.