Venezuela

Chávez scheitert vorerst

Venezuelas Regierung setzt sich mit Verfassungsnovelle nicht durch. Präsident wird weiter für Reformvorschlag werben. Beweis für Demokratie

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Chávez scheitert vorerst
Denkt nach: Hugo Chávez

Caracas. Sonntagnacht, kurz nach ein Uhr, hatte das Warten ein Ende. Mit gut siebenstündiger Verspätung verkündete Tibisay Lucena, Präsidentin des Nationalen Wahlrates, in Caracas das Ergebnis der Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung: Die Gegner der Reform, mit der dem südamerikanischen Land ein sozialistisches Regierungssystem gegeben werden sollte, haben sich durchgesetzt - wenn auch äußerst knapp. Rund 1,5 Prozentpunkte lagen die Kritiker der Novellierung am Ende vor den Befürwortern. Sie setzten sich damit erstmals seit Chávez’ Amtsantritt Anfang 1999 durch.

Erschöpft, aber gefasst trat der Präsident nach Bekanntgabe der Ergebnisse vor die Kamera. In einer Liveschaltung auf allen Fernsehkanälen des Landes zeigte er sich mit dem Ausgang der Abstimmung zufrieden. Zwar habe er sich nicht durchgesetzt, doch sei dies besser als ein knappes Ergebnis, das politische Spannungen zur Folge gehabt hätte, erklärte Chávez. Er beglückwünschte seine Gegner zum Sieg. »Es wäre mit meiner Ethik nicht vereinbar gewesen, einen Sieg mit vielleicht 0,4 Prozentpunkten davonzutragen, der dann von allen Seiten angezweifelt worden wäre«. Für ihn bedeute der Ausgang des Referendums zudem keine Niederlage, sondern ein Scheitern »für diesen Moment«. Chávez spielte damit auf einen Fernsehauftritt 1992 an. Damals war er nach einem Militäraufstand gegen das neoliberale Regime von Präsident Carlos Andrés Péres live aufgetreten, um das Scheitern auch dieser Revolte »für den Moment« einzugestehen.

An die Opposition richtete er nun den Appell, den Sieg nicht zu missbrauchen. »Wir alle sollten politisch dazulernen«, sagte Chávez seinen Widersachern, »und uns dessen bewusst sein, dass wir in einer Demokratie leben. Hier gibt es keine Diktatur«. Er werde weiter für den Reformvorschlag werben.

Regierungskritiker hatten den linken Staatschef in der Debatte um das Referendum wiederholt bezichtigt, ein diktatorisches System errichten zu wollen. Trotzdem zeigten sich die politischen Anführer der Opposition in der Nacht zum Montag dann zurückhaltend. Manuel Rosales, der Chávez bei den Präsidentschaftswahlen vor einem Jahr unterlegen war, sprach von einem »Sieg für alle Venezolaner«.

Zur Abstimmung waren gut 16 Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner berechtigt. Nach Angaben des Wahlrates blieben jedoch 44 Prozent dem Referendum fern, vor allem anscheinend Anhänger des Regierungslagers. Chávez kündigte an, die Gründe dafür zu untersuchen.

Schon am Nachmittag des Wahltages hatten Beobachter eine Niederlage des Regierungslagers für möglich gehalten. Robin Stock, der sich beim Internetradio »Venezuela en Vivo« engagiert hatte, schilderte gegenüber jW »eine eher skeptische Haltung auf der Straße« geschildert. Grund dafür sei auch die zuletzt geäußerte Kritik im Regierungslager gewesen: »Deswegen war man sich der Geschlossenheit nicht mehr sicher«. Unzufriedenheit habe es etwa wegen der Art der Reform gegeben, Aktivisten hätten zudem der beabsichtigten Einbindung von Basisgruppen in staatliche Strukturen skeptisch gegenübergestanden. Roswitha Yildiz, die das Referendum für die Arbeitsgruppe Lateinamerika der Europäischen Linkspartei vor Ort beobachtete, bezeichnete den Ausgang trotzdem als »Sieg der Demokratie«. Dies habe der souveräne Auftritt des Präsidenten am Abend noch einmal belegt. Es sei nun Sache der Regierung, die Gründe für die mangelnde Unterstützung zu finden.


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