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Fünfte Gewalt schaffen

Eine Strategie gegen die Medienkonzerne als ideologische Instrumente der neoliberalen Globalisierung ist notwendig

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Fünfte Gewalt schaffen
Ignacio Ramonet

Paris. In den bürgerlichen Demokratien existieren drei traditionelle Gewalten: die Legislative, die Judikative und die Exekutive. Als die liberale Presse Anfang des 20. Jahrhunderts entstand, sprach man von einer "vierten Gewalt". Ihre Bestimmung wurde darin gesehen, Fehler der übrigen drei Gewalten zu korrigieren, wenn dies nötig würde. Diese Presse war ein Gegengewicht, das Fehlentwicklungen der Demokratie anprangern konnte. Seit rund 15 Jahren aber werden die Medien zunehmend von großen Konglomeraten kontrolliert. Diese Konzernriesen sind zugleich vehemente Verfechter der neoliberalen Globalisierung. Das Kommunikationswesen ist für sie nichts als ein großer Markt, und die Information ist ihre Ware. Mit ihr wird gehandelt wie mit Stahl oder Kohle vor einem Jahrhundert.

Kontrolle der Politik

Inzwischen sind diese Konglomerate die großen Mächte. Sie verbreiten die Meldungen über Taten und Geschäfte ihrer Eigner als "Nachrichten". Sie sorgen sich um Gewinn, nicht um die Qualität der Information. Der gesunde Bürgersinn ist ihnen abhanden gekommen; sie haben aufgehört, diejenigen zu verteidigen, die keine Stimme haben. Ganz im Gegenteil: Ihre Medien haben sich zu Kräften entwickelt, von denen die Interessen der Bürger unterdrückt werden. Diese Sender und Zeitungen haben aufgehört, das Gegengewicht darzustellen, das sie einst waren.

Über lange Zeit hinweg war es der Traum eines jeden Politikers, die Presse zu kontrollieren und zu dominieren. Heute leben wir in einer Zeit, in der das Gegenteil der Fall ist: Heute kontrollieren die Medien die Politik. Pressekonzerne schüchtern kraft ihrer medialen und wirtschaftlichen Macht die politischen Akteure ein. Es erscheint inzwischen fast unvorstellbar, daß Journalisten sich über Jahrzehnte hinweg nicht getraut haben, Politiker derart aggressiv zu attackieren, wie das heute geschieht. Heute ist es kaum mehr denkbar, daß es einst Regeln gab. Heute werden Politiker von den Medien in Grund und Boden gestampft. Manche sehen diese Allmacht als Beweis der Pressefreiheit. Ich betrachte sie als einen Beleg für die Schwäche der Politik. Denn eben diese Medien würden niemals Wirtschaftsbosse in der gleichen Art und Weise angreifen, wie sie Politiker attackieren. Dabei sind die Wirtschaftsbosse die eigentlichen Machthaber dieser Tage.

Ohne Gegengewicht

Die neuen Medienkonzerne sind heutzutage zur einzigen Gewalt mutiert, zu der kein Gegengewicht mehr existiert. Und das ist keineswegs gesund für die Demokratie. Eine Macht ohne Gegenmacht wird immer dazu tendieren, alle Bereiche des Lebens zu okkupieren. Dabei besitzt die politische Macht die eigentliche Legitimität. Die Medien hingegen sind in letzter Konsequenz nur Ausdruck wirtschaftlicher Interessen. Diese sind zwar auch legitim, müssen in einer funktionierenden Demokratie aber der politischen Sphäre untergeordnet sein.

Auch deswegen müssen die Medien autonom und unabhängig bleiben, um ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren. Die Medien dürfen nicht zum Ziel haben, die Gesellschaft zu kontrollieren, zu leiten und zu dominieren.

Tatsächlich aber wandeln sie sich zu einer ideologischen Macht, die in die gesellschaftliche Entwicklung eingreift. Deswegen ist es nötig, eine "fünfte Gewalt" zu schaffen. Diese darf nicht aus den Medienapparaten entstehen. Sie muß an Basisbewegungen orientiert und von Regierungen unabhängig sein. Sie muß von Journalisten aufgebaut werden, von Intellektuellen und von Bürgern. Diese neue Kraft ist notwendig, um die ausufernde Macht der Medienimperien zurückzudrängen.


Der im Mai 1943 im spanischen Rondela geborene Journalist Ignacio Ramonet leitet die in Paris erscheinende Monatszeitung für internationale Politik Le Monde diplomatique. Am 12. Januar ist er auf der XIII. Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin zu Gast.

Den Beitrag "Fünfte Gewalt schaffen" finden Sie im Original in der Tageszeitung junge Welt.