Port-au-Prince. Zeitgleich mit der Ernennung von zehn neuen Regierungsgesandten für die zehn Provinzen Haitis hat der amtierende Präsident
des Landes, Michel Martelly, ein neues Gremium aus der Taufe gehoben. Mit dem "Präsidialen Beirat für Entwicklung und Investitionen" (CPP-DEI) soll das Land endlich aus der lähmenden Schockstarre im Aufbauprozess herausgeführt werden. Das neue Gremium steht unter dem Vorsitz des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton und soll unter aktiver Mitwirkung illustrer Persönlichkeiten wie des verhinderten Präsidentschaftskandidaten und Hip-Hop-Stars Wyclef Jean funktionieren.
Am Tag der Ankündigung tauchte in den haitianischen Medien auch eine Meldung der neuen digitalen Tageszeitung von US-Medienmogul Rupert Murdoch ("The Daily") auf, wonach die "Clinton Global Initiative" den Startschuss für die Realisierung eines aufwendigen Industrieparks nördlich der Hauptstadt Port-au-Prince gegeben habe. Es handele sich um ein Investitionsvolumen von 1,3 Mrd. US-Dollar. Auf einem Gelände von insgesamt 15.000 Hektar soll eine ausgediente Zuckerfabrik in ein kommerzielles Zentrum mit Büros und Gastronomie umgewandelt werden, etwa 2.000 Wohnungen gebaut werden und eine Reihe von Fertigungsstätten internationaler Textilunternehmen entstehen. Der bisherige Eigentümer des Geländes, Patrick Blanchet von der haitianischen Immobilienfirma NABATEC, äußerte sich zufrieden über die Aussichten weiterer Ansiedlungen internationaler Firmen in Haiti. "Die Gewinnspannen in asiatischen Ländern werden immer geringer, deshalb entscheiden sich viele Unternehmen für einen Wechsel des Standortes." (Le Nouvelliste, 9.9.)
Das alles geschieht in einer Situation hochgradiger Unsicherheit, was die politische Zukunft des Landes anbetrifft. Nach wie vor gibt es keine neue Regierung. Der dritte von Martelly vorgeschlagene Kandidat für das Amt des Premierministers, Gary Conille, hat gerade erst seine Unterlagen beim Parlament und Senat eingereicht. Es handelt sich um einen früheren UN-Funktionär, der seit Juni dieses Jahres auch engster Berater von Clinton in seiner Eigenschaft als Sondergesandter der UNO und Vize-Präsident der internationalen Wiederaufbaukommission (CIRH) ist. In den Jahren zuvor arbeitete er überwiegend in afrikanischen Ländern. Es ist also fraglich, ob er überhaupt die verfassungsgemäßen Voraussetzungen für dieses Amt erfüllt, die auch fünf Jahre ununterbrochener Residenz in Haiti beinhalten. Er ist ebenso wie seine beiden gescheiterten Vorgänger Sohn eines ehemaligen Ministers der Duvalier-Regierung. Sollte er trotz aller Vorbehalte von den beiden Kammern akzeptiert werden, dann hauptsächlich in Folge der nationalen und internationalen Druckkulisse, die den Zustand der Regierungslosigkeit nicht mehr länger hinzunehmen bereit ist.
Neues Ungemach in der Bevölkerung ist gegenüber der Blauhelmmission der UNO entstanden, nachdem bekannt wurde, dass Soldaten des uruguayischen Kontingents im entfernten Port Salut einen 18jährigen Haitianer sexuell misshandelt haben und diesen Vorgang mit einer Handykamera festhielten. Der uruguayische Präsident José "Pepe" Mujica und Verteidigungsminister Euleterio Fernández Huidobro, die beide als Tupamaros in der Zeit der uruguayischen Militärdiktatur jahrelang eingekerkert waren, beeilten sich in einem gemeinsamen Brief, das haitianische Volk wegen dieser Entgleisungen um Verzeihung zu bitten. Die Fortsetzung der immerhin 12.000 Mann starken UN-Mission ist nach weiteren Verfehlungen beim Entsorgen von Abfällen und Exkrementen in der choleraverseuchten Artibonite-Region ungewiss. Im Oktober wird der Sicherheitsrat in New York darüber zu befinden haben.