Venezuela

Fünf Artikel für die Revolution

Verfassungsreferendum in Venezuela: Die unbegrenzte Wiederwahl von Politikern soll möglich werden. Vor allem geht es um den Staatschef

Einige Wochen erst liegen die Regional- und Kommunalwahlen zurück, da steht Venezuela schon wieder vor einer Abstimmung. 17 Millionen Wahlberechtigte sind an diesem Sonntag an die Urnen gerufen.

Entschieden wird über die Änderung von fünf Artikeln der Verfassung aus dem Jahr 1999. Wird die Initiative der Regierung angenommen, ändert sich ein Prinzip: Die Beschränkung von Amtszeiten politischer Mandatsträger würde aufgehoben. Natürlich denkt dabei zunächst niemand an Gouverneure, Parlamentsabgeordnete oder Bürgermeister. Die Debatte dreht sich fast nur um Staatschef Hugo Chávez Frías. Gerade erst feierte der 54-jährige Ex-Oberstleutnant sein zehnjähriges Amtsjubiläum: Am 2. Februar 1999 hatte er sein Amt das erste Mal angetreten. Es war der Startschuss für die "bolivarische Revolution", wie der soziale und politische Reformprozess unter Chávez seither bezeichnet wird.

Wenn am Sonntag um sechs Uhr abends die Wahllokale schließen - zwei Stunden später als sonst üblich -, wird das Ergebnis womöglich über das Schicksal dieses Reformprozesses entscheiden. Auf jeden Fall aber über das von Chávez selbst. Scheitert das Vorhaben, wäre der Führer der "bolivarischen Revolution" 2013 zum Rückzug gezwungen. Eine Alternative ist nicht in Sicht, das Scheitern der letzten Verfassungsreform im Dezember 2007 zudem im Gedächtnis. Schon damals war die Aufhebung der Mandatsbeschränkung Teil eines Reformpakets.

Damals habe es "Probleme bei der Mobilisierung" gegeben, sagte Blanca Eckout unlängst gegenüber dem spanischsprachigen Dienst der Deutschen Presse-Agentur. Die bekannte Medienaktivistin ist führendes Mitglied der Regierungskampagne für die Reform. "Wir hatten damals zu wenig Zeit, alle Vorhaben zu erklären", fügte sie an. Die Menschen - auch die Anhänger der Regierung - seien verunsichert gewesen. Nun ist Eckout zuversichtlich. Anders als noch Ende 2007 seien die Regierungskräfte heute in der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) organisiert. Zudem unterstützten selbst Teile der Opposition das Vorhaben.

Die bekannte "Chavistin" weist damit indirekt auf ein politisches Dilemma hin: In Ermangelung von Alternativen wird nur Chávez eine Fortführung des Reformprozesses über 2013 hinaus zugetraut. Um die notwendige Unterstützung für das Vorhaben zu mobilisieren, musste er aber gleichfalls alle anderen Ämter zur unbegrenzten Wiederwahl freigeben; auch die von fragwürdigen Berufspolitikern und eben die seiner Widersacher.

Beträchtliche Teile der Opposition laufen dennoch gegen die Verfassungsänderung Sturm. Am Wochenende vor dem Votum demonstrierten Zehntausende Gegner - aber auch Anhänger - in der Hauptstadt Caracas. Den Chávez-Kontrahenten ist jedes Mittel recht. In einer polemischen Zeitungsanzeige gegen Polizeigewalt verwendeten sie - in Ermangelung von entsprechenden Gewaltszenen aus dem eigenen Land - ein Foto, das 2003 in Athen gemacht worden war. Mit Brandstiftung und Zerstörungen versuchten sie, die Sicherheitsorgane aus der Reserve zu locken. Und natürlich erhalten sie Hilfe aus dem Ausland. Der neokonservative US-Thinktank Cato Institute setzte sich öffentlich für die Kampagne der Chávez-Gegner ein. Die unbegrenzte Wiederwahl des rechtskonservativen kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe hatte das Institut als "demokratisches Recht" unterstützt.

"Bei diesem Referendum geht es um die Ausweitung der demokratischen Rechte der Bevölkerung", sagte unlängst Venezuelas Botschafterin in Berlin, Blancanieve Portocarrero. Die Menschen in ihrem Land sollten die Möglichkeit bekommen, ohne Einschränkung "ihre" Vertreter zu wählen.

Die Diplomatin verwies bei einer Veranstaltung in der Botschaft detailliert auf die sozialpolitischen Erfolge der Staatsführung. Die Armut sei seit dem Antritt der Regierung um 50 Prozent reduziert worden. Die extreme Armut sei von 42 Prozent der Bevölkerung in den 90er Jahren sogar auf 9,5 Prozent gesenkt worden.

Dass all dies bei einer Rückkehr der Chávez-Gegner gefährdet wäre, hatten diese nach den Regional- und Kommunalwahlen im November bewiesen. In mehreren von ihnen eroberten Bundesstaaten und Kommunen wurden Sozialprojekte der Regierung umgehend geschlossen. In einigen Fällen kam es zu gewaltsamen Übergriffen auf die Aktivisten dieser Programme.


Den Originalbeitrag der Tageszeitung Neues Deutschland finden Sie hier.