Argentinien diskutiert Mediengesetz

Anhörung vor dem Obersten Gericht macht kontroverse Interessen deutlich. Debatte um Rolle des Clarín-Konzerns

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Clarín lügt! desinformiert! - Graffiti an einer Häuserwand in Buenos Aires. Die Clarín-Gruppe ist der finanzstärkste Medienkonzern Argentiniens
Clarín lügt! desinformiert! - Graffiti an einer Häuserwand in Buenos Aires. Die Clarín-Gruppe ist der finanzstärkste Medienkonzern Argentiniens

Buenos Aires. Das Oberste Gericht Argentiniens hat in der vergangenen Woche in öffentlichen Anhörungen zur Verfassungsmäßigkeit des Mediengesetzes neben den Streitparteien auch sogenannte Amicus Curiae ("Freunde des Tribunals") gehört. Bei der zweitägigen Befragung im Rechtsstreit zwischen der Mediengruppe Clarín S.A. und dem argentinischen Staat stand die Klärung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit mehrerer Paragrafen des Gesetzes zur audiovisuellen Kommunikation im Mittelpunkt. Ricardo Lorenzetti, der den Vorsitz des höchsten Tribunals hat, hatte die Debatte um das Mediengesetz zu Beginn des Verfahrens zu einer von "erheblicher Institutioneller Tragweite" erklärt. Durch die Anhörung von gegensätzlichen Argumentationslinien der Amicus und auch dadurch, dass beide Sitzungen live im Fernsehen und im Internet übertragen würden, solle die Öffentlichkeit mehr einbezogen werden.

Kern der Auseinandersetzung sind vier Klauseln des Mediengesetzes 26.522, die die Verteilung von Lizenzen für Sendeplätze, die Nutzung des Rundfunkspektrums, die Monopolisierung und den freien Wettbewerb regeln. Besonders strittig ist Paragraf 161, der die Abgabe von überschüssigen Lizenzen regelt. Betroffen ist nach der Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2009 der Medienkonzern Clarín, der bisher keinen Plan zur Rückgabe von Lizenzen vorgelegt hat. Die Bilanz des bisherigen Rechtsstreits sind fünf Urteile in mehreren Instanzen. Zuletzt stoppte eine einstweilige Verfügung des Bundesgerichtshofs für Zivil- und Handelsrecht die Abgabe der Lizenzen seitens Clarín S.A. und erklärte die Abstoßungsrichtlinie für verfassungswidrig. In einem "Per Saltum-Verfahren" hatte der argentinische Staat daraufhin die Berufungsinstanz übersprungen und direkt den obersten juristischen Rat angerufen.

In die Debatten um das Verhältnis von privaten Medien und freier Meinungsäußerung mischt sich spätestens seit Anfang des Jahres öffentliche Kritik am Demokratieverständnis der Regierung Kirchner. Diese hatte im Januar per Eilverfahren eine Justizreform durchgesetzt und dadurch innerhalb der politischen Opposition, bei Journalisten und juristischen Berufsverbänden für Protest gesorgt. Auch Human Rights Watch und die Vereinten Nationen hatten auf die Reform zur "Demokratisierung der Justiz" mit Bedenken reagiert. Diese schränkt etwa den Einsatz von einstweiligen Verfügungen weitreichend ein. Sie sind aber ein wichtiges rechtliches Instrument gegen staatliche Eingriffe.

Gehört wurde in Sachen Mediengesetz auch die Nichtregierungsorganisation CELS (Centro de Estudios Legales y Sociales), vertreten durch Horacio Verbitsky, der die Einladung von "Amigos" kritisierte. Zwar lobte Verbitsky die Beteiligung vieler Stimmen durch das gewählte Verfahren, bemängelte aber, dass sich dadurch eine Polarisierung der Diskussion verstärke. In seiner kurzen Rede klang auch an, dass im Streit um die Anwendung des Mediengesetzes die Clarín-Gruppe mehr und mehr selbst zum politischen Akteur werde und explizit als Regierungsgegner auftrete.

Die auseinanderklaffenden Vorstellungen der "Amicus Curiae" zeigen sich in der Vehemenz, mit der diese teilweise vorgetragen wurden. Die Argumentationen der geladenen Professoren, Journalisten, Nichtregierungsorganisationen, Genossenschaftlern, Verbraucherschützern, von Vertretern der Rundfunkverbände sowie eines Rechtsanwalts spiegelten die Interessenslage der verschiedenen Gruppen wider.

Einige Sprecher sahen vor allem das Recht auf Privateigentum in Gefahr oder stuften die gesetzliche Regulierung der Medienfreiheit überhaupt als Einschränkung der freien Meinungsäußerung ein. Damit verstoße das Mediengesetz gegen die Amerikanische Menschenrechtskonvention. Die politische Dimension hob der Vertreter des argentinischen Juristenverbandes Beinusz Szmukler hervor. Es gehe um eine paradigmatische Entscheidung. Es gelte, diejenigen in die Schranken zu weisen, die einst die Machtergreifung der Militärs und den Staatsterrorismus begünstigten. Eine Verbindung zum historischen Kontext stellte auch der Rektor der Universität San Martín, Carlos Ruta, her. Argentinien durchlaufe einen historischen Moment, der die Möglichkeit zur institutionellen Demokratisierung biete.

Neben der sozio-politischen Tragweite der Entscheidung sind die wirtschaftlichen Folgen für die Clarín-Gruppe, sollte das Gesetz vollständig zum Tragen kommen, noch nicht in Gänze absehbar. Laut eigener Aussage müsste das Unternehmen bei Verlust der nationalen Kabelfernsehlizenzen seinen Internetservice einstellen. Bei einer durch das Gesetz vorgegebenen Umverteilung der Kabelfernsehlizenzen auf lokale Sendeplätze, müssten diejenigen Verbraucher, die nur Internet möchten, die nicht voll ausgelastete Netzleistung mit hohen Gebühren ausgleichen. Dies könnte zu einem wichtigen Kriterium für das Gericht werden. Weitere wirtschaftliche Folgen, so Konzernsprecher Damián Fabio Cassino, seien der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und Rückzahlungsschwierigkeiten von Schulden für bereits getätigte Investitionen in Höhe von umgerechnet etwa 1,4 Milliarden Euro. Weniger überzeugend wirkt die Warnung, mit einer Zurückstutzung Claríns innerhalb der Medienlandschaft verliere Argentinien die einzige kritische Stimme.

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